Nahverkehr

Lesenswert?


IGEB

1. Mai 1991

Was die Herausgeber des Buches “S-Bahn Berlin - Der neue Triebzug ET 480” im Vorjahr noch nicht zu prognostizieren wagten, ist entschieden: "Ihr" Zug wird, zwar etwas modifiziert, die Gesamt-Berliner S-Bahn von morgen sein. Umso interessanter also die Lektüre für alle, die sich mit Zukunftskonzepten zum Berliner Nahverkehr beschäftigen?

Das Anliegen der Autoren - an der Entwicklung des "480“ beteiligte Ingenieure - ist es, zu vermitteln, warum der neue Triebzug so und nicht anders gestaltet wurde. Damit soll auch den seinerzeit bei der Präsentation der Prototypen vorgebrachten Einwänden gegen Erscheinungsbild und manch technisches Detail begegnet werden. Enthalten sind ebenso ein historischer Abriß bis zur im Januar 1984 erfolgten Übernahme des Westnetzes durch die BVG, kritische Anmerkungen des Designers Prof. Lindinger zur Farbdiskussion und ein mittlerweile geradezu bizarr anmutender Bericht über die Transitfahrt eines Prototyp-Zuges im Jahre 1988, von der Internationalen Verkehrsausstellung in Hamburg zurück nach Berlin.

Technische Merkmale stehen jedoch im Vordergrund. So wird zum Beispiel die Frage beantwortet, warum aufgrund der in Berlin üblichen Stationsabstände nicht 80 oder 120, sondern eben 100 Stundenkilometer als zweckmäßigste Höchstgeschwindigkeit gewählt wurden. Für den Fahrgast besonders interessant sind die Abschnitte zum Fahrzeuggrundriß, zur Raumaufteilung, Beleuchtung, Heizung und Belüftung wie auch zum Informations-System. Zu kurz gekommen ist allerdings das Mehrzweckabteil, Speziell auf die Fahrradmitnahme wird überhaupt nicht eingegangen, sieht man einmal davon ab, daß in einem ganze zwei Sätze (!) umfassenden Abschnitt das Wort “Fahrräder" immerhin vorkommt. Lapidar ist hierzu lediglich vermerkt, daß “spezielle Haltevorrichtungen für Räder zugunsten höherer Flexibilität wieder zurückgestellt" wurden.

Ausführlicher ist schon die Erläuterung des rollstuhlgerechten Einstiegs mittels der Klapprampe “KLARA”. So ist zu erfahren, daß in den Serienzügen bei jeder Türöffnung im Mehrzweckabteil die Rampe ausgefahren wird. Konzipiert für eine Haltezeit von 25 Sekunden könnte "KLARA" allerdings bei extrem dichter Zugfolge - im östlichen Netzteil durchaus öfter vorkommend - zu Problemen führen. Generell bleibt die Frage offen, ob Konstruktion und Ausstattung des “480" auch für die künftigen, gegenüberr dem West-Berliner Einsatzgebiet veränderten Bedingungen geeignet sind, also für Strecken von 50 Kilometer Länge und Taktzeiten von zwei Minuten. - Mag sein, daß hier manche der von Fahrgastorganisationen und in Eisenbahnerkreisen zu hörenden Bedenken überzogen sind. Durch ihr geflissentliches Übergehen räumt man sie aber nicht aus.

Die Reihe der Aufsätze endet mit einem Zeitdokument: ein Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 2. Juli 1990 gibt ein Stimmungsbild vom Bahnhof Friedrichstraße bei Wiederherstellung des durchgehenden Ost-West-Verkehrs. Gerade anläßlich dieses Ereignisses hätte es sich angeboten, veränderte Anforderungen an einen für das Gesamtnetz bestimmten S-Bahn-Zug zu skizzieren und in knapper Form auch über die Reichsbahn-Neuentwicklung, die Baureihe 270, zu informieren. Doch auf Gesamt-Berliner Perspektiven und die Einordnung des “ET 480” in diesen Kontext haben die Herausgeber - wie sie im Vorwort selbst einräumen - bewußt verzichtet. So ist das Buch eine empfehlenswerte Dokumentation für fahrzeugtechnisch Interessierte, die eben diesen erzieht nicht als gravierenden Mangel empfunden.

Kurt Beier, Peter Falk, Herbert Lindinger, Klaus Potschies, Helmut Sauer (Hrsg): S-Bahn Berlin - Der neue Triebzug ET 480. Hestra-Verlag, Darmstadt 1990. 42 DM.

IGEB

aus SIGNAL 4/1991 (Mai 1991), Seite 17