Aktuell
Am 1. Mai war es endlich soweit: Nach dreijähriger Bauzeit und mehrmals verschobenem Eröffnungstermin wurde die Straßenbahn-Neubaustrecke zwischen dem Betriebshof Marzahn in der Leninallee und der Riesaer Straße in Berlin-Hellersdorf eröffnet. Sogar Verkehrssenator Herwig Haase, dessen Verwaltung in letzter Zeit eher durch Stillegungs- als durch Ausbaupläne glänzte, war dabei. Offensichtlich wollte er sich die einmalige Chance nicht entgehen lassen, da es wohl für lange Zeit die letzte Streckeneröffnung in Berlin war. Wenn es nach den Vorstellungen seiner Verwaltung geht, wird der Senator sich nun eine Reihe von Straßenbahn-Stilllegungsterminen in seinem Kalender notieren müssen. Denn rund 100 km des Ost-Berliner Straßenbahnnetzes werden in der von West-Berlinern dominierten Verkehrsverwaltung als nicht stadtbahnwürdig eingestuft. Die Folge: Investitionen werden auf diesen Strecken blockiert. Doch selbst auf den anderen Strecken wollte die Verkehrsverwaltung vor Abschluß ihrer langwierigen Untersuchungen nicht investieren. Erst nach öffentlichem Druck wurden wenigstens rund 35 Mio. DM der von Bonn für 1991 zur Verfügung gestellten ÖPNV-Mitteln für die Straßenbahn abgezweigt.
1. Jul 1991
Die 4,5 km lange Strecke durch das Neubaugebiet in Hellersdorf verläuft ausschließlich auf eigenem Bahnkörper und wurde deshalb von allen Eröffnungsteilnehmern auch als "Stadtbahn" bezeichnet. Die Neubaustrecke ermöglicht eine deutlich verbesserte Erschließung des noch im Entstehen befindlichen neuen Stadtbezirks. Dabei übernimmt sie Zubringeraufgaben zur schon 1989 hierher Verlängerten U-Bahn, der heutigen Linie 5, und stellt außerdem die Direktanbindung zu den benachbarten Stadtbezirken her. Befahren wird die Strecke von der Tram-Linie 6 und der nur wochentags verkehrenden Linie 10.
Deutlich erkennbar sind bei der neuen Strecke die Vorteile eines an der Oberfläche verkehrenden Verkehrsmittels wie die überwiegend leichte Zugänglichkeit und gute Einsehbarkeit der Haltestellenbereiche. Überwiegend positiv zu bewerten sind auch die Umsteigesituationen am U-Bahnhof Hellersdorf zur U5 sowie an der Endstelle Riesaer Straße zu den Buslinien.
Leider entspricht die Neubaustrecke jedoch in einigen Punkten noch längst nicht den Kriterien eines modernen Straßenbahnbetriebes, in Westdeutschland als “Stadtbahn“ bezeichnet. Völlig unverständlich ist zum Beispiel, daß in diesem neugebauten Stadtteil - insbesondere angesichts des geradezu verschwenderischen Umgangs mit Flächen, z.B, für Straßen - teilweise Kurvenradien gebaut wurden, die nur mit einer Höchstgeschwindigeit von 20 und z.T. sogar nur von 10 km/h befahren werden dürfen! Und welchen positiven Akzent für das Image der Berliner Straßenbahn hätte man setzen können, wenn man nicht nur auf einem schmalen Streifen neben den Gleisen Rasen ausgesät, sondern gerade im gauen Hellersdorf richtige Rasengleise verlegt hätte!
Im Mittelpunkt der Kritik stehen jedoch betriebliche Aspekte, bei denen die BVB schleunigst Abhilfe schaffen sollten: So wurde in alter BVB-Tradition auch auf dieser Strecke eine viel zu lange Fahrzeit im Fahrplan zugrundegelegt, die um mindestens 3 Minuten allein auf dem Neubauabschnitt zu reduzieren ist. Ferner wird sonnabends (!) und sonntags, wenn die Tram-Linie 10 auf dem Neubauabschnitt nicht verkehrt, ganztägig nur ein 20-Minuten-Takt angeboten - ein ausgesprochen unattraktives Angebot. Die fehlende Fahrplanabstimmung mit der U5 setzt dem nur noch die Krone auf: In den Tagesrandstunden und am Wochenende sind für die Fahrgäste Umsteigezeiten bis zu 21 Minuten angesagt. Dabei läßt sich die Zahl der Schnellbahnhöfe, die - so wie hier - eine attraktive Umsteigmöglichkeit zur Straßenbahn mit kurzen Fußwegen und damit kalkulierbaren Umsteigezeiten bieten, in Berlin wohl an einer Hand abzählen. Umso ärgerlicher ist, daß es am U-Bf. Hellersdorf noch nicht einmal eine Hinweislampe für die Straßenbahnfahrer gibt - falls doch einmal eine U-Bahn gerade dann ankommt, wenn die Straßenbahn am Bahnhof hält ...
IGEB
aus SIGNAL 5/1991 (Juli 1991), Seite 4