Nahverkehr

Straßenbahn in Köpenick

In den Köpfen einiger Berliner Verkehrsplaner steht das gesamte Straßenbahnnetz im Berliner Südosten zur Disposition. Die erste Streckenstillegung ist hier für 1993 auf der Linie 84 zwischen S-Bf. Adlershof und Altglienicke geplant. Keine Frage: Der derzeitige Zustand des Netzes und der Fahrzeuge geben für Fahrgäste und Anwohner Anlaß zu Frust und Ärger. Wie attraktiv eine moderne Straßenbahn hinsichtlich Fahrgastkomfort, Geräuschentwicklung, Energieverbrauch und Reisegeschwindigkeit aber sein kann und welche Zukunflschancen für ein solch attraktives öffentliches Verkehrssystem mit einer kurzsichtigen Stillegung verspielt werden würden, ist offenbar vielen Verkehrsexperten gar nicht bewußt.


IGEB

1. Jul 1991

Die jetzige Situation in Köpenick ist sowohl für die Fahrgäste und den Verkehrsbetrieb wie auch für die Anwohner mehr als problematisch: Die Straßenbahn bleibt an vielen Stellen hoffnungslos im Autostau stecken, wird durch Ampelschaltungen systematisch benachteiligt und kann dadurch ihre Fahrpläne nicht einhalten. Auf den eingleisigen Außenstrecken führt dies zu einer Potenzierung der Verspätungen, die sich schnell zu einer Viertelstunde summieren können. Die an vielen Stellen heruntergekommenen Gleise sorgen zusammen mit verschlissenen und nicht immer sachgerecht bedienten Fahrzeugen für unzumutbare Lärmemissionen. Für manchen ist die Straßenbahn auch verantwortlich für die Schäden an der historischen Bausubstanz - aber die Pkw's mit ihren Abgasen und die tonnenschweren Lkw`s werden bei der Suche nach den Schuldigen meistens übersehen.

Foto: I. Köhler
Foto: I. Köhler
Foto: I. Köhler
Behinderungen der Straßenbahn in der Köpenicker Dammvorstadt, die oft schon durch kleine Maßnahmen vermeidbar wären. Doch einige Senats- und Bezirksplaner denken lieber über Straßenabahn-Stillegungen nach. Auf den ersten drei Bildern sind alltägliche Situationen in der Bahnhofstraße zu sehen. Das Bild rechts unten zeigt die regelmäßige Behinderung der Straßenbahn auf der Dammbrücke bei der Fahrt in Richtung Altstadt. Foto: I. Köhler

Trotz dieser Vielzahl von Problemen stellt die Köpenicker Straßenbahn ein wertvolles Potential für ein attraktives, umweltverträgliches Verkehrssystem im gesamten Süd-Ost-Raum der Stadt und vor allem auch für die zu sanierende Köpenicker Altstadt dar.

Kurzfristige Maßnahmen

Die für die Fahrgäste wichtigsten kurzfristig zu realisierenden Maßnahmen sind überwiegend organisatorischer Art. Besonders vordringlich ist die Abmarkierung der Straßenbahngleiskörper, so daß die Straßenbahn quasi auf eigener Trasse am Autostau vorbeifahren kann. Die neuralgischen Abschnitte sind die Bahnhofstraße, die Lange Brücke und die Grünauer Straße zwischen Glienicker Straße und Köllnischer Platz. Nicht überall wird wegen der beengten Verhältnisse eine lehrbuchhafte Lösung möglich sein, da für die Autospur nicht immer eine auch für Lkw's ausreichende Breite realisierbar sein wird. Aber es wäre an vielen Punkten eben schon viel gewonnen, wenn die Straßenbahn wenigstens am Pkw-Stau vorbeifahren könnte.

Im Zusammenhang mit der Überarbeitung der Ampelschaltungen, die z.Z. an vielen Stellen die Straßenbahnen extrem benachteiligen, könnte somit ein fahrplanmäßiger Betrieb wieder gewährleistet werden. Unverzichtbar dafür ist allerdings auch eine Neuregelung für die Linksabbieger in der Bahnhofstraße in Fahrtrichtung Süden: z.Z. wird die Straßenbahn praktisch an jeder von der Bahnhofstraße abzweigenden Querstraße durch linksabbiegende Autos behindert. Dies könnte durch Abbiegeverbote sofort unterbunden werden. Erlaubt werden sollte dagegen das Linksabbiegen an der Kreu- zung Bahnhof- Ecke Friedrichshagener Straße: Hier könnte die linke der beiden Fahrspuren mit entsprechender Ampelschaltung für Linksabbieger eingerichtet werden, ohne daß eine Behinderung der Straßenbahn erfolgen würde. Der Kfz-Verkehr könnte somit in beiden Richtungen in der Friedrichshagener Straße gebündelt werden, wodurch wiederum Beschleunigungseffekte Für die Straßenbahn in der Seelenbinderstraße realisiert werden könnten. Und schließlich könnte die Buslinie 269 aus den ungeeigneten Nebenstraßen herausgenommen und in die Bahnhofstraße gelegt werden.

Hönower Straße. Die Fahrbahn wurde instandgesetzt, die Straßenbahnstrecke blieb in katastrophalem Zustand: Abgesackte Randpflasterung, hohlliegende Gleise, verriffelte Schienenköpfe. Foto: I. Köhler

Gleiserneuerung

Kurzfristig begonnen werden sollte natürlich auch mit den Gleiserneuerungarbeiten. Während die neuen Gleise auf der Müggelheimer Straße seit dem 2.Juni nun endlich wieder befahrbar sind, ziehen sich die Arbeiten in der Wendenschloßstraße noch immer in die Länge. Noch für diesen Sommer ist der Beginn der Bauarbeiten in der Seelenbinderstraße angekündigt. Dringender Handlungsbedarf besteht aber noch an vielen anderen Stellen des Köpenicker Netzes und vor allem auch in der Altstadt.

Gelder für derartige Erneuerungsmaßnahmen stehen ja aus dem Bundestopf “Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" zur Verfügung, Mit dem Argument, daß es nicht ausreichend baureife Pläne gibt, fließen diese Gelder jedoch u.a. in fragwürdige U-Bahn-Bauten wie die Verlängerung der U8 in das Märkische Viertel. Sollten Planungskapazitäten und das technische Wissen für einen zeitgemäßen Gleisbau, der einen erschütterungsfreien Straßenbahnverkehr auch in historischen Ortskernen ermöglicht, in Berlin fehlen, so muß man dieses Knowhow eben in den auf diesem Sektor erfahrenen Betrieben und Ingenieurbüros der Alt-Bundesländer einkaufen. Stattdessen aber drohen die Gelder, die noch dieses Jahr ausgegeben werden müssen, nicht vollständig abgerufen zu werden und damit für Berlin verloren zu gehen.

Bessere Fahrzeuge in den Depots

Das Köpenicker Straßenbahnnetz leidet darüber hinaus an einem weiteren Mangel. Wegen der unzureichenden Stromversorgung sind die neuen Tatra-Züge, die neben einer höheren Reisegeschwindigkeit den Fahrgästen auch einen deutlich besseren Komfort als die Altbaufahrzeuge bieten, nicht oder nur mit Einzelfahrzeugen einsetzbar. Die Fahrgäste müssen daher bis zur Einrichtung eines neuen Unterwerkes weiterhin mit den Altbaufahrzeugen vorliebnehmen, während einsatzbereite Tatras in den Depots stehen. Und da die bisherigen Planungen zur Errichtung eines Unterwerkes wegen ungeklärter rundstücksfragen möglicherweise nicht mehr unverändert realisiert werden können, steht der Zeitpunkt, zu dem endlich Tatra-Wagen eingesetzt werden können, noch in den Sternen.

Umso unverständlicher ist daher, daß die BVB für die bisher im Köpenicker Netz eingesetzten Großraumwagen vom Typ TDE eine Hauptuntersuchungen mehr durchführen läßt und damit die ersten Fahrzeuge noch in diesem Jahr abgestellt werden müssen. Diese Fahrzeuge bieten den Fahrgästen einen besseren Standard als die zweiachsigen Reko-Fahrzeuge, die jedoch noch ein weiteres Jahrzehnt den Fahrgästen und den Anwohnern zugemutet werden sollen. Der Einbau von Schallabsorbern an einem Großraumwagen hat gezeigt, daß mit geringem Aufwand entscheidene Verbesserungen hinsichtlich der Lärmemissionen bei diesem Fahrzeugtyp möglich sind.

Foto: I. Köhler
Behinderungen der Straßenbahn in der Köpenick Altstadt. Oben: Eine einsetzende 86 wird durch einen Pkw am Einbiegen von der Kirchenstraße in die Straße Alt-Köpenick gehindert. Unten: Die Lage des Gleises in der Straße Alt-Köpenick verhindert, daß die 83 an den im Stau stehenden Lkw vorbeifahren kann. Foto: Ch. Tschepe

Kurzfristig sollten schließlich auch die Fahrplantakte verdichtet werden, da viele Streckenäste tagsüber nur alle 20 Minuten befahren werden, so daß z.Z. wegen der Behinderungen durch den Individualverkehr Angebotslücken von über einer halben Stunde (!) keine Seltenheit sind.

Straßenbahn für Köpenick

Während Berliner und Köpenicker Verkehrsplaner den Bezirk gleich mit diversen neuen Tangenten-, Umgehungs- und Entlastungsstraßen durchschneiden, die Straßenbahn mit großräumigen Umwegen aus der Altstadt fernhalten wollen und die Lösung für den ÖPNV im Grunde nur im Tunnel (Verlängerung der S-Bahn Spindlersfeld zur Altstadt Köpenick sehen, drohen die Chancen, das dichte Köpenicker Straßenbahnnetzes zu einem attraktiven öffentlichen Verkehrsmittel zu entwickeln, verspielt zu werden. Wie entscheidend die Vorteile einer im Tageslicht fahrenden modernen Straßenbahn gegenüber allen anderen öffentlichen Verkehrsmitteln bei vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand sein können, kann am Beispiel Köpenicks geradezu modellhaft verdeutlicht werden.

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Eine moderne Straßenbahn, in der Regel auf eigener Trasse vorbei am Autostau und mit Ampelvorrangschaltungen geführt, kann auch Autofahrer in großer Zahl wieder zum Umsteigen auf den ÖPNV bewegen, wie zahllose Beispiele im In- und Ausland längst bewiesen haben. Und wenn es mal eng wird, dann kann mit Hilfe von intelligenten Ampelregelungen die Straßenbahn abschnittsweise auch ohne eigene Trasse ungehinden vorankommen. Und schließlich kann eine moderne Straßenbahn auch mal langsam fahren: In zahllosen Städten fährt Straßenbahn ohne Komplikationen durch Fußgängerzonen. Die hier reduzierte Fahrgeschwindigkeit wird durch die Vorteile einer unmittelbaren Erreichbarkeit der zentralen Ortslagen und der problemlosen Zugänglichkeit der Haltestellen mehr als kompensiert.

Und auch die technischen Möglichkeiten, eine Straßenbahn leise und erschütterungsfrei durch alte historische Ortskerne fahren zu lassen, sind längst vorhanden, wie die Beispiele in Karlsruhe-Durlach und Darmstadt-Eberstadt zeigen. Völlig unverständlich ist daher die Forderung, die Straßenbahn aus der Köpenicker Altstadt zu verbannen. Im Gegenteil: Eine modernisierte Straßenbahn ist geradezu eine Voraussetzung zur Attraktivierung einer vom Autoverkehr befreiten und sanierten Altstadt. Das dichte Straßenbahnnetz bietet die Chance, daß die direkte Erreichbarkeit der Altstadt mit der Straßenbahn aus fast allen Ortsteilen des Bezirkes möglich wird, und daß - kleine Netzerweiterungen vorausgesetzt - fast der gesamte öffentliche Verkehr durch die stadt- und umweltverträgliche Straßenbahn abgewickelt werden kann.

Das vorhandene Netz erschließt große Teile des Bezirkes schon jetzt flächendeckend. Die einzelnen Streckenäste bündeln sich zu stark frequentierten Stammstrecken, die schon jetzt zum Teil auf eigenen Trassen verlaufen und für die bevorzugt weitere Beschleunigungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Aus weiten Teilen der süd-östlichen Berliner Stadtregion ist die Altstadt Köpenicks damit schon heute direkt mit der Straßenbahn erreichbar, so daß die Voraussetzungen zur Entwicklung der Altstadt zu einem bedeutenden Dienstleistungs- und Einkaufsstandort mit einem für Berlin außergewöhnlichen städtebaulichen Ambiente besonders günstig sind. Aber nicht nur für den Einkaufs- und Berufsverkehr unter der Woche hat das Netz wichtige Aufgaben zu erfüllen: Unverzichtbar für einen umweltverträglichen Ausflugsverkehr in die Berliner Forsten sind die Linien 25 nach Rahnsdorf, 83 nach Wendenschloß und insbesondere 86 nach Schmöckwitz.

Streckenergänzungen

Mit nur kleinen Netzergänzungen im Südosten der Stadt kann die Bedeutung der Straßenbahn noch wesentlich gesteigert und können die Fahrgastzahlen insgesamt noch deutlich erhöht werden. Die wichtigste Streckenergänzung betrifft die direkte Anbindung des Salvador-Allende-Viertels an das Straßenbahnnetz. Abzweigend von der Müggelheimer Straße sollte durch die Pablo-Neruda-Straße und den Müggelschlößchenweg eine ca. 1 km lange Neubaustrecke gebaut werden. Dadurch könnten die vielen Fahrgäste der stark frequentierten Buslinie 168 von der zukünftig deutlich attraktiveren und schnelleren Straßenbahn befördert werden. Im Zusammenhang mit einer ca. 300 m langen neuen Streckenverbindung entlang der Müggelheimer Straße zwischen Kietzer Straße und Alt-Köpenick könnte mit sich überlagernden Linienästen die umsteigefreie Erreichbarkeit sowohl der S-Bahn-Linie 3 am Bf. Köpenick wie auch der S86 am Bf. Spindlersfeld gewährleistet werden.

Foto: Ch. Tschepe
Wegen der Lärmbelastung und der Erschütterungen soll die Straßenbahn aus der Köpenicker Altstadt (Bild oben) verbannt werden. Mit der heutigen Gleisbau- und Fahrzeugtechnik sind diese Probleme jedoch längst beherrschbar, wie das Beispiel Karlsruhe zeigt. Dort fährt die Straßenbau, u.a. in Karlsruhe-Durlach (Bild unten), mitten durch die Altstadt. Foto: M. Horth

Eingangs schon enrwähnt wurden die Stillegungspläne für die Linie 84. Diese Linie bindet die Altstadt Köpenick: an den S-Bf. Spindlersfeld und damit an die Ringbahn an und bietet im weiteren Streckenverlauf durch die Dörpfeldstraße neben der Erschließung auch die Verknüpfung mit den S-Bahn-Linien 6, 8, 9 und 10 Richtung Königs Wusterhausen bzw. Flughafen Schönefeld. Probleme bereiten z.Z. insbesondere südlich des S-Bf. Adlershof nicht nur der katastrophale Zustand der Gleise, sondern auch die langen eingleisigen Abschnitte, die Lage der Gleise im Straßenraum im alten Ortskern Altglienickes und die Wegführung abseits der neu entstandenen Siedlungsschwerpunkte. So wird zur Erschließung der Neubaugebiete in Altglienicke ein aufwendiges, aber dennoch unattraktives Busnetz z.T. parallel zur Straßenbahn betrieben. Wegen der bereits erfolgten und der zukünftig geplanten weiteren Siedlungsentwicklung im Raum Altglienicke/Schönefeld sollte daher ab S-Bf. Adlershof eine neue Straßenbahnstrecke über Rudower Chaussee, Wegedornstraße (Abzweig nach Rudow), Schönefelder Chaussee bis zum Fernbahnhof und Flughafen Schönefeld gebaut werden.

Langfristig sollte der zweigleisige Streckenausbau für die Linie 83 im Hultschiner Damm nach Mahlsdorf und eine Durchbindung bis nach Hellersdorf realisiert werden. Dadurch würde eine attraktive Tangentialverbindung geschaffen werden, der im Interesse der Entwicklung und Stärkung der polyzentrischen Stadtstruktur Berlins eine besondere Bedeutung zukommt.

IGEB

aus SIGNAL 5/1991 (Juli 1991), Seite 6-9