Planung

Achsen- oder Ringmodell?


IGEB

1. Jul 1991

Seit einiger Zeit gibt es in Berlin - wieder einmal - eine heftige Debatte um das “richtige" Eisenbahnkonzept für die Zukunft der Stadt. Die Diskussion ist inzwischen auf die Debatte “Ringmodell“ oder “Achsenmodell" zugespitzt worden. Beide Modelle bedingen erhebliche Baumaßnahmen und können deshalb erst langfristig realisiert werden. Es wäre fatal, wenn weiterhin bis zur großen, vermeintlich endgültigen Lösung nichts geschehen würde. Aus Fahrgastsicht bieten beide Modelle Vor- und Nachteile. Das Ringmodell hat jedoch den enscheidenden Vorteil, daß es Etappenlösungen erlaubt, die sehr viel schneller als das Achsenmodell mit dem extrem aufwendigen Nord-Süd-Tunnel realisiert werden können.

Vorschlag zur Optimierung des Eeisenbahnfernverkehrs auf den Hauptstrecken durch Berlin. Zeichnung: R. B. Giesel

Deshalb sollte neben der Durchführung kurzfristiger Maßnahmen die etappenweise Realisierung des Ringmodelles angestrebt werden. Die Option auf einen Nord-Süd-Tunnel darf jedoch keinesfalls verbaut werden. Es ist heute nicht absehbar, ob der Ring auch bei wachsendem Bahnverkehr ausreicht bzw. den künftigen Anforderungen genügt. Dies kann allerdings frühestens in einigen Jahren, wenn der Ring teilweise realisiert ist, entschieden werden. Doch auch dann ist die Investition in den Ring keine Fehlinvestition gewesen. Er wird immer benötigt werden, da bei wachsendem Bahnverkehr eine Abwicklung aller Verkehre über die beiden Achsen mit “Zentralbahnhof” ausgeschlossen werden kann.

Die Realisierung des mit der Planung des Nord-Süd-Tunnels verbundenen "Zentralbahnhofes" darf aber keinesfalls dazu führen, daß Züge in Berlin nur noch an diesem Bahnhof halten, was viele Reisende zu unnötigen Fahrten ins Stadtzentrum zwingen würde. Berlin läuft sonst Gefahr, daß es zum “Versuchskaninchen“ für ein fahrgastfeindliches Zugsystem würde, in dem die Züge nur noch einmal pro Stadt - auch in polyzentralen Städten - halten.

Im einzelnen sollte bei der Planung der Anlagen für den Eisenbahn-Fern- und Regionalverkehr innerhalb Berlins folgendermaßen vorgegangen werden:

1. Herstellung der maximalen Leistungsfähigkeit der Eisenbahn-Strecken in Berlin, insbesondere auf der Stadtbahn, durch Elektrifizierung und Ausstattung mit modernem und leistungsfähigem Zugsicherungssystem.
Herstellung des Lückenschlusses der Anhalter Bahn von Teltow bis in den Bereich Papestraße, der Hamburger Bahn von Alrechtshof bis Berlin-Spandau sowie der Heidekrautbahn von Basdorf bis Berlin-Wilhelmsruh.
Führung sämtlicher Fernzüge aus Richtung Westen und Dessau über die Stadtbahn, Führung der aus Richtung Norden kommenden Züge nach Berlin-Lichtenberg, Führung der aus Richtung Süden kommenden Züge je nach Richtung der Weiterfahrt über den Außenring und die Stadtbahn oder den Bahnhof Lichtenberg.
Führung der Regionalzüge aus den wichtigsten Richtungen bis in die Stadt hinein, lediglich die Züge aus den Richtungen Werneuchen, Basdorf und Velten können als reiner S-Bahn-Anschlußverkehr betrieben werden (mit S-Bahn-Anschluß in Ahrensfelde, Berlin-Wilhelmsruh und Hennigsdorf).

2. Ausbau des Berliner Innenrings für den Fern- und Regionalverkehr inklusive Elektrifizierung als mittelfristige Maßnahme zur Erhöhung der Kapazitäten.
Führung des Regionalverkehrs durch die Stadt hindurch, je nach Linie über die Stadtbahn oder den Innenring, Verknüpfung jeweils zweier Linien miteinander zu einer durchgehenden Linie aus der östlichen Peripherie in die westliche oder von der südlichen in die nördliche.
Führung ausgewählter Fern-Linien (Intercity und Interregio) über den Innenring, insbesondere um die in dem für das westliche Berlin eher peripher gelegenen Bahnhof Lichtenberg haltenden Züge näher an die Bewohner der westlichen Stadtteile heranzubringen.
Deshalb bevorzugte Führung dieser Züge über den östlichen und nördlichen Innenring mit einem Umsteige-Bahnhof am Ostkreuz, der später als Regionalbahnhof genutzt werden kann, sowie Ausbau des Bahnhofs Gesundbrunnen.

3. Trassenfreihaltung für eine zweigleisige Eisenbahnstrecke zwischen dem Bereich Papestraße und dem nördlichen Innenring mit einem viergleisigen Bahnhof im Bereich Lehrter Stadtbahnhof/Friedrichstraße zum Umsteigen auf die Stadtbahn unter Einbeziehung eines Schildvortrieb-Tunnelabschnitts unter dem Großen Tiergarten.
Untersuchung über den Bedarf an weiteren Eisenbahntrassen für Berlin anhand des im dann existierenden Ausbaustandard befindlichen Bahn-Netzes.
Falls diese Untersuchung einen erheblichen Mehrbedarf an Eisenbahnbetrieb ergibt, Bau des o.g. Nord-Süd-Eisenbahn-Tunnels.
Falls diese Untersuchung keinen oder nur einen geringen Mehrbedarf an Eisenbahnbetrieb in Berlin ergibt, Ausbau des gesamten Innenrings als Dauerlösung mit Verbindungskurven und Viergleisigkeit für den Fern- und Regionalverkehr.

IGEB

aus SIGNAL 5/1991 (Juli 1991), Seite 9-11