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Die Bahn: Schnelle Züge - Langsame Computer


IGEB

1. Aug 1991

Computer sind praktisch, schnell und erleichtern die Arbeit, theoretisch. Daß es auch anders geht, beweisen DB und DR zum Leidwesen von Fahrgästen und Beschäftigten.

Beispiel 1: Bahnhof Wannsee, 19.52 Uhr. Der Nahverkehrszug nach Potsdam fährt pünktlich ab, der eilige Fahrgast sieht nur noch die Rücklichter. Wie gut, daß neun Minuten später der D309 fahrt. Das ist immer noch billiger und schneller als ein Taxi. Also zum Schalter: “Einmal bis Potsdam Stadt mit D-Zug-Zuschlag." Die Reichsbahnerin schaut irritiert: “Da können sie doch zum Nahverkehrstarif fahren." - “Aber nicht, wenn der Nahverkehrszug weg ist." - “Ja, aber eine Fahrkarte bis Potsdam Stadt kann der Computer nicht ausstellen. Ich kann Ihnen nur eine nach Potsdam Hauptbahnhof verkaufen. Macht alles zusammen 7,80".

Beispiel 2: Von Hannover zurück nach Berlin, das geht jetzt am billigsten über Stendal, hatte der Fahrgast im SIGNAL gelesen. "Über Stendal", die freundliche Dame im Reisebüro kehrt vom Computer zurück, "bekomme ich keine Fahrkarte." Sie versucht es nochmals, fragt die Kollegin, wälzt schließlich das Kursbuch, zählt Kilometer zusammen und schreibt eine Fahrkarte, von Hand. Nach über 10 Minuten hat sie das fertig, was der Computer eigentlich in Sekunden könnte. Wenn er entsprechend programmiert worden wäre.

Beispiel 3: Im neuen IC von Frankfurt/M nach Berlin. Der junge Mann von der DB kontrolliert das Ticket. “Der Zug fährt über Hildesheim, nicht Hannover. Sie haben zuviel bezahlt. Gehen Sie doch 'mal zu Ihrer Fahrkartenausgabe." Anständig, die Jungs von der DB, denkt der Fahrgast. Also nacgefragt. "Stimmt", wird dort bestätigt, “aber im Computer gibt es nur die Trasse über Seesen oder die über Hannover. Seesen ist noch kürzer als Hildesheim, wäre also zu billig. Deshalb muß ich Ihnen Hannover verkaufen. Bis so ein neues Angebot, wie das über Hildesheim, bei den Tarifen eingearbeitet ist, dauert es immer eine Weile." Er könne mir noch mehr solcher Beispiele nennen, fügt die Frau hinzu. Der diesjäjährige Fahrplanwechsel sei besonders schlimm gewesen. “Seit Monaten stehen doch die neuen Bahnangebote fest!”, weiß der Fahrgast aus der Zeitung. "Warum ist die Bahn denn nicht in der Lage, die Tarifcomputer rechtzeitig anzupassen?" Seine Verärgerung ist unüberhörbar. Die Frau gegenüber zuckt mit den Schultern. Sie hat sich diese Frage wohl auch schon oft gestellt.

IGEB

aus SIGNAL 6/1991 (August 1991), Seite 4-5