Aktuell
Beim Verkehr ist in Berlin Ideologie zum Politik-Ersatz geworden. Mit diesen Worten kritisierte die CDU 1990 auf einem Flugblatz den rot-grünen Senat. Genau denselben Vorwurf muß sich nun ein Jahr später der von der CDU gestellte Verkehrssenator Haase gefallen lassen. Seine jüngste Fehlleistung war die überfallartige Anordnung zur Aufhebung von Tempo 30 auf 41 Straßen im Westteil der Stadt, was er teilweise mit falschen Unfallzahlen begründete. Eine Lawine von Kritik brach über ihn hinein, nicht die erste, aber die größte. Wir werden einer Ablösung von Herrn Haase nicht im Wege stehen, äußerte ein SPD-Abgeordneter, doch die CDU muß selber wissen, wie lange sie sich diese Fehlbesetzung im Senat noch leisten kann.
1. Okt 1991
Das Sündenregister von Senator Haase ist lang. Kennzeichen seiner Politik sind überfallartige, undemokratische Entscheidungen über die kleinen Dinge der Verkehrsplitik und das Liegenlasen der großen und wichtigen. Um letzteres zu vertuschen, schreckt er auch nicht vor bewußter Fehlinformation zurück. So stellte er im Juni der Öffentlichkeit ein S-Bahn-Konzept vor, in dem Strecken wie z.B. die S-Bahn nach Hennigsdorf als im Bau dargestellt wurden, obwol dort noch nicht ein Handschlag getan wurde.
Bereits im Frühjahr hatte Senator Haase Sein autoritäres, beinahe gewalttätiges Vorgehen am Beispiel der Havelchausee demonstriert, deren er eigenhändig aufhob. Weniger erfolgreich war er bei der Öffnung des Brandenburger Tores, das trotz großen Widerstandes in der Bevölkerung und bei den betroffenen Bezirken ab 3. Oktober durchfahrbar sein sollte (s. SIGNAL 7/91). Der Widerstand von Abgeordneten aller Parteien verhinderte dies - zunächst. Als Ersatzhandlung ordnete Herr Haase zum Jahrestag der Vereinigung die Umbenennung einiger U-Bahnhöfe im Ostteil der Stadt an. Daß BVG und DR in Abstimmung mit Haases Verwaltung alle erforderlichen Umbenennungen an einem Tag und anläßlich eines Fahrplanwechsels vornehmen wollten, interessierte Herrn Haase nicht. Nun gibt es also neue Bahnhofsnamen, die in keinem Fahrplanheft und Liniennetz zu finden sind. Auch das vorbildliche Bemühen der Betreiber, Fahrgäste und Bezirksämter zu beteiligen, blieb dank Senator Haase auf der Strecke. Die IGEB hatte ja, wie berichtet, bereits erste Gespräche geführt und sich um eine öffentliche Namensdiskussion bemüht (vgl. SIGNAL 5/91 ).
Ein besonderer Fehlgriff war auch die Entscheidung, nur Bahnhofsnamen im Ostteil der Stadt zu ändern. Mit einer Umbenennung wie Frankfurter Tor in Rathaus Friedrichshain hatte der Senator ja deutlich gemacht, daß es ihm keineswegs nur um die Beseitigung politisch unerwünschter Namen, sondern auch um die Verbesserung der Fahrgastorientierung ging. Und auf diesem Gebiet gibt es bekanntlich auch Westteil der Stadt einen großen Änderungsbedarf. Doch in klassischer Besatzermanier traf es wieder nur die Ostbezirke.
Solcher Aktionismus statt solider Verkehrspolitik ist typisch für Senator Haase. Das Zurückziehen des im nachfolgenden Artikel dokumentierten, bereits fertigen Straßenbahnkonzeptes aufgrund eines einzigen Zeitungsberichtes zeigt, daß der Senator ziellos und ohne Rückgrat arbeitet. Das bekam auch sein Abteilungsleiter Christian Lotze zu spüren, der als “Bauernopfer” für die Unfähigkeit des Senators große Teile seiner Kompetenzen abgeben mußte.
Das Eingangszitat des SPD-Abgeordneten muß heute noch ergänzt werden um die Frage: Wie lange will die CDU diesen Senator der Stadt Berlin noch zumuten?
IGEB
aus SIGNAL 8/1991 (Oktober 1991), Seite 4