Schienenverkehrswochen 1991
1. Dez 1991
Am 12. September 1991 fand im Rahmen der Berliner Schienenverkehrswochen das “Fahrgastforum Bus” statt. Den Fragen des Publikums stellten sich Herr Jähnichen, Leiter der BVG-Abteilung Oberflächenverkehr und Herr Burkert, Fahrplanbearbeiter bei der BVB. Moderator war Matthias Horth von der IGEB-Abteilung Tram und Bus.
Die Arbeit der letzten Monate sei durch das Zusammenführen der beiden Verkehrsbetriebe BVG und BVB geprägt gewesen, begann Herr Jähnichen sein Referat. Mit der Fusion zu einem Unternehmen rechne er zum 1. Januar 1992. Bis dahin werden die Fahrpläne der BVB im Ostteil Berlins an die im Westteil üblichen Pausen- und Wochenarbeitszeiten angepaßt. Die Fahrgäste müssen daher auf allen Linien der BVB mit einem weiteren “kleinen Fahrplanwechsel" zum 2. Januar 1992 rechnen.
Doch schon am 5. Oktober 1991 werde es einen Fahrplanwechsel geben. Ein wesentlicher Grund sei die angesgannte Personallage bei BVB und BVG. Wegen der Lohnnachteile im Osten kündigen immer mehr Busfahrer der BVB, um bei besser zahlenden privaten Busunternehmem zu arbeiten, oder sie wandern in das Speditionsgewerbe ab. Bei der BVG herrscht Einstellungsstop für Busfahrer. Dadurch sollen keine Fahrer von der BVB abgeworben werden. Ferner will der Senat die Personalkosten und damit den Zuschußbedarf der BVG senken, um so das Haushaltsloch zu stopfen. Darüber hinaus hat die BVG unter den Busfahrern mit einem enorm hohen Krankenstand von rund 16% zu kämpfen. Leidtragende sind also die Fahrgäste, die allem Ärger zum Trotz dem Unternehmen treu bleiben. Die Busse kommen seltener, sie sind oft noch voller als vorher und häufig auch verspätet.
An den Vortrag schloß sich eine umfangreiche, zum Teil sehr hitzige Diskussion mit den anwesenden Fahrgästen an. Sie wurde von Anwohnern des Gartenplatzes im Wedding eröffnet. Diese sind verärgert, daß ihnen mit der Rücknahme des 327ers (vormals 71er) zum Gesundbrunnen nunmehr die umsteigefreie Verbindung zur Badstraße genommen wurde. Die Einsetzer des 120ers (vorher 12er), die zwar nicht im Fahrplan stehen, aber an der alten Endhaltestelle des 327ers wenden, sind für sie kein Ersatz. Denn diese Busse bedienen statt der Badstraße die Müllerstraße. Doch besonders verbittert sind die Anwohner, unter anderen viele Senioren, denen das Laufen schwer fällt, daß die BVG ihnen als “Ersatz“ vorschlägt, 300 m zur nächsten Haltestelle zu laufen, auf dem Weg in die Badstraße dann in die U8 umzusteigen und dabei selbstverständlich die vielen Treppenstufen zu steigen (was auch den Senioren in anderen Teilen Berlins so oder ähnlich zugemutet wird).
Wenn die BVG beim auch in den Medien ausgiebig dargestellten Thema Gartenplatz zur alleinigen Zielscheibe der zurecht aufgebrachten Fahrgäste wird, so trifft dies allerdings nicht den Hauptschuldigen. Die BVG ist hier vor allem ausführendes Organ einer Senatsverkehrspolitik, die allen Lippenbekenntnissen zum Trotz den ÖPNV nicht fördert, sondern bremst, indem die Zuschüsse an die BVG pauschal und so drastisch gekürzt wurden, daß damit das öffentliche Verkehrsangebot zwangsläufig schlechter wird. Verantwortlich sind also vor allem der Verkehrs- und der Finanzsenator. Wird diese Politik fortgesetzt, dann wird es in nächster Zeit noch eine Menge Gartenplatz-Diskussionen in Berlin geben.
Ein weiteres Thema im Fahrgastforum Bus waren die langen Aufenthaltszeiten der Busse an den Haltestellen, besonders auf den Linien, die von BVG und BVB gemeinsam bedient werden. Herr Jähnichen sagte zu, die alten an die BVB verkauften Doppeldecker mit nur einer Treppe, bei denen das Einsteigen länger dauert, bald durch neue Fahrzeuge zu ersetzen. Bei den eingesetzten Gelenkbussen (“Schlenkis“) soll der Einstieg nicht nur beim Fahrer, sondern auch an den zwei anderen Türen erfolgen können. Diese Eínstiegsregelung soll dann übrigens für alle in Gesamt-Berlin eingesetzten Schlenkis gelten. Bei den BVG-Eindeckern wird zur Zeit geprüft, ob das Einstiegsverbot für die hintere Tür aufgehoben werden kann. Nur bei den Doppeldeckern will man den Einstieg weiterhin auf die vordere Tür beschränken.
Viel Kummer bereitet den Fahrgästen das Umsteigen von der S-Bahn auf den Bus, so zum Beispiel am S-Bf. Gehrenseestraße in die Linie 359. Hier arbeitet die BVB an einer Lösung, mit der Linie 154 direkt an den Eingang zu fahren, wie bisher bei der Linie 359.
Sorgen für ÖPNV-Benutzer gibt es auch im Süden des BVG-Netzes von Berlin. Viele Verbindungen über die Stadtgrenzen fehlen. Schuld daran sind zumeist schlechte Straßen und ungeklärte Kostenfragen im über die Stadtgrenze hinausgehenden Verkehr. Die Linie 275 Lichtenrade - Blankenfelde wird mit der Wiedereröffnung der S-Bahn eingestellt. Vorbereitet wird hingegen eine neue Linie 217 von Zehlendorf über die Knesebeckbrücke nach Teltow; ab wann sie verkehrt, ist noch ungewiß.
Besonders großen Kummer aber bereitet den Fahrgästen südlich und westlich Berlins die Regelung, daß BVG-Fahrscheine nicht auf allen Linien gelten. Wie Herr Jähnichen ausführte, ist nur die Benutzung der Straßenbahn- und Stadtbuslinien in Potsdam, Babelsberg und Teltow mit dem Verkehrsbetrieb in Potsdam (ViP) abgesprochen worden. Deutlich wurde dabei das Manko, daß es noch keinen “echten" Tarifverbund gibt: Während die Fahrgäste auf den von den ViP betriebenen Überlandlinien wenigstens auf die Großzügigkeit einzelner Fahrer bei der Anerkennung Berliner Fahrausweise hoffen können, gilt das für alle anderen Überlandlinien im Berliner Umland nicht. Es ist höchste Zeit, daß ein umfassender Tarifverbund auch unter Einbeziehung der Überlandbuslinien eingerichtet wird.
Manch kleines Problem kam zur Sprache, wie es so oder ähnlich fast im gesamten Busnetz von Berlin zu finden ist: Die Busanschlüsse im Spätverkehr am Rathaus Steglitz klappen trotz Funkabsicherung noch immer nicht regelmäßig. Die Haltestellenabstände in Ost-Berlin sind häuñg viel zu groß, und die Standorte vor allem an den Umsteigepunkten sind oft fahrgastunfreundlich. Auf der Heerstraße sind immer noch Konvoifahrten des 149ers von bis zu vier Bussen zu sichten, die als geschlossene Formation vorbeifahren, während größere Gruppen von Fahrgästen auf der anderen Straßenseite auf das grüne Ampellicht warten, um zur Haltestelle zu gelangen.
Alles in allem war das Fahrgastforum Bus in diesem Jahr gelegentlich sehr hitzig und kontrovers geführt worden, für alle Beteiligten und die Zuhöhrer aber war es wieder eine aufschlußreiche Veranstaltung.
IGEB
aus SIGNAL 9/1991 (Dezember 1991), Seite 22-23