Aktuell
1. Feb 1992
Bereits mehrfach hat Verkehrssenator Haase die Vorlage eines Verkehrskonzeptes für die geplante Großsiedlung "Wasserstadt Oberhavel" angekündigt. Zunächst sollte dies zum September geschehen, später wurde das Konzept für Dezember angekündigt, ohne daß es bis zum heutigen Tag vorliegt. Die IGEB nahm die Untätigkeit des Verkehrssenators zum Anlaß, ein ÖPNV-Konzept für die Wasserstadt Oberhavel zu erarbeiten, in der immerhin über 30.000 Wohnungen und fast ebenso viele Arbeitsplätze geschaffen werden sollen.
Die bisher diskutierten Entwürfe für die Wasserstadt beschränken sich - neben dem Bau zahlreicher Straßen - hinsichtlich des ÖPNV auf eine Schienenanbindung mit einer S-Bahn (Verlängerung der Gartenfelder Strecke) oder neuartigen Systemen wie Magnetbahn oder Hängebahn. Damit droht auch hier, wie das bei vielen Großsiedlungen der Fall ist, ein attraktiver Anschluß an das öffentliche Verkehrsnetz auf der Strecke zu bleiben, da die finanzielle Realisierbarkeit völlig offenbleibt. Das nahegelegene Falkenhagener Feld ist nur eines der Beispiele, wo bereits vor 20 Jahren ein Schnellbahnanschluß versprochen wurde, ohne daß dieser in absehbarer Zeit realisierbar wäre.
Zwingend notwendig - aber bei Berliner Planern offenbar noch längst nicht selbstverständlich - ist dabei, daß auch die öffentliche Verkehrserschließung zeitgleich mit dem Siedlungsbau einhergeht. Und es müssen sowohl das Siedlungsgebiet möglichst flächendeckend erschlossen als auch gute Verbindungen nach "außerhalb" geschaffen werden. Die bisher der Öffentlichkeit vorgestellten Entwürfe für die Wasserstadt erfüllen keine dieser Forderungen.
Die einzige zur Anbindung der Wasserstadt in Frage kommende Schnellbahn-Trasse ist die der stillgelegten Siemensbahn. Eine Reaktivierung dieser Trasse bietet schnelle Verbindungen in den Bereich des S-Bahn-Ringes, nicht aber in das viel näher liegende Oberzentrum Altstadt Spandau. Bei voraussichtlich einem Bahnhof auf der Havel-Ostseite und einem oder höchstens zwei auf der Westseite würde allerdings nur wenig mehr als ein Fünftel der Wasserstadt im allein attraktiven 5-Minuten-Radius (300 Meter) um die Haltepunkte liegen. Die restlichen vier Fünftel und der gesamte nach Spandau führende Verkehr müßten durch ein aufwendiges, zusätzliches Busnetz abgedeckt werden, was den Fahrgästen zeitraubendes und unattraktives Umsteigen aufbürdet. Würde man jedoch - wie ernsthaft in die Diskussion gebracht wurde - nicht die S-Bahn verlängern, sondern statt dessen eine Magnet- oder auch Hängebahn über die Siemensbahntrasse schweben lassen, käme neben einer (ähnlich wie bei der S-Bahn) sehr schlechten Flächenerschließung und der fehlenden Anbindung an das Spandauer Zentrum auch noch ein "garantierter Umsteigezwang" in ein weiteres Verkehrsmittel in Jungfernheide als Nachteil hinzu.
Die IGEB schlägt daher vor, die geplante Großsiedlung durch ein modernes Straßenbahnsystem zu erschließen. Neben einer sehr guten Flächenerschließung gewährleistet eine moderne Tram auch eine hohe Reisegeschwindigkeit durch stauunabhängiges Fahren auf überwiegend eigenen Trassen und Vorrangschaltungen. Durch umsteigefreie Direktverbindungen zu den wichtigsten Zielgebieten bietet sie eine sehr viel höhere Attraktivität durch kurze Reisezeiten. Und schließlich sind die gute Haltestellenzugänglichkeit und die problemlose Integration in das Stadtbild weitere Pluspunkte für die Tram. Wegen der vergleichsweise niedrigen Investitionskosten der Tram kann auch sichergestellt werden, daß eine attraktive ÖPNV-Anbindung zeitgleich mit dem Entstehen der neuen Siedlungen realisiert werden kann.
Vorgeschlagen werden zur Erschließung der Wasserstadt zwei Tramlinien: Vom Spandauer Zentrum kommend, verzweigen sich die beiden Straßenbahnlinien am westlichen Rand der Wasserstadt. So wird der nördliche Teil des Planungsgebietes zu beiden Seiten der Havel erschlossen. Auf dem östlichen Havelufer kreuzen beide Linien einander im Zentrum der Wasserstadt, so daß von dort aus sämtliche Teile der Großsiedlung ohne Umsteigen in Direktfahrt mit der Bahn zu erreichen sind. Die eine Linie fährt auf dem östlichen Havelufer durch den Südteil der Siedlung zum U-Bf. Haselhorst (V7), die andere durchfährt zusätzlich das Zentrum der bestehenden Siedlung Haselhorst und schwenkt erst zwischen den ehemaligen S-Bahnhöfen Gartenfeld und Siemensstadt auf die Trasse der Siemensbahn.
Legt man die Eckdaten eines Siedlungsentwurfs des Bezirksamts Spandau zugrunde, sind bei dieser Straßenbahnführung 3/4 der Wasserstadt nicht mehr als 300 Meter von der nächsten Haltestelle entfernt, 92% der Fläche sind maximal 500 m von einer Haltestelle entfernt. Darüber hinaus bietet die Tram neue Verbindungen für Haselhorst und eine verbesserte Bedienung des Straßenzuges Streit-/Neuendorfer Straße. Das Verkehrsaufkommen ist dort bereits jetzt so groß, daß es mit einer Straßenbahn wirtschaftlicher zu bedienen ist als mit Bussen. Mit dem zusätzlichen Verkehr aus der Wasserstadt wird der Betriebskostenvorteil der Tram noch größer.
Um ihre Vorteile ausspielen zu können, muß die Tram aber bereits beim Siedlungsentwurf berücksichtigt werden. Die IGEB hat daher modellhaft einen Stadtgrundriß für die Teile der Wasserstadt entworfen. Um die aus der optimalen Flächenerschließung heraus definierten Haltestellenlagen herum sollten Fußgängerbereiche für die Wohnschwerpunkte wie für die Schwerpunkte des öffentlichen Lebens entstehen. Um die Haltestellen herum sind die höchsten baulichen Dichten anzustreben. Nicht zuletzt sollte der Kreuzungspunkt beider Straßenbahnlinien im östlichen Teil des Planungsgebietes das Zentrum der Wasserstadt Oberhavel bilden.
Darüber hinaus sollte das Wegenetz nach Möglichkeit unter dem Gesichtspunkt kürzester Wege zu den Haltestellen angelegt werden. Insbesondere bei den zahlreichen trennenden Gewässern im Planungsgebiet ist auf optimal darauf abgestimmte Brückenführungen für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV unter Berücksichtigung naturräumlicher Belange Wert zu legen.
Die vorgeschlagenen Tramstrecken sind (einschließlich einer kurzen Verlängerung zur Waldsiedlung Hakenfelde) 16,6 km lang. Die Baukosten dafür würden großzügig geschätzt etwa 160 bis 210 Mio DM betragen - eine geringe Summe, wenn man berücksichtigt, daß das gleiche Geld, in eine U-Bahn investiert, gerade vom Rathaus Spandau bis zum Koeltzepark (etwa 1,5 km) ausreichen würde.
Ab Bf. Jungfernheide sollte die Tram dann die S-Bahn-Trasse wieder verlassen und im normalen Straßenplanum über Gauß- und Huttenstraße nach Moabit geführt und dort mit den aus dem Ost-Berliner Zentrum kommenden Linien verknüpft oder direkt nach Ost-Berlin verlängert werden. Die BVG sieht in ihrem Tramkonzept vor, 1998 den Straßenbahnbetrieb in der Turmstraße aufzunehmen. Da für die Wasserstadt mit ähnlichen Realisierungszeiträumen zu rechnen ist, kann die Wasserstadt-Tram also fort in das Gesamtnetz integriert werden!
Die IGEB hat mit dem vorliegenden Konzept für die Wasserstadt Oberhavel beispielhaft aufgezeigt, daß eine moderne Tram, die neben einer guten Flächenerschließung auch eine hohe Reisegeschwindigkeit durch eigene Trassen und Vorrangschaltungen ermöglicht, nicht nur ein besonders geeignetes Verkehrsmittel für neue Siedlungsgebiete ist, sondern wegen ihrer geringen Investitionskosten auch ein besonders preiswertes und schnell realisierbares. Analog ist diese Konzeption aber auch auf andere in der Stadt vorgesehene Projekte übertragbar, z.B. bei der geplanten Großsiedlung im Raum Niederschönhausen/Buchholz.
Das vollständige ÖPNV-Konzept der IGEB für die Wasserstadt Oberhavel ist erhältlich durch Überweisung von DM 5,- (incl. Versandkosten) auf das Postgirokonto Berlin 40797-101, BLZ 100 100 10 der GVE. Auf der Überweisung bitte das Stichwort "Wasser-Stadt" angeben und den Absender mit vollständiger Adresse nicht vergessen!
IGEB
aus SIGNAL 1/1992 (Februar 1992), Seite 2