Planung

Im Kreis drehen oder in die Röhre gucken?

Beim Kampf um das richtige Eisenbahnmodell für Berlin bleiben Politik- und Planungskultur auf der Strecke.


IGEB

1. Mär 1992

Derzeit ist es fast unmöglich, in einer Monatszeitschrift wie dem SIGNAL über die Eisenbahnplanung für Berlin zu schreiben. Denn fast täglich gibt es einen neuen Stand in den heftigen Auseinandersetzungen um das richtige Modell. Dennoch wagt die IGEB nun den Versuch einer ersten Bilanz, wohlwissend, daß in den rund 10 Tagen zwischen der Fertigstellung dieses Beitrages und der Auslieferung des Heftes sich bereits wieder grundlegende Veränderungen ergeben können.

In der "Verkehrswerkstatt" vom 24. Januar war es zu erahnen, inzwischen ist es zur Gewißheit geworden: Senator Haases frohe Botschaft, Bonn habe dem "Achsenkreuz-Modell" für Berlins Fernbahnzukunft grundsätzlich zugestimmt, erwies sich als voreilig und substanzlos.

Schon in der "Werkstatt" mußte Herr Kalender von der Senatsverkehrsverwaltung einräumen, daß das Bundesverkehrsministerium dringend darum gebeten habe, neben dem Bahntunnel unter dem Tiergarten (Lehrter Bahnhof) auch eine Trasse unter der Friedrichstraße zu prüfen. An der "Verständigung im Grundsatz" werde das indes nichts mehr ändern. Skeptiker wurden auf den 15. Februar verwiesen, denn an diesem Tag solle die Feinabstimmung mit der Bonner Konzeptkommission erfolgen.

Was der Regierende Bürgermeister höchstpersönlich dann am 17. Februar von seiner Bonn-Visite mitbrachte, war mager: der Bundesverkehrsminister hatte "zugestanden", daß im städtebaulichen Wettbewerb für das Regierungsviertel als "Option" ein Achsenkreuz am Lehrter Bahnhof berücksichtigt werden darf. Minister Krause selbst favorisierte allerdings immer noch einen zentralen Bahnhof Friedrichstraße - fürwahr eine detaillierte Feinabstimmung!

Die Vorfrühlings-Sonne der darauffolgenden Tage brachte dann das ganze Ausmaß des Dissenses zwischen Berlin und Bonn ans Licht: strittig sind jetzt nicht mehr bloß zwei verschiedene Varianten des Achsenkreuzes, sondern das Modell selbst. Die Bundesregierung wünscht Alternativ-Vorschläge. Für Tunnelröhren durch die Innenstadt, an welcher Stelle auch immer, soll es kein Geld geben. Außerdem, so wird im Verkehrsministerium geschätzt, würde die vom Senat favorisierte Untertunnelung des östlichen Tiergartens den Bau des Regierungsviertels um fünf Jahre verzögern.

Auch innerhalb des Berliner Senats gehen die Meinungen auseinander, ob das Achsenkreuz überhaupt politisch durchsetzbar ist. Vor der SPD-Fraktion plädierte Bausenator Nagel dafür, die Idee fallen zu lassen. Zwar versicherte Senatssprecher Flämig kurz darauf, nach wie vor stünden beide Koalitionsparteien und auch die F.D.P. zum Achsenkreuz, doch wie aussagekräftig ist das noch? Formulierungen wie "optimale Lösung", aber vielleicht nur ein Tunnel als "Vorrat im Rohbau", verraten Rückzugstendenzen.

Die verkehrspolitische Sprecherin der Berliner SPD, Frau Zillbach, beharrt auf der Trasse unter dem Tiergarten, spricht aber von Flexibilität bei der Wahl der Verknüpfungspunkte mit dem übrigen Schienennetz. - Ja wie denn? Sollen die Züge im Ernst ohne Halt den Lehrter Bahnhof umfahren, um vielleicht in Gesundbrunnen oder Papestraße zu stoppen? Wo bleibt dann die als so wichtig eingestufte Umsteigemöglichkeit zwischen Nord-Süd- und Ost-West-Verkehr? Bekanntlich sind bei allen sonstigen Unsicherheiten wenigstens die Pläne für den "InterCityExpress" auf der Stadtbahn sehr konkret.

Von diesem Eiertanz ganz abgesehen: Einige der von der Scnatsverkehrsverwaltung vorgetragenen Gründe für den Fernbahntunnel unter dem Tiergarten waren von Anfang an fragwürdig. Da wurde behauptet, er sei mit einem Investitionsvolumen von ca. 5 Milliarden D-Mark die billigste aller untersuchten Lösungen. Ein konkreter Kostenvergleich mit den anderen Vorschlägen - vor allem denen, die auf dem Ausbau des inneren Eisenbahnrings basieren - wurde nicht vorgelegt. Deren engangierteste Verfechter sehen sich bei den im Senatsauftrag durchgeführten Untersuchungen ohnehin übergangen. So vermissen sowohl die Bürgerinitiative Westtangente ("Ring-Konzept 720") als auch die S.T.E.R.N. GmbH ("Zwiebel-Modell") die ernsthafte Auseinandersetzung mit ihren Konzepten. Ihnen wird als Nachteil angekreidet, daß sie zwar Aspekte der Stadtstruktur, zu wenig aber bahntechnische Belange berücksichtigen. Beispielsweise seien zur kreuzungsfreien Einfädelung der Fernzüge auf den Ring sehr aufwendige Bauten nötig. - Und beim Achsenkreuz- Modell? Immerhin müßten alleine vier Tunnelröhren für Fern-, Regional-, S- und U-Bahn aufeinander abgestimmt werden. Die Erschließung des Lehrter Bahnhofs per Straße käme hinzu. Es würde ein zentraler Verkehrsknoten entstehen mit - nach Auffassung von Experten aus dem Hause Krause - nicht mehr beherrschbaren Problemen.

Angesichts der buchstäblich verfahrenen Planungssituation ist es doch tröstlich, was die "Deutsche Eisenbahn-Consult Berlin" - immerhin Verfasserin des Achsenkreuz-Konzepts - jetzt herausgefunden hat: Zumindest für "Olympia 2000" würden zur Bewältigung des Besucherverkehrs der Ausbau und die Reaktivierung vorhandener Bahnanlagen ausreichen. DE-Consult geht davon aus, daß der Fernbahntunnel im Jahr 2000 noch nicht fertig ist, aber trotzdem täglich 250 InterCity-, InterRegio- und andere Fernzüge das "Grundangebot" bilden, sogar für Sonderzüge sei dann noch Platz! Fahren sollen sie über die Stadtbahn und den zweigleisig hergerichteten Innenring. Allerdings: nötig sei schon die Wiederherstellung der Lückenschlüsse auf den wichtigen Zulaufstrecken. Nachzulesen ist's im "Olympischen Verkehrskonzept Berlin 2000", einer Zusammenfassung von Referaten, die am 25. Januar im Roten Rathaus gehalten wurden.

Der dort residierende Senat zieht daraus hoffentlich den Schluß, daß zuallererst die immer noch unterbrochenen Schienenwege nach und in Berlin wieder funktionieren müssen. Es wäre fatal und nicht hinnehmbar, wenn sich das bewahrheitet, was jetzt als "Kompromiß" gehandelt wird: Bonn hält daran fest, daß in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht mehr als rund 11 Milliarden DM für die Fernbahn im Raum Berlin zur Verfügung gestellt werden, und der Senat streicht so viele Maßnahmen (darunter den Südring-Ausbau für Fernzüge und diverse Bahnhofsprojekte), bis das Geld für die Realisierung eines viergleisigen Nord-Süd-Tunnels einschließlich Lehrter Bahnhof reicht. Damit wäre das eingetreten, was Skeptiker seit Beginn der Diskussion erwarten: Schnell realisierbare Verbesserungen im Eisenbahnreiseverkehr werden zurückgestellt oder ganz aufgegeben, um irgendwann zu Beginn des nächsten Jahrhunderts das reine Achsenkreuz in Betrieb nehmen zu können - mit einem Lehrter Bahnhof, der faktisch ein Zentralbahnhof ist.

IGEB

aus SIGNAL 2/1992 (März 1992), Seite 8-10