Aktuell
1. Mai 1992
Eigentlich sollte die S-Bahn ja erst 1993 wieder von Wannsee nach Potsdam fahren, und eigentlich sollte die Strecke ja gleich richtig ausgebaut werden: zweigleisig mit Dammverbreiterung zwischen Griebnitzsee und Babelsberg, einem neuen Bahnhof und drei neuen Brücken in Babelsberg usw. (vgl. SIGNAL 2/90 ). Aber dann wurde den führenden Politikern in den Ländern Brandenburg und Berlin klar, daß diese prominenteste aller unterbrochenen S-Bahn-Strecken schneller wieder befahrbar sein muß. Mit dem öffentlichen Druck im Rücken rangen sie sich zu einem Machtwort durch, und schon wurde eine Lösung für eine schnellere Wiederinbetriebnahme gefunden. Womit nach 1984/85 erneut bewiesen wäre, daß die Verwaltungen, die Betreiber und die Baufirmen durchaus fähig sind, Lösungen zu finden, sobald die Politiker einmal fähig sind, sich für die schnelle S-Bahn-Wiederinbetriebnahme zu entscheiden.
Daß mit der schnellen Wiederinbetriebnahme zunächst nur ein 20-Minuten-Takt angeboten werden kann, ist zwar nicht bedarfsgerecht, aber in jedem Fall besser, als noch ein weiteres Jahr auf die S-Bahn zu warten. Im übrigen ist für die Taktverdichtung der vollständige Ausbau auf zwei Gleise nicht zwingend. Die Hamburger S-Bahner zeigen, daß auch mit eingleisigen Abschnitten ein 10-Minuten-Takt möglich ist.
Wasser auf die Mühlen der Kritiker einer schnellen S-Bahn-Wiederinbetriebnahme waren natürlich die zahlreichen Betriebsstörungen nach dem 1. April. Doch wenn man die Bauarbeiten über Monate verfolgt hat, muß man sich fragen, warum lange Zeit nur im Schneckentempo gearbeitet wurde und erst in den letzten Wochen mit einem solchen Hochdruck, daß Mängel die zwangsläufige Folge waren. Auch sollte nicht vergessen werden, daß der Termin 1. April wenig mit den Fahrgastforderungen, aber viel mit dem Terminkalender des Bundesverkehrsministers Krause zu tun hatte. Deshalb war es ein besonderer Affront des Herrn Krause, daß er dann doch nicht erschien.
Doch trotz aller Ärgernisse, nicht zu vergessen sind die Berliner Unverschämtheiten im Umgang mit den Politikern der Stadt Potsdam bei der Vorbereitung der Feierlichkeiten, wird der 1. April 1992 als ein Erfolgsdatum in die Berliner S-Bahn-Geschichte eingehen. Fast 31 Jahre nach dem Mauerbau und gut ein Jahr früher als ursprünglich geplant, ist es nun wieder möglich, von Berlin (und von Erkner!) mit der S-Bahn in das 999 Jahre alte Potsdam zu fahren.
Zugleich geht damit für die West-Berliner eine mehr als 7-jährige Pause im S-Bahn-Ausbau zu Ende. Seit der Wiederinbetriebnahme der Wannseebahn am 1.2.1985 warteten sie vergeblich auf weitere Strecken, denn Senat und BVG hatten sich geschworen, daß es nie wieder einen einfachen S-Bahn-Ausbau, gar mit Provisorien, geben sollte. Mit der schnellen S-Bahn-Wiederinbetriebnahme von Wannsee nach Potsdam wurde also auch in dieser Hinsicht ein wichtiges Zeichen gesetzt. Wohl niemand unter den am 1. Februar 1985 feiernden Fahrgästen hatte erwartet, daß es bis zu einem solchen Durchbruch mehr als 7 Jahre dauern würde, aber wohl auch niemand hatte sich vorstellen können, daß die nächste S-Bahn-Wiederinbetriebnahme nach Potsdam führt!
IGEB
aus SIGNAL 3/1992 (Mai 1992), Seite 4-9