Planung
Von Bund und Land wird derzeit hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der Fahrgastverbände an Plänen für einen Verkehrs- und Tarifverbund mit dem vorläufigen Namen Verkehrsverbund Region Berlin gearbeitet, die eine deutliche Verschlechterung des Tarifgefüges im Öffentlichen Personennahverkehr erwarten lassen. Aus diesem Grund hat der Berliner Fahrgastverband IGEB e.V. ein Konzept für einen Verkehrsverbund Spree-Havel (VSH) vorgestellt, das sowohl dem umweltpolitischen Ziel, möglichst viele Autofahrer zum Umsteigen in Öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen, als auch den Belangen der Fahrgäste gerecht wird.
1. Mai 1992
Gegenwärtig können Fahrgäste insbesondere aus dem Berliner Umland ihr Ziel im Regelfall nur durch mehrfaches Umsteigen, wiederholtes Warten auf Anschlüsse und häufigen Verzicht auf einen Sitzplatz erreichen. Für jede Benutzung einer Buslinie außerhalb Berlins und Potsdams muß ein besonderer Fahrschein gelöst werden. Diese gegenwärtig vorhandene erhebliche Schlechterstellung des Nahverkehrsnutzers gegenüber einem Autofahrer muß unbedingt abgebaut werden.
Der Geltungsbereich des VSH sollte deshalb neben den bisherigen Anbietern BVG, DR, ViP und den Straßenbahnbetrieben Woltersdorf, Schöneiche und Strausberg alle Verkehrsangebote rund um Berlin, d.h. alle dort verkehrenden Linien privater und kommunaler Verkehrsanbieter und alle Nahverkehrsangebote der DR, soweit sie in diesen Bereich hineinragen, umfassen. Neben einer Vielzahl von Buslinien kommen somit auch Schienenstrecken der Deutschen Reichsbahn, die außerhalb des bisherigen S-Bahn-Tarifs liegen, hinzu. Zur Benutzung mit den Fahrausweisen des VSH zugelassen sind alle Nahverkehrs-, Regionalbahn-, Eil- und Regionalschnellbahnzüge. Dabei wird davon ausgegangen, daß das Verkehrsangebot der Landkreise rund um Berlin vollständig in den VSH einbezogen wird. Nur diese Konstruktion stellt eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand dar.
Der Verkehrsverbund Spree-Havel sollte in der Rechtsform einer GmbH gegründet werden. Gesellschafter dieser GmbH sollte neben den Ländern Berlin und Brandenburg, den Kommunen und Landkreisen rund um Berlin auch die Bundesrepublik Deutschland sein. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland ist notwendig und muß auch ausdrücklich im Hauptstadtvertrag mit Berlin festgelegt werden, da durch die Hauptstadtrolle Berlins besondere Anforderungen an den öffentlichen Personennahverkehr gestellt werden und besondere Belastungen zu ertragen sind. Alle Gesellschafter unterliegen einer politischen Kontrolle und müssen über ihre Entscheidungen zum Nahverkehr Rechenschaft ablegen. Zusätzlich muß ein Aufsichtsrat der Verbund-GmbH geschaffen werden, der neben der Bestellung der Vorstandsmitglieder ebenfalls Kontrollfunktionen wahrnimmt. In diesem Aufsichtsrat müssen die Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel mit Sitz und Stimme vertreten sein.
Kernaufgabe des Verkehrsverbundes Spree-Havel ist die Durchführung des Nahverkehrs innerhalb seines räumlichen Geltungsbereichs sowie die Herstellung fahrgastgerechter Verknüpfungen mit dem Eisenbahn-Personenfernverkehr. Um diese Aufgabe zu erfüllen, bestellt der Verbund Verkehrsleistungen bei den im Verbundgebiet vorhandenen Verkehrsbetrieben. Aus der Position als Nachfrager und Bezahler von Verkehrsleistungen resultieren für den Verkehrsverbund Spree-Havel folgende Aufgaben:
Der Verbund stellt eine Abstimmung des Angebots der einzelnen Verkehrsbetriebe sicher. Linienführungen und Fahrpläne der Verkehrsbetriebe müssen den tatsächlichen Bedürfnissen der Fahrgäste entsprechen und nicht "betrieblichen Notwendigkeiten". Der Verkehrsverbund kann aufgrund seiner Nachfragemacht das gegenwärtig vorhandene Taktchaos, das ständig zu verpaßten Anschlüssen und damit zu unkalkulierbaren Reisezeiten führt, durch ein einheitliches Taktsystem ersetzen. Dann gibt es im gesamten Verbundgebiet nur noch die Takte 5,10, 20, 60 und 120 Minuten. Daraus resultiert weiterhin eine drastische Vereinfachung der Fahrgastinformation und eine erheblich bessere Merkbarkeit des Fahrplans.
Der VSH koordiniert das Erscheinungsbild der Verkehrsbetriebe und legt Mindestanforderungen für die Fahrgastinformation fest. Dies gilt auch für einheitliche Liniennummern sowie für Umsteigehinweise von einem Verkehrsmittel (bzw. Verkehrsbetrieb) zum anderen.
Der VSH als Besteller von Verkehrsleistungen legt durch verbindliche Richtlinien fest, welche Fahrzeuge von den Verkehrsbetrieben eingesetzt werden dürfen und welche Ausstattungsmerkmale diese haben müssen. Grundsätzlich muß beim Fahrzeugeinsatz eine Sitzplatzgarantie für Fahrgäste außerhalb der Spitzenzeiten des Berufsverkehrs gelten. Die Bemessung des maximalen Fassungsvermögens eines Fahrzeugs muß von den Verkehrsbetrieben nach Sitzplätzen, in den Spitzenzeiten des Berufsverkehrs auch unter Hinzunahme von maximal 4 Stehplätzen pro m² erfolgen. Die gegenwärtig von einigen Verkehrsbetrieben praktizierte "Kartoffelsackideologie", die z.B. im Bereich der Berliner U-Bahn-Linien 7 und 9 die mögliche Fahrgastzahl nach dem zulässigen Gesamtgewicht des U-Bahn-Waggons berechnet, muß im Interesse der Fahrgäste schnellstens aufgegeben werden. Fabrikneu beschaffte Straßenbahnen und Busse, die nicht behindertengerecht sind, sind für die Fahrgastbeförderung im gesamten Verbundgebiet abzulehnen. Auch im Regionalverkehr der Deutschen Reichsbahn ist auf den Einsatz modernisierter fahrgastfreundlicher Fahrzeuge zu drängen.
Hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung der betroffenen Fahrgäste werden derzeit Pläne vorbereitet, den in Berlin und Potsdam geltenden Einheitstarif abzuschaffen und durch eine nach Entfernung gestaffelte Fahrpreisberechnung (Zonentarif) zu ersetzen. Diese "Lösung" wird von interessierter Seite nur in Betracht gezogen, um zu höheren Fahrgeldeinnahmen ohne verbessertes Verkehrsangebot zu gelangen. Für den Fahrgast und die einzelnen Verkehrsunternehmen sind dagegen mit Flächenzonentarifen überhaupt keine Vorteile, dafür aber eine Vielzahl von Nachteilen verbunden:
-Abschreckende Unübersichtlichkeit
des Tarifangebots.
Als Beispiel sei hier die Situation im Zeitkartenbereich
des Münchner Verkehrs- und
Tarifverbundes (MW) dargestellt. Allein
für die nicht ermaßigte Monatskarte gibt es
über 130 verschiedene Tarifstufen. Bei Einführung
eines solchen Systems müßten
künftig auch in Berlin die Fahrkartenautomaten
mit mehr als 20 weiteren Tasten ausgerüstet
werden, um allein sämtliche Einzelfahrscheine
anbieten zu können. Überprüfungen durch den
Fahrgast selbst wären nahezu
ausgeschlossen, da die vollständige
Unüberschaubarkeit solcher Systeme selbst
den Experten der Verkehrsbetriebe häufig
Rätsel aufgibt. Millionenbeträge wären erforderlich,
um die technischen Voraussetzungen
für einen Flächenzonentarif zu
schaffen. Die Ausrüstung aller Haltestellen
im Verbundgebiet mit Informationen über
Flächenzonentarife, Zahlgrenzen, neutrale
Haltestellen etc. verschlänge weitere Unsummen.
- Abschreckende Verteuerung der
Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.
Ein Flächenzonentarif nach Münchner Vorbild
würde bei den in Berlin üblichen Reiseweiten
von 6 bis 12 km etwa zu einer Verdoppelung
des Fahrpreises führen. So würde
eine Fahrt beispielsweise vom Savignyplatz
nach Erkner statt bisher 3 DM dann
über 5 DM kosten. Ähnliche krasse Preissteigerungen
sind auch für Monatskarten zu
erwarten.
- Abschreckende Wirkung für Pendler
aus dem Umland.
Besonders hart von einem Flächenzonentarif
getroffen werden Berufspendler aus dem
Umland, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln
ihren Arbeitsplatz ansteuern wollen.
Sie sind ohnehin durch ein erheblich
schlechteres Verkehrsangebot, viel weitere
Wege und deutlich längere Fahrzeiten stark
benachteiligt. Eine jetzt noch hinzukommende
unübersichtliche Tarifstruktur und
eine krasse Fahrpreiserhöhung würden auch
die letzten Gutwilligen vom öffentlichen
Nahverkehr verjagen. Wer dies als "mehr
Tarifgerechtigkeit" bezeichnet, verkennt
nicht nur die Bedürfnisse der Fahrgäste,
sondern will auch die Öffentlichkeit hinters
Licht führen.
Im Gegensatz zu Neugründungen von Verkehrsverbünden, z.B. im Westen Deutschlands, existiert für den Fahrgast in Berlin und Potsdam bereits ein Verbundangebot, daß lediglich mit geringem Aufwand erweitert werden muß. Insofern besteht zu einer völligen Umgestaltung des Tarifgefüges kein Anlaß. Ziel muß vielmehr die Einführung des in Berlin bewährten und in Potsdam etablierten Einheitstarifs im gesamten Gebiet des VSH sein. Dabei dürfen aus Abrechnungsproblemen keine Probleme für den Fahrgast herbeigeredet werden. Eine angeblich "leichtere Abrechnung" ist kein Argument für einen ungeheuer komplizierten Tarif.
Durch Einführung eines Verkehrsverbundes darf es daher unter keinen Umständen zu für den Fahrgast schwer durchschaubaren Angebotsstrukturen kommen. Leichte Erlernbarkeit und Begreifbarkeit sind oberstes Gebot. Gleichzeitig muß den Gegebenheiten des nun vergrößerten Verkehrsgebietes Rechnung getragen werden. Im Gegensatz zum Flächenzonentarif erfüllt die nachstehende Tarifstruktur diese Anforderungen vollständig.
Alle Fahrausweise des VSH werden als Zeitfahrausweise angeboten. Damit entfällt im gesamten Verbundgebiet die Notwendigkeit von komplizierten Ausschilderungen und Entwertern, Tarifgrenzenhinweisen sowie die Notwendigkeit, ein umfangreiches Angebot von Fahrausweisen mit unterschiedlichen räumlichen Geltungsbereichen beim Busfahrer und an jeder der über 1000 Verkaufsstellen im Verbundgebiet bereitzuhalten. Entwerter mit Zeitangabe sind unkompliziert und problemlos überall zu installieren. Im Gegensatz zu Flächenzonentarifen kann auch der Fahrgast ohne jede Mühe feststellen, ob die Geltungsdauer des Fahrausweises abgelaufen ist.
Ein Kurzstreckenfahrschein dient als "Einstiegsangebot" für den öffentlichen Nahverkehr im Verbundgebiet. Er gilt 30 Minuten ab Entwertung auf allen Linien, so daß die negativen Erfahrungen mit anderen Kurzstreckensystemen, die meist äußerst kompliziert sind und wenig Anklang Finden, vermieden werden. Ein derartiges attraktives Einstiegsangebot für kurze Fahrten löst alle Sonder- und Ausnahmetarife ab (z.B. das Ku-Damm-Ticket der BVG).
Die Zweistundenkarte, im BVG-Bereich bisher als Normaltarif bezeichnet, gilt 120 Minuten ab Entwertung und deckt zukünftig den mittleren Enfernungsbereich ab.
Die Einführung eines vier Stunden ab Entwertung gültigen Fahrausweises (Vierstundenkarte) deckt zum einen Fahrten über weitere Strecken ab, zum anderen kann dieses Ticket als "Vormittags-Netzkarte" angesehen werden und z.B. für Einkäufe oder Behördengänge benutzt werden.
Eine Halbtageskarte, gültig 12 Stunden ab Entwertung, stellt ein attraktives Angebot z.B. für Tagesausflüge dar.
Gegenwärtig gibt es im Bereich der BVG kein Angebot für Familien mit Kindern, das auch nur in irgendeiner Weise als attraktiv bezeichnet werden kann. Die "Familiengrundkarte", die derzeit angeboten wird, ist Ausfluß bürokratischen Denkens bei der BVG: Um Fahrten zum Ermäßigungstarif durchführen zu können, sind die Ausstellung einer Grundkarte und der Kauf monatlicher Wertmarken erforderlich. Wegen ihrer umständlichen Benutzung bleibt dieses Angebot ein Ladenhüter. Die ebenfalls gegenwärtig vorhandene "Familientageskarte" weist weitere gravierende Nachteile auf: Sie ist nicht überall erhältlich, gilt nur an Sonn- und Feiertagen und verbietet z.B. die kostenlose Mitnahme von Fahrrädern. All diese Fahrausweise werden zugunsten einer überall, also auch beim Busfahrer, erhältlichen Familienkarte abgelöst, die folgende Leistungsmerkmale aufweist: Sie gilt für eine Familie mit bis zu zwei Erwachsenen und beliebig vielen Kindern unter 14 Jahren 24 Stunden im Gesamtnetz des Verkehrsverbundes. Natürlich wird dieser Fahrschein unter dem Begriff "24-Stunden-Karte" auch einzelnen Fahrgästen angeboten.
Die herkömmliche Wochenkarte, die jeweils nur von Montag bis Sonnabend gültig ist, wird durch eine 7-Tage-Karte mit flexibler Gültigkeitsdauer je nach Wahl des Fahrgastes (also z.B. von Mittwoch bis Dienstag) abgelöst.
Die Monatskarte, gegenwärtig als "Umweltkarte" bezeichnet, ist derzeit das attraktivste Angebot der Verkehrsunternehmen. Diese Stellung muß auf jeden Fall erhalten bleiben. Verbesserungsbedürftig ist bei diesem Angebot einzig die starre Monatsbindung. Auch hier muß eine Flexibilisierung eingeführt werden. Monatskarten gelten zukünftig ab einem frei wählbaren Tag einen Monat lang (also z.B. vom 24.4. bis 23.5.). Diese Regelung würde die allmonatlichen Schlangen vor den Wertmarkenverkaufsstellen, für die die BVG derzeit zusätzliches Personal einsetzt, vollständig abbauen.
Auch bei der Jahreskarte muß eine Flexibilisierung hinsichtlich der zeitlichen Gültigkeit eingeführt werden. So sind Jahreskarten zukünftig ein Jahr ab einem beliebigen Tag gültig (also etwa vom 24.4.92 bis zum 23.4.93). Jahreskarte, Monatskarte und 7-Tage-Karte sind übertragbar.
Für die Ermäßigungstarife gilt, daß Kinder unter 6 weiterhin umsonst fahren. Kinder bis 14 und Schüler zahlen den Ermäßigungstarif, der bei allen Angeboten außer der Familienkarte die Hälfte des Normalfahrpreises beträgt. Die unsoziale Praxis der letzten Jahre, den Ermäßigungstarif stets überproportional zu verteuern, muß endlich beendet werden. Gepäckstücke und Fahrräder werden grundsätzlich kostenlos befördert. Für Hunde wird der Ermäßigungstarif erhoben.
Von speziellen Tarifen für Ausflugslinien ist abzusehen. Weder hat der Fahrgast dafür Verständnis, noch tragen sie zur Einnahmesteigerung des Verkehrsbetriebes bei. Zum Gesamtangebot, das mit allen Fahrausweisen nutzbar ist, gehören auch Ausflugslinien.
Gegenwärtig wird der gesamte Verwaltungsaufwand für die Ausgabe ermäßigter Sozial- und Arbeitslosentarife den Verkehrsunternehmen aufgebürdet, ohne daß sie dafür eine ausreichende Entschädigung erhalten. Zukünftig werden solche Fahrausweise von der Kommune ausgegeben, um die Verkehrsbetriebe von diesen Tätigkeiten zu entlasten. Die Fahrausweise werden von den Kommunen zum normalen Preis beim Verkehrsverbund erworben und zum ermäßigten Preis, der im Ermessen der ausgebenden Stelle liegt, an die Empfänger ausgegeben. An den Fahrkartenverkaufsstellen des Verbundes sind diese Angebote nicht erhältlich, es sei denn, die Kommune beauftragt den Verkehrsverbund, diesen Verkauf - gegen Entgelt natürlich - durchzuführen.
Gegenwärtig reduziert die BVG ihre Verkaufsstellen auf Bahnhöfen drastisch. Waren es 1990 noch mehr als 110 mit Personal besetzte Schalter, so kann man zukünftig nur noch an etwa 15 BVG-Verkaufsstellen in S- und U-Bahnhöfen Wertmarken kaufen. Diese Flucht vor dem Kunden ist eine der einschneidendsten Maßnahmen gegen die Interessen der Fahrgäste seit Abschaffung der Straßenbahn in West-Berlin 1967. Zukünftig soll eine einzige BVG-eigene Verkaufsstelle für mehr als 200.000 Berliner zuständig sein, eine völlig absurde Vorstellung. Daher werden nachfolgend Grundsätze der Verkaufspolitik genannt, die im ganzen Verbundgebiet, und somit auch für die BVG, Gültigkeit haben.
Das gesamte oben geschilderte Tarifangebot des Verkehrsverbundes (8 Normal- und 7 Ermäßigungsfahrscheine) muß an jeder Verkaufsstelle der Verkehrsbetriebe und an jeder privaten Verkaufsstelle erhältlich sein. Die gegenwärtige Zersplitterung in Zeitkartenausgabestellen, Wertmarkenverkaufsstellen und Fahrausweisverkaufsstellen mit jeweils unterschiedlichen Verkaufszeiten entspricht nicht den Bedürfnissen der Fahrgäste und ist überholt.
Über den gesamten Verbundraum hinweg müssen alle Verkaufsstellen der Verkehrsbetriebe einheitliche durchgehende Mindest-Öffnungszeiten haben, wie es z.B. die Bundesbahn praktiziert. Auch sollte in jedem Bahnhof stets eine mit Personal besetzte Verkaufsmöglichkeit sein. Dies kann auf schwächer frequentierten Bahnhöfen auch eine Verkaufsmöglichkeit für Fahrausweise am Zeitungs- oder Getränkekiosk sein (wie z.B. in Köln). Mit modernen Fahrscheindruckern kann ein Großteil des jetzt bestehenden Abrechnungsproblems gelöst werden. Die gegenwärtige Situation bei der BVG, daß Fahrkartenschalter mitten in der Hauptverkehrszeit wegen Personalwechsels und der damit verbundenen Übergabe halbstundenlang schließen, ist im Zeitalter der Computertechnik absurd.
Die jeweils nächstgelegenen privaten Verkaufsstellen sind in den Aushangfahrplänen der Verbundlinien zu nennen. Dies ist bei Verkehrsbetrieben seit Jahren üblich. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, warum die computergedruckten Haltestellenfahrpläne der BVG diese Information nicht enthalten.
Bei zu entwertenden Fahrscheinen gibt es derzeit zwei für den Fahrgast äußerst verwirrende Systeme: Bestimmte Fahrscheine darf er nach der geltenden Logik der BVG nicht entwerten (z.B. alle Fahrscheine aus Automaten). Andere Fahrscheine hingegen muß der Fahrgast entwerten (z.B. Kurzstreckenfahrscheine). Diese verwirrende Regelung muß dahingehend vereinheitlicht werden, daß ausnahmslos alle Fahrscheine vom Fahrgast selbst zu entwerten sind, wie dies auch in nahezu allen anderen Verkehrsverbünden üblich ist. Als zusätzlicher Vorteil kommt hinzu, daß dann auch alle Fahrscheine im Vorverkauf erhältlich sind. Dies wird gegenwärtig im Ostteil der Stadt praktiziert, stößt aber auf den Widerstand der BVG. Deren Behauptung, so könne die Diebstahlgefahr der Einzelfahrscheine verringert werden, ist absurd: Die Diebe stehlen dann eben Sammelkarten.
Öffentücher Personennahverkehr ist Teil der Daseinsvorsorge des Staates für seine Bürger. Diese Daseinsvorsorge muß aber finanziert werden. In Berlin und Brandenburg steht man nun vor der Frage, ob der öffentliche Nahverkehr weitestgehend aus Fahrgeldeinnahmen finanziert werden und nur ein Ausgleich der Unterdeckung durch den Staat erfolgen soll - dann setzt sich die bisherige verhängnisvolle Spirale aus höheren Preisen, weniger Fahrgästen, geringerem Angebot etc. unverändert fort - oder ob durch den Öffentlichen Nahverkehr auch der Schutz der Umwelt finanziert wird, indem möglichst viel menschenund umweltschädigender Autoverkehr auf umweltfreundliche Öffentliche Verkehrsmittel gelenkt wird.
Ein attraktives, gut organisiertes und fahrgastorientiertes öffentliches Nahverkehrssystem kann niemals so durchgeführt werden, daß die Fahrgeldeinnahmen die entstehenden Kosten decken. Insofern ist der Begriff "Defizit", der immer wieder gern benutzt wird, um den Verkehrsbetrieben ihre "Unwirtschaftlichkeit" nachzuweisen, falsch. Vielmehr handelt es sich um einen Zuschuß des Landes oder der Kommune, mit dem diese zum Ausdruck bringen, wie sehr ihnen die Daseinsvorsorge am Herzen liegt. Die Höhe dieses Zuschusses wird gegenwärtig dadurch bemessen, daß der Verkehrsbetrieb sich mehr oder weniger bemüht, sparsam zu wirtschaften und der Zuschußgeber am Jahresende den zum Ausgleich fehlenden Restbetrag übernimmt. Eine Kontrolle, ob der Verkehrsbetrieb die ihm zur Verfügung gestellten Gelder auch tatsächlich sinnvoll, nämlich im Sinne der Fahrgäste, ausgegeben hat, findet zu keinem Zeitpunkt statt.
Aus diesem Grund muß beim Verkehrsverbund Spree-Havel ein Umlageverfahren greifen, das die erforderlichen Zuschüsse danach bemißt, ob das erwünschte Ziel erreicht worden ist. Der Zuschuß ist demnach auf einen festzulegenden Betrag pro befördertem Fahrgast zu beschränken, um erstmals die Verkehrsbetriebe dazu anzuspornen, möglichst viele Fahrgäste zu befördern. Umlagen und Fahrgeldeinnahmen werden durch den Verkehrsverbund verwaltet und entsprechend den tatsächlichen Beförderungszahlen an die Betreiber verteilt.
Mit der Verwirklichung dieses Konzeptes wäre ein großer Schritt hin zu einem attraktiven öffentlichen Personennahverkehr in der Region zwischen Spree und Havel, die dem Verkehrsverbund auch den Namen geben sollte, getan.
Das vollständige Konzept ist durch Überweisung von DM 7,50 (incl. Porto und Verpackung) auf das IGEB-Konto 5826 05-102 beim Postgiroamt Berlin (BLZ 100 100 10) erhältlich. Bitte geben Sie auf der Überweisung Ihre Adresse vollständig an, damit unsere Post Sie erreicht.
IGEB
aus SIGNAL 3/1992 (Mai 1992), Seite 10-13