Nahverkehr
Die Berliner U-Bahn, im Februar 90 Jahre alt geworden, ist das Rückgrat des innerstädtischen Verkehrs der Stadt. Deshalb müssen die stillgelegten Strecken zwischen den Bahnhöfen Mohrenstraße und Wittenbergplatz sowie zwischen Schlesisches Tor und Warschauer Straße dringend wieder in Betrieb genommen werden. Auch der Ausbau vorhandener U-Bahn-Strecken ist grundsätzlich richtig. Anders sieht es jedoch bei Neubaustrecken aus. Angesichts der sehr hohen Investitions- und Betriebskosten muß jeder neue U-Bahn-Meter kritisch geprüft werden. Und da zeigt sich, daß so manche Neubauplanung fragwürdig oder gar unverantwortlich ist.
1. Mai 1992
In der Geschichte der Berliner U-Bahn gab es drei markante Neubauphasen: die erste vor dem 1. Weltkrieg, die zweite in den 20er Jahren und die dritte im Westteil der Stadt von 1953 bis 1984. Diese dritte Phase hat jedoch zu zahlreichen Fehlentwicklungen geführt, die bis heute Einfluß auf U-Bahn-Bau und -Planung haben.
Eine Metropole braucht unterschiedliche Verkehrsmittel für unterschiedliche Aufgaben. Das waren und sind in Berlin S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn und Bus. In West-Berlin hat man allerdings geglaubt, sich auf U-Bahn und Bus beschränken zu können. Dabei sollte die U-Bahn zusätzlich die Funktion von S-Bahn und Straßenbahn übernehmen. Denn die S-Bahn unterstand ja der Deutschen Reichsbahn der DDR und wurde deshalb seit dem Mauerbau 1961 boykottiert. Und die Straßenbahn behinderte den Autoverkehr und wurde deshalb abgeschafft. Damit der Straßenverkehr rollt, mußten die Fahrgäste also unter die Erde, was der Auszug aus dem Flächennutzungsplan von 1965 verdeutlicht.
Nun muß man fairerweise hinzufügen, daß die zweite Ebene anfangs noch nicht automatisch der Tunnel war. Die 1958 eröffnete Verlängerung der heutigen U6 von Kurt-Schumacher-Platz bis Tegel wurde immerhin überwiegend in Dammlage gebaut. Aber das blieb in West-Berlin auch die einzige Neubau-Strecke, die nicht als Tunnel realisiert wurde. Alle anderen oberirdischen Planungen, z.B. bei den U7-Verlängerungen nach Britz/Buckow/Rudow und nach Spandau, wurden zugunsten teuerer Tunnelbauten aufgegeben. Dadurch stiegen die Kosten, und das Fahren wurde unattraktiver, für die Fahrgäste wie auch für die U-Bahn-Fahrer.
Mit der Übernahme der S-Bahn durch die BVG bot sich in West-Berlin seit 1984 die erste Möglichkeit zur Kurskorrektur. Die U-Bahn brauchte nicht länger die S-Bahn als Regionalverkehrsmittel zu ersetzen, wofür sie wegen ihrer kurzen Bahnhofsabstände und den entsprechend langen Fahrzeiten ungeeignet ist. Seit 1990 bietet sich außerdem die Möglichkeit, auch der Straßenbahn in Berlin insgesamt wieder ihren angestammten Platz im Verkehrssystem zurückzugeben.
Doch stattdessen werden in den Ämtern der vereinigten Stadt U-Bahn-Pläne geschmiedet, als ob es nichts dringenderes gäbe, als die Tram im Ostteil Berlins abzuschaffen, und als ob die Stadt im Geld nur so schwimmen würde. Natürlich wäre es für einige Pankower Fahrgäste attraktiv, wenn die U2 bald nach Norden verlängert wird, aber die Kosten stehen derzeit in keinem Verhältnis zum Nutzen angesichts der vielen Mißstände in der Stadt.
Wirklich abenteuerlich sind jedoch die Pläne zur Verlängerung der U7 von Rudow nach Schönefeld. Wie zu schlechten West-Berliner Zeiten wird hier der U-Bahn die Aufgabe eines Regionalverkehrsmittels zugewiesen, und das in einem von der S-Bahn erschlossenen Gebiet.
Nachfolgend sollen deshalb das Pankower und das Schönefelder Projekt etwas genauer betrachtet werden, ferner die Planung für einen neuen U-Bahnhof auf der U2. Die anderen Planungen folgen zu gegebener Zeit.
IGEB
aus SIGNAL 3/1992 (Mai 1992), Seite 18