Nahverkehr
1. Mai 1992
Die Berliner Abgeordneten haben das Recht, dem Senat Fragen zustellen und darauf Antworten zu erhalten. Die Themen der Fragen sind ein Indikator dafür, welches Problem von besonderem öffentlichem Interesse ist, oder welcher Senator eine besonders umstrittene oder schlechte Politik macht. Auf Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) trifft alles zu, und deshalb hat er besonders viele Anfragen zu beantworten.
Seit einiger Zeit nun versucht Senator Haase dieses Grundrecht der Abgeordneten auszuhöhlen, indem er auf die sogenannten Kleinen Anfragen unvollständige oder gar falsche Antworten gibt. Der Abgeordnete Michael Cramer von der Oppositionspartei Bündnis 90/Grüne beklagt dies schon seit längerem. In letzter Zeit hat es aber auch die SPD getroffen, die immerhin Koalitionspartner der CDU ist. Dazu nachfolgend ein Beispiel aus mehreren. Im Herbst 1991 stellte die SPD-Abgeordnete Käthe Zillbach (SPD) eine Kleine Anfrage zu der Umbenennung von U-Bahnhöfen, die auf Weisung von Senator Haase kurzfristig und mitten in der Fahrplanperiode erfolgte:
"Trifft es zu, daß, um die Kosten der Umbenennung [am 3.10.91] gering zu halten und die Orientierung für die Fahrgaste zu erleichtern, geplant war, die Umbenennungen gemeinsam mit einem Fahrplanwechsel vorzunehmen ?"
Verkehrssenator Haase antwortete ihr: "Diese Absicht bestand. Der Senat hat sich aber aufgrund der teilweise quälend langen Diskussionen um die längst überfälligen, von den Bürgern immer wieder verlangten Rücknahmen von politisch belasteten Straßen- und Bahnhofsbenennungen zur Umbenennung von U-Bahnhofsnamen zum Jahrestag der deutschen Einheit entschlossen, weil er diese Diskussionen für den Bereich seiner Verantwortung beenden wollte."
Zillbach: "Welche Kosten sind mit dieser übereilten Aktion verbunden, und wie beurteilt der Senat die Vorwürfe von Fahrgastverbanden, daß der Senat auf der einen Seite von der BVG Einsparungen erwartet und sich andererseits durch diese Maßnahme als Kostentreiber betätigt, zumal außerdem auch noch mit weiteren Umbenennungen zu rechnen ist?"
Haase: "Das provisorische Anbringen der Folien für die neuen Bahnhofsnamen hat pro Bahnhof im Mittel knapp 2.900,- DM (incl. Mwst.) gekostet. Der Senat hält diese Ausgaben aus den zuvor genannten Gründen für vertretbar." (LPD vom 6.12.1991)
Mit beiden Antworten disqualifiziert sich Herr Haase als ernstzunehmender Politiker. Wenn es ihm wirklich nur darum ging, am 3.10.91 "politisch belastete" Bahnhofsnamen zu ändern, warum wurden dann die Stationen "Nordbahnhof" und "Frankfurter Tor" umbenannt? Auch die Antwort zu den Kosten der 9 Bahnhofsumbenennungen kann nicht befriedigen. Sie ist es wert, gründlicher betrachtet zu werden.
Herrn Haases Antwort ist so formuliert, daß der Eindruck entsteht, die ganze Aktion habe lediglich 9 x 2.900, also insgesamt 26.100 DM gekostet, und das sei ja wohl ein politisch zu rechtfertigender Betrag. Wenn nun einer dem Senator vorwerfen sollte, es seien doch viel mehr Maßnahmen nötig gewesen, die auch alle Geld gekostet hätten, dann dürfte der Senator sich darauf zurückziehen, daß er nie behauptet habe, daß das Anbringen der Folien die einzig notwendige Maßnahme gewesen sei. Aber Frau Zillbach habe nach den Kosten "dieser übereilten Aktion" gefragt, während alle anderen Kosten auch bei einer späteren Umbenennung entstanden wären.
Alles in Ordnung? Natürlich nicht. Denn Frau Zillbach hatte eindeutig die Gesamtkosten und nicht die Mehrkosten der Umbenennungsaktion wissen wollen. Aber selbst die Mehrkosten lagen wesentlich höher, weil die BVG z.B. nicht nur bei den Folien auf den Bahnhöfen, sondern auch bei den Netzspinnen in den Zügen Geld für Provisorien ausgeben mußte. Als unverdächtigen und kompetenten Zeugen für den Gesamtumfang der von Senator Haase ausgelösten Maßnahmen führen wir die BVG selbst an:
"Für die Verkehrsbetriebe sind solche Aktionen mit sehr viel mehr Aufwand verbunden, als man sich zunächst vorstellen mag. Allein die Sofortmaßnahmen nach der Umbenennung der neun U-Bahnhöfe vom 3.10.91 machten erforderlich, daß 100 Scheiben in den Fahrtrichtungsanzeigern auf den U-Bahnhöfen neu angefertigt und montiert werden mußten. Für 58 Bankschilder mußten Klebefolien mit den neuen Namen angefertigt werden. Namensschilder in den Zugangsbereichen der U-Bahnhöfe mußten korrigiert werden, und zwar sowohl 14 Emailleschilder wie auch 24 Transparentscheiben, die mit Klebestreifen oder Transparentfolien den neuen Bahnhofsnamen angepaßt wurden. Ähnliche Prozeduren ergaben sich bei 78 Übergleisnamensschildern. Darüber hinaus mußten Fahrtrichtungsanzeiger in den Fahrzeugen neu angefertigt werden, weil die U2 nun nicht mehr zur Otto-Grotewohl-, sondern zur Mohrenstraße fährt. Dazu kommen die Änderungen der Leitinformationen auf den Bahnhöfen und in den Verkehrsspinnen. Und natürlich auch die für den Fahrgast nicht sichtbaren betriebsinternen bis hin zu den Abkürzungen, an die sich die Kollegen in den langen Jahren gewöhnt haben." (BVG-Signal 1/92)
Diese lange Liste zeigt, wie ärgerlich es nicht nur für die Fahrgäste, sondern auch für BVG/BVB war, daß die Änderungen der Bahnhofsnamen so überfallartig und außerhalb eines Fahrplanwechsels erfolgen mußten. Wenn der Verkehrssenator dies alles verschweigt und lediglich einen Teil der Mehrkosten als Folge seines Aktionismus' benennt, dann täuscht er die Fragestellerin und die Öffentlichkeit - und zwar vorsätzlich!
IGEB
aus SIGNAL 3/1992 (Mai 1992), Seite 22-23