Fernverkehr
1. Jun 1992
Die brandenburgische Landesregierung führt derzeit ein Raumordnungsverfahren für einen neuen Großflughafen in der Region Berlin durch. Geprüft werden dabei die Standorte Schönefeld-Süd, Genshagener Heide, Sperenberg und Jüterbog. Die Standortentscheidung soll Ende 1992 fallen. Aus Sicht der IGEB scheiden jedoch drei der vier Standorte aus.
Der Standortentscheidung muß ein Flugverkehrskonzept nicht nur für Berlin, sondern für Ostdeutschland insgesamt zugrunde liefen. Insofern ist die Beschränkung auf Standorte südlich Berlins prinzipiell richtig, weil damit auch die Ballungsräume Dresden, Chemnitz, Leipzig und Halle angebunden werden können. Ein Flughafen östlich oder westlich Berlins ist abzulehnen, da dann wegen der vorherrschenden Wetterlagen die meisten An- und Abflüge über Berlin führen würden. Der unsinnige Vorschlag von Bundesverkehrsminister Krause, den Flughafen weit nördlich von Berlin, im dünn besiedelten Mecklenburg-Vorpommern bei Parchim zu bauen, ist lediglich ein Rechtfertigungsversuch für das überflüssige Transrapidprojekt und kann getrost übergangen werden.
Wie sich schon aus der Mitbedienung der Ballungsräume in Sachsen und Sachsen-Anhalt ergibt, muß der neue Flughafen ganz hervorragend mit den Eisenbahnmagistralen in Richtung Süden und Südwesten verknüpft sein. Dazu gehören vor allem die Dresdener und die Anhalter Bahn, aber auch die Potsdam-Magdeburger Strecke und eine einigermaßen akzeptable Erreichbarkeit aus den Richtungen Rostock, Stralsund und Frankfurt/Oder.
Mit einem überzeugenden Angebot von IC-, ICE- und ggf. Airport-Express-Zügen, mit im Flugschein enthaltenen Bahngebühren und mit einem Gepäckservice lassen sich dann die lästigen Kurz- und Mittelstreckenflüge auch als Zubringerverkehre vermeiden. Auch das Auto wird durch die relative Ferne des Flughafens von den Wohn- und Geschäftsorten der Kunden für den Zubringerverkehr an Bedeutung verlieren. Daß dieser Gedanke nicht abwegig ist, zeigt sich an der Sorge der Münchner Taxifahrer, beim neuen, weiter entfernten Flughafen München II viele Kunden an die S-Bahn zu verlieren.
Eine Bedingung für den Bau eines neuen Großflughafens ist natürlich die vollständige und endgültige Stillegung der Flughäfen und Flugplätze innerhalb Berlins. Dies war so auch vom rot-grünen Senat bereits im Januar 1990 in einem Senatsbeschluß formuliert worden und wurde von den Verkehrs- und Stadtentwicklungsministern Berlins und Brandenburgs nochmals bekräftigt. Wegen der unerträglichen Belastungen des Flugbetriebes gibt es weltweit kaum noch innerstädtische Flughäfen. Auf jeden Fall aber ist die Berliner Situation mit gleich zwei großen Landeplätzen mitten in der Stadt einzigartig und allem durch das jahrzehntelange "Eingemauertsein" bedingt. Nach dem Wegfall der Grenzen ist deshalb nun die schnellstmögliche Verlagerung des Luftverkehrs - zunächst nach Schönefeld das Gebot der Stunde. Auch für den Bau des Flughafens München II im Erdinger Moos war der Hauptgrund die nicht mehr hinnehmbare Belastung von ca. 200.000 Menschen in und um München-Riem. In Berlin werden vom Flugverkehr nach Tegel und Tempelhof sogar mindestens 1 Mio Menschen erheblich belastet. Vorsorglich ist auch auf den Sicherheitsaspekt hinzuweisen. Erst 1991 stürzte bei München-Riem wieder ein Flugzeug ab, wobei u.a. ein Restaurant und ein Linienbus in Flammen aufgingen. Sechs Tote und 30 Verletzte waren zu beklagen.
Von den zu prüfenden Flughafenstandorten sind hinsichtlich des Bahnanschlusses Schönefeld-Süd und der Militärflughafen Sperenberg negativ zu bewerten, da hier lange Neubaustrecken notwendig wären und die Intercity-Anbindung erhebliche Umwegfahrten erforderte. Das derzeitige Militärgelände Forst Zinna bei Jüterbog liegt demgegenüber fast optimal in der Nähe der wichtigsten Bahntrassen - neben den Auswirkung gen auf Natur und Raumstruktur ein scheidendes Kriterium. Die Entfernung des Standortes Jüterbog zu den Ballungszentren ist, auch im Vergleich zu München II oder ausländischen Städten, durchaus noch akzeptabel. Mit ICE-Geschwindigkeit wäre er selbst von Halle, Leipzig oder Dresden in rund einer 3/4 Stunde zu erreichen.
Auch die Genshagener Heide böte verkehrliche Vorteile. Der Eingriff eines Flughafenneubaus mit einem Flächenbedarf von immerhin rund 1.500 ha erscheint jedoch in dieser schutzwürdigen Landschaft nicht akzeptabel, zumal - wichtig für Berlin - dieser Raum als erweitertes Wasserschutzgebiet und als Freiraumzone vorgesehen ist. Zwar haben hier die angrenzenden Gemeinden bereits den Flughafenneubau gefordert. Dies dürfte sich jedoch schon bald als voreilig erweisen, wenn den Anwohnern die gravierenden Nachteile bewußt werden. Neben Lärm, Abgasbelastung und Versiegelung erfordert ein Flughafen der Größenordnung von München II die permanente Grundwasserabsenkung auf 2.000 ha, verbraucht Energie wie eine Großstadt mit 50.000 Einwohnern und erzeugt 10.000 t Müll pro Jahr. Und immer wieder lassen Flugzeuge vor Sicherheitslandungen tonnenweise Kerosin in der Nähe des Flughafens ab. Völlig überzogen sind Versprechungen von 50.000 Arbeitsplätzen durch den Neubau. In München-Riem sind z.Zt. 7.200 Menschen beschäftigt, in München II werden es etwa 12.000 sein.
Zusammenfassend ergeben sich für den geplanten Großflughafen folgende Mindestanforderungen unter verkehrlichen und umweltpolitischen Gesichtspunkten, wobei zu bedenken ist, daß jede umweltbedingte Auflage, die durchgesetzt werden kann, nicht nur den Anwohnern nutzt, sondern indirekt auch der Förderung des Eisenbahnverkers dient:
Darüber hinaus muß in Deutschland insgesamt endlich die Subventionierung des Flugverkehrs beendet werden. Es ist unbegreiflich, daß die Verkehrsluftfahrt noch immer von der Mineralölsteuer befreit ist.
aus SIGNAL 4/1992 (Juni 1992), Seite 14-15