Aktuell
1. Dez 1992
Zum Jahresende wird die Tramlinie 84 (Altglienicke - Friedrichshagen) zwischen Altglienicke und Schloßplatz Köpenick eingestellt. Endgültig entfallen soll zwar nur der Abschnitt zwischen Altglienicke und S-Bf. Adlershof, aber da es der Verkehrssenator versäumt hat, am S-Bf. Adlershof eine Wendeschleife zu bauen und die BVG die (noch) vorhandenen Zweirichtungswagen nicht einsetzen will, wird auch der Abschnitt zwischen S-Bf. Adlershof und Schloßplatz Köpenick "vorübergehend" stillgelegt. Der Anlaß für die erste Streckenstillegung seit der Vereinigung ist die Baufälligkeit der Altglienicker Brücke über den Teltowkanal.
Zu kritisieren ist vor allem die Einstellung zwischen Schloßplatz Köpenick und S-Bf. Adlershof, zum einen wegen der großen verkehrlichen Bedeutung dieses Abschnittes, zum anderen, weil die Einstellung durch rechtzeitigen Bau einer Wendemöglichkeit am S-Bf. Adlershof vermeidbar gewesen wäre. Bei der Linie 84 wird wieder deutlich, welche negativen Folgen die Entscheidung des Verkehrssenators haben kann, die Berliner Straßenbahn nur mit Einrichtungsfahrzeugen zu betreiben: Einrichtungsfahrzeuge brauchen eine Wendeschleife oder ein Wendedreieck, und trotz eines in diesem Fall langen Planungsvorlaufs von über einem halben Jahr ist der Verkehrssenator nicht in der Lage, eine solche provisorische Wendemöglichkeit zu schaffen.
Allerdings könnte die Unwilligkeit oder Unfähigkeit des Verkehrssenators in diesem Fall durch die BVG ausgeglichen werden, wenn sie ihre restlichen alten Zweirichtungsfahrzeuge hier noch einmal bis zur Fertigstellung der Wendeschleife einsetzen würde. Zwar ist die Sorge berechtigt, daß der Verkehrssenator das Thema Wendeschleife dann weiterhin ruhen läßt, doch mit der konsequenten Haltung der BVG gibt es keine Gewinner, aber sehr viele Verlierer: die Fahrgäste - und die Umwelt.
Zugestehen muß man der BVG allerdings, daß sie sich - im Gegensatz zum Verkehrssenator - frühzeitig um die rechtzeitige Schaffung einer Wendemöglichkeit am S-Bf. Adlershof bemüht hat. Bereits seit August liegt ein im Auftrag der BVG erstelltes Gutachten vor, in dem mehrere Varianten für die Anlage einer Wendeschleife im Bereich des S-Bahnhofs untersucht worden sind. Einige Lösungen zur Anlage der Wendeschleife wären nach Ansicht des Gutachten ohne Grunderwerb kurzfristig realisierbar und würden somit eine Aufrechterhaltung des Betriebes zwischen Schloßplatz Köpenick und S-Bf. Adlershof erlauben. Bis heute wurde von der zuständigen Senatsverkehrsverwaltung jedoch noch keine Entscheidung vorbereitet oder gar getroffen.
Das traurige Ergebnis: Obwohl die BVG die Strecke als wichtigen Bestandteil einer tangentialen Netzverknüpfung bis nach Rudow ansieht, richtet man sich dort - das Arbeitstempo der Verkehrsverwaltung wohl richtig einschätzend - auf eine lange Streckenstillegung zwischen Köpenick und Adlershof ein, denn als Ersatz wird es keine SEV-Linie geben. Ab 1.1.93 wird der stillgelegte Streckenabschnitt durch eine veränderte Linienführung des 160ers bedient. Statt der "Elektrischen" wird also auf unabsehbare Zeit ein qualmender Dieselbus die dann in der Mehrzahl stehenden Fahrgäste durch den Stau befördern.
Diese erste Stillegung des umweit- und fahrgastfreundlichsten Verkehrsmittels wird wohl nicht die letzte sein. Verkehrssenator Haase hat die Weichen dafür gestellt, indem er die GVFG-Gelder für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs weiterhin fast ausschließlich in den Bau von gigantischen Tunnelprojekten stecken und die Modernisierung sowie den Ausbau der Tram fast vollständig aus dem immer angespannteren Berliner Landeshaushalt finanzieren will. Mit der Stillegung einzelner Streckenäste aber wird dem Straßenbahnnetz vor allem in den Außenbezirken sehr schnell die wirtschaftliche Basis entzogen. Das Potential, gerade auch des jetzt betroffenen Köpenicker Tramnetzes, sind die einzelnen Zulaufstrecken, die in den Zentren gebündelt werden und die die Wirtschaftlichkeit des Gesamtnetzes gewährleisten.
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1992 (Dezember 1992), Seite 4-5