Schienenverkehrswochen 1992

Bilanz 1992: Viele Pannen, dennoch großer Erfolg


PRO BAHN
Landesverband Berlin

1. Dez 1992

Mit über 7.000 Besuchern bzw. Teilnehmern gehören die 9. Berliner Schienenverkehrs-Wochen, die vom 29. August bis 27. September stattfanden, zu den erfolgreichsten. Am Gelingen hatten die Reichsbahndirektion Berlin und der Bahnhof Berlin Hbf wesentlichen Anteil, indem sie die Öffentlichkeitsarbeit unterstützten und den exponierten Veranstaltungsort im Berliner Hauptbahnhof bereitstellten.

Anders als in den vergangenen Jahren nahm das Thema Eisenbahn großen Raum ein. Schon der Sprechtag für Bahnreisende am 14. September war außerordentlich gut besucht. Aber der Vortrag der Rbd Berlin zur Eisenbahnkonzeption am 23. September stellte alles in den Schatten: Schon einige Zeit vor Beginn des Referates von Herrn Funk gab es trotz über 100 Stühlen nur noch Stehplätze. Aber auch die anderen Referenten und Diskutanten, sie kamen vom Bundesverkehrsministerium, von der DR-Zentrale und der Rbd Berlin, der BVG, dem ViP (Verkehrsbetrieb Potsdam), aus der brandenburgischen Kommunal- und Landespolitik sowie der Industrie, hatten einen oft großen und stets interessierten und diskussionsfreudigen Zuhörerkreis.

Schwerpunktthema beim Nahverkehr war die Tram. Neben den Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen gab es eine Ausstellung im STADT TOR, die vom österreichischen Verband FAHRGAST bereitgestellt wurde. Aber auch die S-Bahn kam nicht zu kurz. Es gab den S-Bahn-Tag in Spandau und den traditionellen Sprechtag Für die Fahrgäste, wahrscheinlich letztmalig mit zwei Betriebsleitern. Ein weiterer Höhepunkt war die Kommunalkonferenz in Mahlow am Abend der S-Bahn-Wiederinbetriebnahme von Lichtenrade nach Blankenfelde. Zahlreiche Exkursionen und Sonderfahrten ermöglichten Eindrücke am Objekt und gipfelten wieder in den fast schon traditionellen Fahrten über die Heidekrautbahn und zur Berliner Patenstrecke, der Mügelner Schmalspurbahn.

Dennoch werden die 9. als "Pannenwochen" in die Geschichte der Schienenverkehrs-Wochen eingehen. Ein wesentlicher Grund ist das verkehrspolitische Chaos in Berlin. Bereits avisierte und z.T. zugesagte Referenten erschienen nicht, weil sie von Verkehrssenator Haase und Bausenator Nagel einen Maulkorb erhalten hatten. Während es aus dem Hause Nagel hieß, man hätte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts öffentlichkeitsrelevantes zu vermelden, mußte bei der Absage aus dem Hause Haase ein vermeintlicher Formfehler bei der Einladung herhalten. Ferner wurde die bereits genehmigte Sonderfahrt auf der Goerzbahn, veranstaltet von der dort ansässigen Märkischen Kleinbahn, von Haases Bahnaufsichtsbehörde mit fadenscheiniger Begründung einen Tag vorher wieder abgesagt. Diese ohnehin den Ruf der Ungleichbehandlung Berliner Eisenbahnvereine "genießende" Behörde unterstellte der MKB, auf "eigener" Strecke unkundig zu sein und die technische Sicherheit nicht gewährleisten zu können. Daß die Fahrt dennoch stattfinden konnte, ist der DR zu verdanken.

Foto: Mario Lange
Bus und Bahn im Dienst der 9. Schienenverkehrs-Wochen. Zum Auftakt am 29. August wurde eine ausgedehnte und abwechslungsreiche Rundfahrt im Raum Zehlendorf/Teltow/Potsdam geboten. Foto: Bernhard Strowitzki

Am Berliner S-Bahn-Tag am 6. September in Spandau wurde Senator Haases Boykott fortgesetzt. Von der Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe bereits Wochen zuvor angebotene Planunterlagen zur Ausstellung auf der S-Bahn-Veranstaltung standen auf einmal, als es um die Abholung ging, aus Zeitgründen (es war Freitagmittag) nicht mehr zur Verfügung. Nachzutragen ist, daß natürlich auch zur Eröffnung der Berliner Schienenverkehrs-Wochen in Potsdam kein einziger der geladenen Berliner Politiker anwesend war. Die mangelnde Courage der politisch Verantwortlichen, sich der öffentlichen Diskussion zu stellen, war in so konzentrierter Form und über die Parteigrenzen hinweg noch niemals zu verzeichnen.

Es gab aber noch weitere Pannen, die z.T. große Verärgerung bei den Besuchern, aber auch bei den veranstaltenden Verbänden hervorriefen. Zwar wies PRO BAHN stets darauf hin, daß die Berliner Schienenverkehrs-Wochen ehrenamtlich und ohne öffentliche Unterstützung entsprechend unprofessionell durchgeführt werden, doch gingen einige Ereignisse zugegebenermaßen an die Schmerzgrenze. So konnte beispielsweise auf dem Berliner S-Bahn-Tag am 6. September nicht alles gehalten werden, was versprochen war. Daß zumindest die Nutzung des Spandauer Hauptbahnhofs und die Gestellung eines S-Bahn-Zuges der DR klappte, war dem persönlichen Einsatz der Abteilungsleiterin Immobilien der Verwaltungsstelle des ehem. Reichsbahnvermögens, Frau Pliete, und dem Hauptabteilungsleiter Nahverkehr der Rbd Berlin, Herrn Dr. Matthaeus, zu verdanken. Somit konnte dieser Tag mit mehr als tausend Besuchern wenigstens stattfinden. Nicht erfolgen konnten zum Leidwesen aller Interessenten die Sonderzugfahrten auf dem Südring und auf dem Nordring. Während die Absage der Fahrt auf dem Südring durch die Rbd Berlin wegen Bauarbeiten bereits zwei Wochen vorher erfolgte, kam das Aus für die Nordringfahrt am Vorvorabend des S-Bahn-Tages. Begründung hierfür war die abschlägige Entscheidung des örtlichen Personalrats. Die Rbd hatte zwar den 4. Oktober als Ersatztermin angeboten, weil an diesem Tage ein anderer Verein für seine Sonderfahrten die Überstunden auf dem Stellwerk ohnehin erforderlich macht, aber aus dieser Fahrt wurde auch nichts. Zwar wurde ein Stellwerk für den einen Verein am Sonntag besetzt, ein anderes Stellwerk derselben Dienststelle konnte jedoch für die zugesagte Nachholfahrt auf dem Nordring nicht arbeiten ...

Unter den Titel Strecke ohne Ende zeigte das S-Bahn-Museum während der Schienenverkehrs-Wochen im Bahnhof Eichgestell des Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ) in der Wuhlheide seine Ausstellung über die Ringbahn. Auf mehr als 30 Tafeln wurde anhand von Schwarzweiß- und Farbfotos, Plänen und Zeichnungen über Vergangenheit und Gegenwart von Strecken und Bahnhöfen informiert. Zwar fanden wegen des etwas abgelgenden Ausstellungsortes weniger Besucher als erhofft den Weg in die Wuhlheide, die Kritik war jedoch durchwegs positiv. Anläßlich der für Dezember 1993 vorgesehene Wiederinbetriebnahme des Südringes soll die Ausstellung deshalb noch ausgebaut werden. Beiträge aus dem Kreis der SIGNAL-Leser sind dazu durchaus gewünscht. Foto: Mario Lange

Besonders ärgerlich war auch, daß die Fahrpläne für die bereits im Juli bestellten Sonderfahrten für die Schienenverkehrs-Wochen oft erst in der Woche kamen, in der die Fahrten durchgeführt wurden. Der Vorlauf für Werbung und Verkauf war damit nicht mehr ausreichend. So mußten z.B. die brandenburgische Oder-Neiße-Tour am 12. September und die Tour über die Brandenburgische Städtebahn am darauffolgenden Tag ausfallen. Der Sondertriebwagen anläßlich des Berliner Bahnmarkts am 20. September kam mit großer Verspätung am Wriezener Bahnhof an, und das Personal wußte nicht einmal, wo es hingehen sollte. Von der vorgesehenen Tour über Königs Wusterhausen - Zossen - Berlin-Wannsee nach Oranienburg blieb nicht viel übrig. Der Zug fuhr zur Verärgerung der Fahrgäste gleich direkt nach Zossen, was mit einem Regelzug billiger gewesen wäre.

Viel Ärger bereitete auch die sehr begehrte Besichtigung bei "LEW Hennigsdorf', weil die AEG wegen innerbetrieblicher Querelen zunächst absagte. Nach langem Druck kam dann im letzten Moment eine Zusage, jedoch für einen Donnerstag, so daß über 50 Anmeldungen zurückgezogen werden mußten.

Wir bitten alle Betroffenen um Verständnis und hoffen trotz mancher Verärgerung auf ein Wiedersehen bei den 10. Berliner Schienenverkehrs-Wochen, die wir als Jubiläum feiern möchten und für die wir uns bereits heute die Höhepunkte überlegen.

PRO BAHN
Landesverband Berlin

aus SIGNAL 9-10/1992 (Dezember 1992), Seite 20-21