Schienenverkehrswochen 1992

Mehr als drei Stunden Eisenbahn


IGEB

1. Dez 1992

"Eisenbahnkonzeption Berlin, Vortrag von Herrn Dipl.-Ing. Funk, Abteilungsleiter Betriebliche Infrastruktur der Rbd Berlin" stand im Programm für den 23. September. Diese trockene Ankündigung reichte aber aus, den Vortragssaal im Hauptbahnhof mehr als bei allen anderen Veranstaltungen der 9. Schienenverkehrs-Wochen zu füllen. Und es gab wohl niemanden, der sein Kommen bereute, und nur wenige, die "den langen Abend der Eisenbahn" vorzeitig verließen. Dieter Funk versprach viel: "Diese Veranstaltung ist der Auftakt zu einer Öffentlichkeitsoffensive. Ich zeige Ihnen, was es gibt. Wenn unsere Planungen geheim wären, dann wäre ich heute nicht hier." Und er hielt sein Versprechen. Welch ein Unterschied zur Senatsverkehrsverwaltung, die praktisch jede Planung in den Rang eines Staatsgeheimnisses erhebt und sich deshalb fast keiner öffentlichen Diskussion mehr stellt. (Übrigens: Auch verwaltungsintern ignoriert die Verkehrsverwaltung viele Schreiben und Einladungen.)

Zurück zum 23. September. Herr Funk überschüttete seine Zuhörer mit Informationen unterschiedlichster Art. Im Mittelpunkt stand natürlich die Fernbahnplanung - und hier besonders das geplante Achsenkreuz von Stadtbahn und Nord-Süd-Tunnel. Er hob hervor, daß fast das gesamte "Pilzkonzept" auf Bahnflächen realisiert werden könne, einzige Ausnahme ist der Tiergartentunnel. Unter dem Tiergarten sei auch der mit 720 m längste Abschnitt, der im Schildvortrieb errichtet werden soll. Im Normalfall wird es auf beiden Achsen keinen Güter-, sondern nur Personenverkehr geben. Auf der viergleisigen Nord-Süd-Achse sollen rund 500 Züge je Tag, auf der zweigleisigen Stadtbahn etwa 260 verkehren.

Den Kritikern, die den Lehrter Bahnhof als Zentralbahnhof fürchten, entgegnete Herr Funk, man werde mit allen Zügen mehr als einmal halten, allein schon deshalb, um eine Überlastung des Lehrter Bahnhofs zu vermeiden. Im sogenannten hochwertigen Fernreiseverkehr soll es in der Regel drei Berlin-Halte geben, z.B.: Spandau - Lehrter - Papestraße oder Zoo - Lehrter - Hbf oder Gesundbrunnen - Lehrter - Papestraße. Eine Sonderstellung erhalte der Lehrter Bahnhof allerdings dadurch, daß er der einzige sei, über den alle Züge fahren. Deshalb dürfe das Planverfahren hier nicht so laufen, wie bei Spandau und Gesundbrunnen, wo die 1. Preise der Wettbewerbe nicht finanzierbar seien. Nach diesem Seitenhieb gegen den Stadtentwicklungssenator zeigte Herr Funk sich jedoch optimistisch, daß es beim Lehrter Bahnhof (hier zusammen mit dem Bausenator) besser laufen wird. Derzeit werde überlegt, wie die Lage der Bahnsteige, insbesondere auf der Stadtbahn, gegenüber der bisherigen Planung noch verbessert werden kann. Auch für den Lehrter Stadtbahnhof, also den vorhandenen S-Bahnhof, gebe es Überlegungen für einen Neubau, da der alte ohnehin teilweise abgerissen werden muß. Aber entschieden sei noch nichts. Erste Ergebnisse erwartet er zum Jahresende.

Pilzkonzept, Olympia-Express, Regionalbahn und vieles mehr. Es wurde einer der informativsten Abende der diesjährigen Schienenverkehrs-Wochen. Stehend Herr Funk von der Rbd Berlin, rechts neben ihm Herr Stahnke vom Veranstalter PRO BAHN. Foto: Georg Radke

Weniger zuversichtlich betrachtet Herr funk die Planungen für den künftigen Fernbahnhof Papestraße. Durch die örtlichen Rahmenbedingungen seien Bahnsteige nur nördlich der Ringbahn möglich. Geplant seien derzeit für den Fern- und Regionalverkehr zwei Bahnsteige mit vier Gleisen. Dies könnte jedoch unzureichend sein, da alle Züge über Papestraße hier auch halten sollen, weil der Bahnhof nach Ansicht der DR eine große Bedeutung für die Verteilung der Reisenden im Berliner Süden erhalten wird. Deshalb seien zu diesem Bahnhof noch weitere Untersuchungen nötig.

Abgeschlossen sind dagegen die Grundsatzplanungen zum Bahnhof Potsdamer Platz. Hier sollen nur die Regionalzügc halten, und zwar außen, während die Fernzüge auf den mittleren Gleisen ohne Halt durchfahren. Ebenfalls nur Regionalverkehr erwartet Herr Funk später in Berlin-Lichtenberg. Darüber hinaus soll dieser leistungsfähige Bahnhof allerdings für Sonderverkehre genutzt werden.

Stolz ist die DR auf den zügigen Fortgang der Ausbauplanung für die Zuführungsstrecken. Für Anhalter, Dresdener, Stettiner und Nordbahn sei die Vorentwurfsplanung seit dem 31.7.92 abgeschlossen. Bei der Nord-Süd-Trasse will die DR Anfang 1993 fertig sein. Problematisch sei allerdings, daß der Berliner Senat beim Ausbau der S-Bahn auch Flächen der Fernbahn belegt habe. Während der Abschnitt Schönholz - Frohnau zu West-Berliner Zeiten "verbaut" wurde, sei dies bei den Strecken südlich von Lichtenrade und nördlich von Frohnau erst 1991 /92 passiert. Daß nach der Vereinigung immer noch ohne jede Rücksicht auf die Fernbahn gebaut wurde, ist für den Eisenbahner Funk erkennbar unverständlich. Keine Probleme sieht er dagegen auf der Hamburger Bahn. Die derzeitige Planung sehe hier zwischen Spandau und Nauen vier Gleise vor, zwei für den Fernverkehr und zwei für die S-Bahn.

Als Höchstgeschwindigkeit strebt die DR auf allen Zuführungsstrecken im Ballungsraum Berlin 160 km/h an, im bebauten Stadtgebiet allerdings "nur" 120 und auf der Stadtbahn und im Tunnel weniger als 100. Die Reaktionen im Publikum waren unterschiedlich. Einige möchten auch in den Außenbezirken noch 200 km/h fahren, andere halten 160 noch für zu schnell und fürchten entweder Widerstände aus der Bevölkerung oder riesige häßliche Lärmschutzwände.

Als "sehr problematisch" bewertete Herr Funk die Bauablaufplanung. Hierin lägen Risiken für den Zeitplan. Geplant sei derzeit, die Fernbahn über die Stadtbahn ab 1994 für zwei Jahre stillzulegen, um vor allem die Brücken und die Entwässerung zu sanieren. Die S-Bahn soll in dieser Zeit auf wechselnden Gleisen verkehren. Bis 1997 müsse alles abgeschlossen sein, denn wenn der ICE über die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Hannover nach Berlin komme, müsse ein ungestörter Fahrbetrieb gewährleistet sein. Ob alles gelingt, hänge weniger von der Bahn ab, als von der Koordination des gesamten innerstädtischen Baustellenverkehrs, der noch unvorstellbare Ausmaße erreichen könne. Ein Problem sei beispielsweise, daß der Schildvortrieb für den Tunnel von Süden nach Norden erfolgt, der Aushub also nach Süden abgefahren werden muß. In anderen Ländern, z.B. der Schweiz, müsse die Bahn ihre Baustellen auf eigener Infrastruktur ver- und entsorgen. Ginge es nur um die eigenen Baustellen sähe sich die DR dazu auch in der Lage. Aber die Überlagerungen mit den Großbaustellen Straßentunnel, Regierungsviertel und Potsdamer Platz schafften noch nicht gelöste Probleme. Dennoch ist Herr Funk für die Stadtbahn und den Nord-Süd-Tunnel insgesamt optimistisch. Eher fürchtet er um die Terminplanung beim Ausbau des Nordkreuzes der Bahn - und um seine Betriebsflächen. Denn die VdeR verkaufe, "wenn wir nicht aufpassen", Flächen, "die wir in einigen Jahren vielleicht dringend brauchen."

Nicht eingehen wollte Herr Funk auf die Standorte der Regionalbahnhöfe. Hier sei alles noch in der Diskussion. Er widersprach allerdings Vorwürfen, der Regionalverkehr werde vernachlässigt und bis zur Realisierung des Pilzkonzeptes so unattraktiv bleiben, wie er heute überwiegend noch ist. Zwar habe sich gezeigt, berichtete ein Kollege von Herrn Funk, der im Publikum saß. daß eine Verlängerung der R5 von Jungfernheide zum Lehrter Bahnhof (wie von der IGEB vorgeschlagen) nicht möglich ist, Als Alternative werde allerdings eine Führung nach Westkreuz untersucht, was sicherlich attraktiver als Jungfernheide sei. Weitere Zwischenlösungen plant die DR im Südwesten Berlins. Zum einen soll eine Regionalbahn nach Wannsee und weiter bis Zehlendorf fahren, zum anderen sollen die Züge von Teltow mindestens bis Lichterfelde Ost verkehren.

Wenig begeistert war Herr Funk über Fragen zur Olympiaplanung. Natürlich seien die Spiele im Jahr 2000 Bestandteil der DR-Ausbauplanung, aber es gebe noch viele Probleme. So müßten z.B. Ostkreuz und Gesundbrunnen für den Regionalverkehr nutzbar sein. Außerdem "vertreibe" der Olympia-Express den Fernverkehr von Teilen des innerstädtischen Bahnnetzes. Unklar sei ferner, wer die Anlagen Für den Olympia-Express in Ruhleben finanziert. Die DR sei dazu nicht bereit, weil die Anlagen nicht nachnutzbar seien. Auch an dieser Stelle erhielt Herr Funk zustimmenden Beifall.

IGEB

aus SIGNAL 9-10/1992 (Dezember 1992), Seite 24-25