Aktuell

Busverkehr 1993 Immer schlechter. BVG

Auch zum Jahresbeginn 1993 bescherte die BVG ihren Fahrgästen einen umfangreichen Fahrplanwechsel. Neben mehreren Linienänderungen gab es vor allem zahlreiche Fahrplanänderungen. Letztere erfolgten nun schon zum vierten Mal innerhalb von zwölf Monaten unter dem Vorzeichen Einsparung durch Leistungsabbau. Die Verantwortung dafür liegt beim Senat. Seit dem Amtsantritt von Verkehrssenator Haase ist nunmehr über die Hälfte der Berliner Bus- und Straßenbahnlinien von z.T. einschneidenden Fahrplanausdünnungen betroffen. Besonders fatal ist, daß mit dem jüngsten Fahrplanwechsel erstmals auf innerstädtischen Buslinien ein Halbstundentakt (!) eingeführt worden ist, davon betroffen ist sogar die Ku'damm-Buslinie 219.


IGEB

1. Feb 1993

"Eine dichtere Fahrplanfolge bei Bussen und Bahnen" als eine von mehreren "Maßnahmen einer umweltorientierten Verkehrspolitik", mit denen "der Senat versucht, die Problematik konkret zu bewältigen", versprach die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz dem SIGNAL-Leser Gert Worm. Dieser Senatsbrief vom 10.1.92 kann ein Jahr später bestenfalls als Satire gewertet werden. Angesichts der jüngsten Fahrplanverschlechterungen ohne Rücksicht auf die Umwelt und auf die in den letzten Jahren stark gestiegenen Fahrgastzahlen wird deutlich, wie sehr sich bei diesem Senat Worte und Taten widersprechen.

Hauptstadtverkehr im Halbstundentakt

Der Gipfel der Frechheit bei den Fahrplanausdünnungen zum Jaheswechsel ist der 30-Minuten-Takt auf innerstädtischen Buslinien. So verkehrt beispielsweise die Linie 123 abends und sonntags nur noch alle 30 Minuten. Und die City-Linie 219, die immerhin den Kurfürstendamm mit dem Messegelände und der Deutschlandhalle verbindet, verkehrt sogar wochentags (außer im Berufsverkehr) im völlig indiskutablen Halbstundentakt. Bisher galt in Berlin der 20-Minuten-Takt als "Schmerzgrenze" für die Fahrgäste. Lediglich im Nachtverkehr zwischen etwa 1.00 und 4.30 Uhr fahren fast alle Buslinien nur im 30-Minuten-Takt. Deshalb wird mit der Einführung des 30-Minuten-Taktes auf Tageslinien in der Innenstadt eine "Schallmauer" durchbrochen, was von der IGEB als alarmierndes Signal Für weitere massive Betriebseinschränkungen und Taktausdünnungen gewertet wird.

Citybuslinie 145. Der gut genutzte abendliche 10-Minuten-Takt in Fahrtrichtung Spandau wurde am 1.1.93 montags bis donnerstags durch den 20-Minuten-Takt ersetzt. Dies ist eine indirekte Aufforderung an Kino- oder Theaterbesucher abends wieder auf das Auto umzusteigen. Foto: Christfried Tschepe
Ausflugsbuslinie 118. Der bisherige 10-Minuten-Takt am Sonnabend-Nachmittag sowie am Sonntag wurde jetzt durch den 20-Minuten-Takt ersetzt, offensichtlich nach dem Motto: Wer zum Ausflug noch die BVG nutzt, der hat Zeit und kann warten. Foto: Christfried Tschepe

Keinerlei Entlastung verschafft sich der Senat mit dem wiederholten Hinweis, die Fahrpläne würden lediglich der Nachfrage angepaßt. Wenn es angesichts allgemein steigender Fahrgastzahlen ausreicht, innerstädtische Buslinien im 30-Minuten-Takt verkehren zu lassen, dann ist entweder die Linienführung völlig falsch, oder die Senatspolitik der Verhinderung von Busspuren, Vorrangschaltungen und Buskaps zeigt die erwartete Wirkung und hält viele Fahrgäste von der Benutzung des Verkehrsmittels Bus ab.

Doch Für viele Busfahrgäste gibt es keine Ausweichmöglichkeit. Um sie alle befördern zu können, muß die BVG in der Innenstadt wegen längerer Fahrzeiten aufgrund fehlender Busspuren immer mehr Fahrzeuge einsetzen, um die bisherige Wagenfolge aufrecht erhalten zu können. Ein Beispiel: Weil Senator Haase und sein Staatssekretär Schmitt eine Busspur auf der Potsdamer Straße mit allen Mitteln verhindern und noch nicht einmal die Benutzbarkeit des kurzen vorhandenen Abschnittes sicherstellen, mußte die BVG nun die Fahrzeit der Buslinie 348 erneut verlängern, dieses Mal um 6 Minuten.

Bus 160 in Konkurrenz zur Tram 84

Wesentliche Linienänderungen gab es im Zusammenhang mit der Teilstillegung auf der Tramlinie 84, die durch den Einsatz von Zweirichtungswagen nun wenigstens noch durch die Dörpfeldstraße zum S-Bf. Adlershof verkehrt (s. nachfolgenden Beitrag). Deshalb fährt die seit 1.1.93 von Altglienicke, Kirche zum S-Bf. Köpenick verlängerte und auf der Teilstrecke zwischen S-Bf. Adlershof und Alt-Köpenick als SEV-Linie konzipierte Buslinie 160 nun nicht durch die Dörpfeldstraße, sondern über Nipkowstraße, Glienicker Weg und Glienicker Straße. Sie bedient damit zwar im Bereich Berlin-Chemie und in der Köllnischen Vorstadt bisher nicht bzw. unzureichend erschlossene Flächen, ist gleichzeitig jedoch in der Relation S-Bf. Adlershof - Alt-Köpenick ein Konkurrenzangebot zur Tram in der Dörpfeldstraße. Und wie es der Zufall so will, fährt der Bus 160 während des fast ganztägig gemeinsamen 20-Minuten-Taktes immer kurz vor der Tram 84 von den z.T. gemeinsamen Haltestellen ab. So wird es nicht schwer fallen, der Tram eines Tages Unwirtschaftlichkeit wegen unzureichender Fahrgastzahlen zu bescheinigen.

Großsiedlung ohne Anschluß

Eine drastische Verschlechterung ergab sich zu Jahreswechsel im Bereich des Ortsteils Altglienicke. Nicht genug damit, daß hier die Straßenbahn eingestellt ist, wurde das von der BVG veränderte Busliniennetz anscheinend ohne Kenntnis der lokalen Verkehrsbeziehungen eingeführt. Zwar ist - drei Jahre nach dem Fall der Mauer - mit der Buslinie 260 nun endlich eine Verbindung zum U-Bf. Rudow eingerichtet worden, aber dafür sind die Verbindungen zu den wichtigsten Zielgebieten zeitweise oder vollständig gekappt worden. So sind z.B. von der Hochhaussiedlung an der Schönefelder Chaussee, in der zwar mehre tausend Einwohner leben, aber ansonsten praktisch keine Infrastruktur besteht, die wichtigsten Zielgebiete nicht mehr erreichbar. Konnte man aus diesem Bereich bis zum Jahresende mit der Buslinie 260 sowohl das nächst gelegene Einkaufsgebiet an der Dörpfeldstraße als auch den S-Bf. Adlershof als nächst gelegenen Umsteigebahnhof in Richtung Innenstadt erreichen, so ist jetzt eine massive Verschlechterung eingetreten: Das Einkaufsgebiet an der Dörpfeldstraße ist nur noch mit Umsteigen erreichbar, ohne daß auch nur ansatzweise eine Fahrplanabstimmung erfolgt ist, und die S-Bahn in Fahrtrichtung Innenstadt erreicht man jetzt nur nach großen Umwegen über Johannisthal(!) am S-Bf. Schöneweide. Und den Bf. Flughafen Schönefeld, dessen Anbindung insbesondere wegen seiner Verknüpfungsfunktion zum Regional- und Fernbahnverkehr unverzichtbar ist erreicht man abends und am Wochenende von Altglienicke aus gar nicht mehr, weil die Buslinie 363 weiterhin nur eingeschränkt verkehrt.

Erfreuliche Verbesserungen

Der Besuch des Kinderkrankenhauses Lindenhof ist seit dem 1.1.1993 leider nur noch montags bis freitags während des Berufsverkehrs möglich. Andernfalls müssen Sie laufen oder radeln - oder mit dem Auto fahren. Abb.: BVG-Ergänzungsfahrplan
Die innerstädtische Buslinie 123 wird abends sowie am Sonntag nur noch im Halbstundentakt befahren, eine Zumutung! Foto: IGEB

Im Gegensatz zu Köpenick und Altglienicke sind alle anderen Linienänderungen positiv zu bewerten. So verkehrt die Buslinie 167 nun endlich wieder nach Neukölln - entsprechend dem IGEB-Vorschlag zum Hermannplatz (vgl. SIGNAL 5/90 ). Eine Zumutung sind aber (wieder) die unübersichtlichen Betriebszeiten dieser Linie, die nur während der Geschäftszeiten nach Neukölln fährt, ansonsten wie zu Mauerzeiten an der Karl-Kunger-Straße endet und am südlichen Ende zeitweilig bis S-Bf. Schöneweide und manchmal bis Müggelschlößchenweg verkehrt.

Auch die lokalen Linienänderungen z.B. bei den Bussen 141,177,241 oder N82 stellen kleine, aber wirkungsvolle und überwiegend kostenneutrale Verbesserungen dar. Schade nur, daß die BVG zur Umsetzung eines besseren Busliniennetzes so lange braucht, wie zum Beispiel bei der überfällig gewordenen Änderung der Buslinie 154: Fast 2 Jahre dauerte es bis zur Umsetzung des IGEB-Vorschlages, durch die Vincent-van-Gogh-Straße zu fahren (vgl. SIGNAL 3/91 ). Dabei waren keine Tiefbau- oder sonstige Maßnahmen erforderlich.

Aber alle diese erfreulichen Netzverbesserungen werden überschattet von den gravierenden Taktausdünnungen. Nach nur 2 Jahren Haase/Schmitt-Verkehrspolitik ist für viele Fahrgäste die Benutzung von Bus und Tram zur Zumutung geworden. Beispielsweise fährt im Ostteil Berlins kaum eine Buslinie noch öfter als im 20-Minuten-Takt. die Verspätungen bei Bus und Tram nehmen allgemein zu, und vor allem bei der Tram gibt es ständig unkalkulierbare Ausfälle von Fahrten. So gesehen war es eigentlich nur konsequent, zum Ausgleich des Ost-West-Gefälles jetzt im Westteil der Stadt mit der Einführung des 30-Minuten-Taktes auf innerstädtischen Buslinien zu beginnen.

IGEB

aus SIGNAL 1/1993 (Februar 1993), Seite 4-5