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Verkehrswerkstatt: Ein Nachruf

Ganz tot ist die Berliner Verkehrswerkstatt von Staatssekretär Ingo Schmitt und seinem Senator Herwig Haase noch nicht. Die 10. und zugleich letzte Sitzung steht noch aus. Aber richtig lebendig war die Verkehrswerkstatt auch nie. Es spricht jedenfalls nichts dagegen, für diese gescheiterte Projekt schon jetzt den Nachruf schreiben.


IGEB

1. Mai 1993

Angefangen hatte alles mit dem "Stadtforum". Seit zwei Jahren gibt es diese von Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer eingerichtete Institution (vgl. SIGNAL 6/91 ). Es handelt sich um ein monatlich tagendes Diskussionsforum zu den großen Fragen der Berliner Stadtentwicklung. Zu den ständigen Mitgliedern gehören vor allem Politiker, Planer und Architekten, aber z.B. auch Verteter der Wirtschaft, Kirchen und Verbände (darunter der ADAC ebenso wie der Fahrgastverband IGEB und der BUND). Teilnahme und Mitwirkung sind zwar auf die Fachöffentlichkeit beschränkt, aber das breite Spektrum der ständigen Mitglieder und die regelmäßigen ausführlichen Medienberichte machen das Stadtforum doch zu einem recht wichtigen Ort einer breit angelegten Diskussion zur Entwicklung Berlins. Diesem Vorbild wollte Verkehrsstaatssekretär Ingo Schmitt nacheifern und gründete Ende 1991 zusammen mit seinem Senator Herwig Haase die "Berliner Verkehrswerkstatt". Dank der guten Organisation der SNV (Studiengesellschaft Verkehr mbH) versprach die Verkehrswerkstatt ein ähnlich erfolgreiches Diskussionsforum wie das Stadtforum von Senator Hassemer zu werden. Doch von Anfang an zeigte sich, daß der Verkehrssenator nie ernsthaft an einer Diskussion seiner Verkehrspolitik interessiert war. Informationen wurden vorenthalten, Fragen nicht beantwortet, und die Vorträge aus der Senatsverkehrsverwaltung hatten oft den Charakter einer Erstsemester-Vorlesung, weil allgemeine theoretische Grundlagen statt konkreter Verkehrsplanung referiert wurden.

Berlin im Jahre 2010 - eine blühende Region in Europa soll das Thema der 10. und letzten Verkehrswerkstatt sein. Derzeit blühen in der Berliner Verkehrspolitik allerdings nur Provinzialismus und Dummheit. Die Kurfürstendamm-Busspuren sind derzeit das vielleicht markanteste Beispiel. In SIGNAL 3/93 hatten wir bereits darauf hingewiesen, daß die minutiöse Unterscheidung zwischen langem und kurzem Sonnabend spätestens im Dezember zu Lasten des ÖPNV gehen wird, weil es dann nicht nur a 1. Sa im Monat einen langen Sonnabend gibt. Der Unsinn wurde nun bereits im Mai vorgeführt: Der 1. Sa im Monat war Feiertag. Deshalb hatten am zweiten, zugleich langen Sonnabend ab 14 Uhr alle Autofahrer die Möglichkeit, legal an der Verstopfung der Busspur mitzuwirken. Foto: Marc Heller

Folgerichtig sank das Interesse an der Verkehrswerkstatt zusehends. Die Medienberichte wurden immer kürzer und immer kritischer. Daraufhin beschloß man beim Verkehrssenator das Ende dieser Reihe, denn man wollte nicht länger viel Geld ausgeben, um einerseits den Kritikern der Senatsverkehrspolitik ein Forum zu verschaffen und andererseits wenig Medienresonanz zu ernten.

Doch das Ende der Verkehrswerkstatt wurde zur Peinlichkeit ohne Ende. 1992 teilte Ingo Schmitt den Mitgliedern der Verkehrswerkstatt mit, daß die "10. und vorerst letzte Berliner Verkehrswerkstatt als Resümee-Veranstaltung im Januar 1993" stattfindet. Aber schon bald wurde ihm klar, daß ein Rückblick zum Verriß führen muß. Also hieß die Devise nun: Ausblick statt Rückblick. Allerdings bestand die Gefahr, daß auch diese Veranstaltung mißlingt, weil ja noch keines der versprochenen Verkehrskonzepte fertig wurde. Was tun? Ingo Schmitt wußte Rat. Erstens wurde die 10. Verkehrswerkstatt vom Januar auf den 7. Mai verschoben, zweitens wurde angekündigt, "jedem Teilnehmer dieser Verkehrswerkstatt ein Exemplar des 2. Zwischenberichtes der Verkehrsentwicklungsplanung für die Region Berlin zu überreichen".

Doch es kam, wie es kommen mußte. Der 2. Zwischenbericht, eigentlich schon für Mitte 1992 versprochen, wurde wieder nicht fertig. Also wurde die Veranstaltung erneut verschoben. Inzwischen ist die 128 Seiten umfassende Broschüre zuzüglich eines Kartenbandes zwar fertig geworden, doch die 10. Verkehrswerkstatt soll nun erst am 24. September (!) stattfinden. Unverändert bleibt nur der Titel: "Berlin im Jahre 2010 - eine blühende Region in Europa". Eine blühende Region mit dieser Verkehrspolitik? Die Hinwendung zum so fernen Jahr 2010 hat immerhin den großen Vorteil, daß keiner dem Senator glaubhaft vorrechnen kann, seine vielen noch unerledigten Hausaufgaben selbst dann noch nicht geschafft zu haben.

Ob und wann auch immer die 10. Verkehrswerkstatt stattfindet, ist für das Fazit unerheblich: Das Projekt Verkehrswerkstatt ist gescheitert, weil die Senatsverkehrspolitik derartig rückschrittlich und undemokratisch ist, daß es für einen so gut gemeinten und gut organisierten Ansatz keine Basis gibt.

Da ist es tröstlich zu erfahren, daß der Senator sich nicht enttäuscht zurückzieht, sondern sich mit seiner Verkehrspolitik nun sogar dem Urteil internationaler Experten stellen will: "Der Senator für Verkehr und Betriebe, Prof. Dr. Herwig Haase, hat die Initiative ergriffen, die Experten des In- und Auslandes zu einem umfassenden Meinungsaustausch nach Berlin zu bitten. Wir möchten Sie zur International Conference for Public Transport Systems vom 14. bis 17. September herzlich einladen." Damit verbunden ist natürlich die Hoffnung, daß die Gäste aus dem Ausland die Defizite der Berliner Verkehrspolitik nicht so genau kennen oder zumindest höflich übersehen. Und weil so eine International Conference viel Arbeit macht, ist wohl sichergestellt, daß es auch im September noch keinen 2. Zwischenbericht zur Verkehrsentwicklungsplanung gibt. Eine gute Nachricht gibt es aber doch noch: "Schirmherr Unserer Konferenz ist der Bundesminister für Verkehr. Prof Dr Günther Krause. Zum Glück nicht! nicht!

IGEB

aus SIGNAL 4/1993 (Mai 1993), Seite 4