Planung
1. Mai 1993
Nach langen Auseinandersetzungen hatten sich 1992 die Koalitionsparteien im Abgeordnetenhaus, CDU und SPD, geeinigt, über die Oberbaumbrücke die Straßenbahn, aber auch je zwei Autofahrspuren zu führen. Seither ist das Konzept des Kreuzberger Bezirksamts, die von der Oberbaumbrücke kommende Tram durch die Oberbaumstraße zu führen, nicht mehr sinnvoll. Denn auch in dieser Straße wird es dann je zwei Autofahrspuren geben, so daß kein Platz für eine eigene Trasse der Tram bleibt. Lange Wartezeiten der Tram im Autostau wären die Folge.
Die Senatsplanung sieht nun eine Endschleife für die Tram über Gröbenufer - Bevernstraße - Oberbaumstraße vor, mit der Aufstellfläche am Gröbenufer. Dies ist die einfachste und billigste, aber auch die schlechteste Lösung. Kreuzberg profitiert dann kaum vom Straßenbahnanschluß, und ein Umsteigen zu U-Bahn und Bus ist mit einem unattraktiven Fußweg verbunden.
Anstatt die Bezirks- und Senatspläne weiterzuverfolgen, sollte die von der Fahrgastinitiative Berlin vorgeschlagene Umfahrung des Oberstufen-Zentrums nun der neuen Ausgangssituation angepaßt werden: Die Trasse wird nicht durch die Oberbaumstraße, sondern durch Falckenstein- und Schlesische Straße zum U-Bf. Schlesisches Tor geführt. Ein Nachteil dieser Lösung wäre, daß sich an die S-Kurve südlich vom U-Bahnhof eine scharfe Rechtskurve anschließt. Dies läßt sich vermeiden, wenn die Endschleife in umgekehrter Richtung befahren wird: Oberbaumbrücke - Falckensteinstraße - Schlesische Straße (Haltestelle am U-Bf. gemeinsam mit Bus 265) - Skalitzer Straße - Wrangelstraße (Endhaltestelle) - Zeughofstraße - Köpenicker Straße - Schlesische Straße (Haltestelle am U-Bf. gemeinsam mit Bus 265) - Falckensteinstraße - Oberbaumbrücke.
In Kreuzberg muß mit einem massiven Anstieg des Autoverkehrs mit all seinen Folgen - Abgase, Lärm, Unfälle - gerechnet werden. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist eine Verkehrspolitik mit anderen Prioritäten notwendig: Förderung der umweltfreundlichen Individualverkehrsarten Zu-Fuß-Gehen und Fahrradfahren, Förderung des ÖPNV, vor allem der Tram. Gelder und Flächen müssen diesen Verkehrsarten zur Verfügung gestellt werden. Bei den für ein attraktives Straßenbahnnetz benötigten Flächen kommt es aber zu Nutzungskonflikten, nicht nur bei Autoparkplätzen, sondern auch bei Grünanlagen und verkehrsberuhigten Bereichen. Es ist deshalb an der Zeit, daß über diese Fragen eine öffentliche Diskussion begonnen wird.
Für die zukünftige Weiterentwicklung des Straßenbahnnetzes wird als Ausgangspunkt eine Verbindung zum bestehenden Netz benötigt. Dies erklärt die große Bedeutung der Tramverlängerung über die Oberbaumbrücke. Zweiter Ausgangspunkt wäre später der Spittelmarkt. Für eine Tramlinie durch die Köpenicker Straße zum Spittelmarkt muß die Linienführung ab Heinrich-Heine-Straße in die Planungen für das Gelände des ehemaligen Mauerstreifens einbezogen werden. Die Fahrgastinitiative Berlin schlägt folgende Linienführung vor: Köpenicker Straße - Neue und Alte Jakobstraße - Seydelstraße - Spittelmarkt - (Potsdamer Platz - Zentralbahnhof). Diese Linie sollte bis S-Bf. Treptower Park die Aufgaben der Buslinie 265 übernehmen. Für eine Weiterführung kommt neben dem U-Bf. Rathaus Neukölln eventuell auch Schöneweide in Betracht.
Sehr hohe Fahrgastzahlen sind auf einer Querverbindung Friedrichshain - Oberbaumbrücke - Hermannplatz zu erwarten. Die Fahrgastinitiative stellt vier mögliche Linienführungen zur Diskussion.
Jede dieser Varianten hat Vor- und Nachteile. Eine Entlastung des Bezirks Kreuzberg vom Autoverkehr ist aber nur dann möglich, wenn hier ein Kompromiß gefunden wird.
Fahrgastinitiative Berlin
aus SIGNAL 4/1993 (Mai 1993), Seite 14-15