Planung
Das Pilzkonzept für die Berliner Eisenbahn (6. Teil)
1. Sep 1993
Für die Realisierung des sogenannten Pilzkonzeptes stehen "Mittel in Höhe von rund 10 Milliarden Mark" zur Verfügung", schreibt die Senatsverkehrsverwaltung in einem im Juli herausgegebenen Faltblatt (s. Ausschnitt im Kasten). Daß dies nur die halbe Wahrheit ist, zeigen die Antwortschreiben Bonner Politiker an den Berliner Abgeordneten Michael Cramer. Die Antwortschreiben beziehen sich auf Herrn Cramers Positionspapier "Der Lehrter Zentralbahnhof - Berlins Tunnelbau zu Babel" (s. SIGNAL 6/93 ). Die Briefe aus Bonn verdeutlichen zugleich einen gravierenden Mangel der Berliner Tunneldiskussion. Es wird praktisch ausschließlich über "alles oder nichts" gestritten. Wenn aber der Wirtschaftlichkeitsnachweis ein so entscheidendes Kriterium ist, warum sind dann keine Untersuchungen mit weniger Tunnelgleisen durchgeführt worden? Und warum gibt es keine Variante ohne den Straßentunnel, der wie eine Zecke am Bahntunnelprojekt zu hängen scheint? Sind sich Berliner Senat und Deutsche Reichsbahn ihrer Sache so sicher, daß sie nur die Maximalvariante planen? Daß diese "Siegesgewißheit" verfrüht sein könnte und es für eine Überprüfung des Pilzkonzeptes noch nicht zu spät ist, das zeigen (Herrn Cramer sei Dank) die Briefe aus Bonn.
Sehr geehrter Herr Kollege,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 29.06.1993
hinsichtlich des Eisenbahnkonzeptes in Berlin. Ich
habe Ihre Ausführungen mit Interesse gelesen,
mache jedoch darauf aufmerksam, daß die Baukommission
des Deutschen Bundestages sich
ausschließlich mit den Bauangelegenheiten des
Deutschen Bundestages in Berlin und Bonn beschäftigt
und nicht mit verkehrlichen Grundsatzfragen.
Die Kolleginnen und Kollegen der Baukommission
klinken sich in diese Diskussion nur
insoweit ein, als im Detail Bauplanungen des
Parlamentsviertels betroffen werden. Wir haben
deswegen im städtebaulichen Wettbewerb die
potentiellen Tunneltrassen freigehalten.
Ich habe mir deswegen erlaubt, Ihr Schreiben dem
Verkehrsausschuß des Deutschen Bundestages
weiterzugeben, der im parlamentarischen Bereich
die Angelegenheiten des Bundesverkehrsministers
behandelt.
Sehr geehrter Herr Cramer,
Herr Minister Wissmann dankt für Ihr Schreiben
vom 25. Juni 1993. Er hat mich gebeten, Ihnen
zu antworten. Im Bundesverkehrswegeplan 1992
und im Schienenwegeausbaugesetz, welches der
Bundestag am 30. Juni 1993 verabschiedet hat,
ist die Eisenbahnkonzeption Berlin (vorbehaltlich
eines positiven Ergebnisses der Wirtschaftlichkeitsberechnungen)
im "Vordringlichen Bedarf"
als "Neues Vorhaben" enthalten. Den Planungen
wird, entsprechend dem ausdrücklichen Wunsch
der Deutschen Reichsbahn und des Berliner Senates,
das "Pilzkonzept" in der ersten Stufe zugrundegelegt,
wobei die Kosten auf 10 Mrd. DM
begrenzt sind. Die Deutsche Reichsbahn ist beauftragt,
den erforderlichen Wirtschaftlichkeitsnachweis
zu erbringen.
Für neue S-Bahnen ist unter anderem Voraussetzung, daß ein entsprechendes Verkehrsbedürfnis besteht, die Maßnahme volkswirtschaftlich sinnvoll ist und sichergestellt ist, daß dem Bund und der Deutschen Bundesbahn/Deutschen Reichsbahn durch die Maßnahmen keine neuen Folgekosten entstehen. Das dazu vom Berliner Senat durchgeführte standardisierte Bewertungsverfahren ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen.
Folgerungen für die S- und Fernbahn sind erst nach Abschluß der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen möglich. Was die Frage der U-Bahn oder einer alternativen Straßenbahnplanung angeht, so liegt dafür die Zuständigkeit ausschließlich beim Berliner Senat.
Sehr geehrter Herr Kollege,
vielen Dank für Ihr Schreiben an Bundesminister
Dr. Theo Waigel zum Eisenbahnkonzept für die
Bundeshauptstadt Berlin. In den Bundesverkehrswegeplan
1992 sind Maßnahmen im Rahmen der
Eisenbahnkonzeption Berlin im Umfang von 10
Mrd. DM vorbehaltlich des Nachweises der Wirtschaftlichkeit
aufgenommen worden. Den Vorstelungen
des Berliner Senats und der Deutschen
Reichsbahn entsprechend wurde dabei das sogenannte
Pilzkonzept in der Stufe 1 berücksichtigt.
Im Mittelpunkt der Planungen steht der Neubau
einer Nord-Süd-Achse mit zentralem Bahnhof im
Bereich des Hamburger und Lehrter Bahnhofs.
Dieses Konzept wurde den weitergehenden Planungen und Wettbewerben für den Verkehrsbereich und die städtebauliche Gestaltung insbesondere im Parlaments- und Regierungsbereich zugrundegelegt. Inwieweit eine grundlegende Änderung der Konzeption möglich ist, wäre von der zuständigen Senatsverwaltung und der Deutschen Reichsbahn zu klären.
Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zum Eisenbahntunnel im Spreebogen liegt mir noch nicht vor. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich deshalb zu Ihrer Aussage, der Tunnel rechne sich nicht und die Deutsche Reichsbahn verlange von der Bundesregierung die Übernahme der Defizitkosten für den Tunnel, nicht Stellung nehme.
IGEB
aus SIGNAL 7/1993 (September 1993), Seite 8-9