Schienenverkehrswochen 1993

Nahverkehrszukunft

Ein Abend voller Fragezeichen


IGEB

1. Sep 1993

Die "Zukunft des Nahverkehrs in der Region Berlin durch Verkehrsverbund und S-Bahn-Gesellschaft" hieß am 25. August das Thema des Abends mit Herrn Dipl.-Ing. Jakob, Abteilungsleiter bei der Rbd Berlin und dort bis vor kurzem für die Verbundverhandlungen zuständig. Die große Besucherzahl und die rege Diskussion unterstrichen, daß viele die Bedeutung dieses Themas für die Zukunft des Berliner Verkehrs erkannt haben.

Umso überraschender war, daß anscheinend sowohl zum Verkehrsverbund wie auch zum künftigen S-Bahn-Betreiber noch sehr viele Fragen offen sind. Immerhin hatten die Beteiligten seit Abschluß des Einigungsvertrages drei Jahre Zeit, Vorbereitungen zur Gründung einer S-Bahn-Betreiber-Gesellschaft zu treffen, die dann ab 1.1.94 auch gleich den Betrieb und das Personal der West-Berliner S-Bahn-Strecken hätte übernehmen können. Nun werden die BVG-Strecken wohl - entsprechend dem Einigungsvertrag - zunächst von der DR übernommen, obwohl dies aufgrund der beabsichtigten Regionalisierung des Schienennahverkehrs mit Sicherheit wieder nur eine Übergangslösung sein kann. Das ist nicht nur für die Beschäftigten sehr unbefriedigend.

Ähnlich ungewiß, das zeigten die Ausführungen von Herrn Jakob, ist auch der zukünftige Verkehrsverbund. Lange (zu lange!) wurde von den Beteiligten die Errichtung eines Verkehrsverbundes auf der Basis des überholten Betreibermodells geplant. Erst der Druck aus den Koalitionsfraktionen und von Berlins Regierendem Bürgermeister höchstpersönlich brachte den Verkehrssenator und seine Mitstreiter auf die richtige Schiene (vgl. SIGNAL 6/93 ). Doch bis zur Gründung des "Kommunalverbundes" entsprechend dem geplanten Rhein-Main-Verbund werden wohl noch Jahre ins Land gehen. In dieser Zeit soll es eine Vorbereitungsgesellschaft geben, doch auch hier gibt es Schwierigkeiten, denn der Bund will nicht dabei sein.

Dieses Verschleppen und Taktieren von beteiligten Verkehrsunternehmen und vor allem den zuständigen Politikern kann jedoch schon bald dramatische Folgen haben: Auch wenn Herr Jakob es so eindeutig nicht sagte, so wurde doch die Gefahr deutlich, daß die derzeitige unverbindliche Zusammenarbeit der wichtigsten Verkehrsunternehmen in der Region Berlin auseinanderbricht. Gefährdet ist vor allem der gemeinsame Verkehrstarif, denn zu unterschiedlich sind die Interessenlagen der einzelnen Beteiligten. Während sich die Reichsbahn aufgrund des Bonner Druckes möglichst schnell vom Einheitstarif verabschieden soll, sind die politischen Vorgaben aus Berlin diffus, und in Potsdam befürchtet man bei weiteren Tariferhöhungen einen deutlichen Nachfragerückgang. Können sich die Beteiligten zu den drei Fragen "Einheits- oder Zonentarif?", "Wie lange noch Ost-West-Tarif?" und "Umfang der Tariferhöhung?" nicht bald einigen, dann dürfte der gemeinsame Verkehrstarif schon bald der Vergangenheit angehören.

IGEB

aus SIGNAL 7/1993 (September 1993), Seite 13-14