Aktuell
Seit dem 13. November fahrt die U-Bahn wieder zwischen Alexanderplatz - Potsdamer Platz - Wittenbergplatz, Die BVG nahm dieses Ereignis zum Anlaß für eine große Feier - zurecht. Und der Berliner Fahrgastverband IGEB feierte mit, unter anderem mit einem Informations- und Verkaufsstand auf dem U-Bahnhof Klosterstraße. Doch schnell folgte auf die große Feier anhaltende Katerstimmung. Selten machte die Berliner U-Bahn derartig viele Negativ-Schlagzeilen, wie in den Wochen seit dem 13. November. Beherrschendes Thema sind die Fahrplanzusammenbrüche durch ausgefallene Züge, aber auch die unbefriedigenden Zustände auf dem U-Bf. Wittenbergplatz. Darüber hinaus gibt es jedoch noch mehr zu kritisieren. So hat beispielsweise der zum 13.11. grundlegend erneuerte U-Bahn-Fahrplan keineswegs nur Verbesserungen gebracht. Und das Umsteigen von der neuen U2 Vinetastraße - Ruhleben auf Bus und Tram ist oft noch erheblich verbesserungsbedürftig. Zur Ehrenrettung der BVG muß jedoch gesagt werden, daß viele Kritikpunkte der nachfolgenden Artikel direkt oder indirekt auf die ÖPNV-feindliche Politik des Berliner Senates zurückzuführen sind.
1. Dez 1993
Groß gefeiert wurde die Wiedereröffnung der U-Bahn-Strecke Vinetastraße - Ruhleben. Der Zeitung, die da jubelte, "nun können die Berliner wieder in einem Rutsch von einem Stadtzentrum ins andere" fahren, scheint allerdings entgangen zu sein, daß dies bereits seit über drei Jahren mit der S-Bahn möglich ist. Entgangen ist vielen auch, daß die BVG an die alte Tradition, mit jeder U-Bahn-Eröffnung mindestens eine Straßenbahn einzustellen, anknüpfte und die Linie 52 zur Bornholmer Straße zurückzog. Dabei ist nur schwer nachzuvollziehen, wie eine U-Bahn-Wiederinbetriebnahme in der Bülowstraße den Straßenbahnverkehr in der Schönhauser Allee ersetzen kann.
Schwer nachzuvollziehen ist auch, was seit dem 13. November geschah. Zur Eröffnung hatte alles noch recht gut funktioniert, als die geladenen Gäste in den Untergrund gingen, um den 215 Millionen Mark teuren Lückenschluß der U-Bahn einzuweihen. Da hatten sie die U-Bahn freilich auch für sich allein. Ein Großaufgebot von Sicherheitskräften schirmte die Festveranstaltung vor den auf dem Potsdamer Platz demonstrierenden AEG-Arbeitern ab, deren Arbeitsplätze nicht zuletzt deshalb bedroht sind, weil die längst überfällige Erneuerung des Wagenparks der S-Bahn immer weiter verzögert wird. Nicht einmal die anwesende Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach konnte die mehrfachen Sicherheitskordons durchdringen.
Doch als dann das gemeine Volk auf die U-Bahn losgelassen wurde, ging fast alles schief. Schon nach wenigen Tagen häuften sich die Meldungen über gravierende Verkehrszusammenbrüche, vor allem auf der U2. Aber die Schuldigen waren schnell gefunden: natürlich, die schlechte Ostware! Die GI-Züge, die jahrelang ihren Dienst getan hatten und mit denen alle Westfahrer angeblich ausreichend vertraut waren, mußten plötzlich reihenweise aus dem Verkehr genommen werden. Andere Gründe als vermeintlich schlechte Ost-Qualität, etwa daß die erneuerte Stromversorgung nicht an die GI-Züge angepaßt sein könnte oder möglicherweise überzogene Sicherheitsbestimmungen, schieden offenbar von vornherein aus. Doch einmal aufmerksam geworden, zeigte die Öffentlichkeit großes Interesse. Fast jede Verspätung wurde nun registriert und analysiert. Und so kamen auch neue Ursachen ans Tageslicht: Fast alle Fahrer hatten keine Streckenkenntnisse, weil die Übergabe der Strecke von der Senatsbauverwaltung an den Betreiber BVG viel zu kurzfristig erfolgte. Bemühungen der BVG, die U-Bahn-Eröffnung mit der Wiederinbetriebnahme des S-Bahn-Südringes zusammenzulegen, um so Zeit zu gewinnen und alle Fahrpläne an einem Tag mit nur einem Ergänzungsbuch zum Fahrplan ändern zu können, scheiterten am Senat. Schließlich wollen unsere Politiker zweimal gefilmt und fotografiert werden.
Doch fast unabhängig von den Ursachen für die Betriebsstörungen ist das jetzt in der Öffentlichkeit entstandene Bild das eines unzuverlässigen öffentlichen Nahverkehrs, etwa nach dem Motto: Die U-Bahn schafft sich ihren eigenen Stau. Die wochenlange Werbung unter Autofahrern für den öffentlichen Nahverkehr dürfte damit weitgehend wertlos gewesen sein. Noch hat die BVG eine kleine Chance, zu zeigen, daß die Störungen auf der U2 nicht mehr als besonders heftige Kinderkrankheiten waren. Aber die Zeit dafür ist knapp geworden. Denn zurückgewinnen muß die BVG nicht nur verlorene Fahrgäste, sondern auch verlorene Glaubwürdigkeit. Dazu gehört das Eingeständnis von menschlichem Versagen im eigenen Haus. Denn daß ein mehrere Jahre eingesetzter Fahrzeugpark von einem Tag auf den anderen fast vollständig ausfällt, das klingt doch zu sehr nach Ausrede.
IGEB
aus SIGNAL 9-10/1993 (Dezember 1993), Seite 10-11