Nahverkehr

Moderne Straßenbahnen


IGEB

1. Dez 1993

Bekanntlich erhält die Berliner Straßenbahn demnächst einige moderne, aber teure Niederflurstraßenbahnen, deren Anschaffung zwar unbedingt zu begrüßen ist, mit denen der absehbare Erneuerungsbedarf aber nicht zu decken ist. Daher hat sich die BVG, wie vor ihr schon andere Verkehrsbetriebe, entschlossen, einen Teil der Tatra-Wagen (um deren Altersstruktur - Baujahre 1977 bis 1990 - uns mancher Verkehrsbetrieb westlich der Elbe beneiden dürfte) einer Modernisierung zu unterziehen, um sie damit wesentlich attraktiver und sicherer zu gestalten. In Kürze stellt nun die Mittenwalder Gerätebau GmbH den ersten umgebauten T6A2-Straßenbahnwagen vor.

Der äußere Eindruck wird zunächst durch die erstmalige Verwendung des neuen Farbdesign in anthrazit, gelb und weiß geprägt Es sieht nicht schlecht aus, man fragt sich nur: Wie lange? Insbesondere der weiße Streifen am Dach dürfte bald unter dem Kohleabrieb des Bügels verschwunden sein.

Die Fahrgastinformation wurde durch Einbau von IBIS-gesteuerten Matrix-Anzeigen erheblich verbessert, wobei das optische System im Wagen gleich die jeweils nächsten Haltestellen in Folge anzeigt. Hoffen wir, daß die Elektronik nicht allzu oft versagt.

Vorne statt Eierschalen nun Flofallen (Polstersitze), dahinter der für den Fahrscheinautomaten vorbereitete Stellplatz. Foto: Ivo Köhler

Die bisherigen "Eierschalen" wurden durch neue Polstersitze ersetzt. Diese sind natürlich bequemer, aber dennoch fragwürdig: Jeder kennt die in den S-Bahnen der BR 475/875 eingebauten Polstersitze, die mittlerweile infolge mangelnder Reinigung bzw. Reinigungsmöglichkeiten nicht nur unästhetisch, sondern unhygienisch sind ("Flohfallen"). Auch dürften Vandalen an den Polstern besonderes Interesse haben. Einige Verkehrsbetriebe (z.B. Gera, Rostock) haben die originalen Sitzschalen deshalb mit schnell wechselbaren Aufpolsterungen versehen und damit eine praktischere und preiswertere Lösung gefunden.

Die bisherigen Türen wurden durch Außenschwingtüren ersetzt, die eine erhöhte Sicherheit gegen Einklemmen gewährleisten und mit einer Anfahrsperre gekoppelt sind. Einen Wermutstropfen bringt die neue Technik allerdings auch hier. Die genannte Türbauart besitzt die Eigenheit, zum Öffnen das Türblatt in einem Halbkreis ausschwenken zu lassen, und erweist sich damit gegenüber dem Fahrgast als "sehr entgegenkommend". Bei sehr engen und vollen Haltestelleninseln, und davon gibt es in Berlin nicht wenige, ist eine solch höfliche Geste nicht erwünscht. Bei Verwendung anderer Türvarianten wäre dieses "Entgegenkommen" mit 6,5cm statt mit 25cm erheblich moderater ausgefallen, wobei nicht verschwiegen werden soll, daß solche Varianten auch ihren Preis haben.

Modernisierter Tatra-Zug in Mittenwalde kurz vor der Fertigstellung. Nach der Auslieferung sollen diese Züge zunächst vor allem im Pankower Netz eingesetzt werden. Foto: Ivo Köhler

Die Geräuschdämpfung und die subjektiv empfundene Laufgüte des Wagens werden durch einige Veränderungen an den Drehgestellen verbessert: Primärfederung, Schallschutz, neue Räder. Der Fahrscheinautomat befindet sich jetzt an der zweiten Tür, der Platz im Wagen wird besser ausgenutzt. Es bedarf aber einiger Gewöhnung beim Fahrgast, den elektronischen Kollegen zu orten. Aber nach einer gewissen Anlaufphase dürften die meisten Fahrgäste die modernisierten gelben Wagen mit einer bestimmten Produktqualität verbinden, zu der eben auch die Eigenheiten der Türen und der Standort des Fahrscheinautomaten gehören. Insofern hat die Entscheidung, die neue gelbe Farbgebung nur bei qualitativ verbesserten Wagen vorzusehen, einiges für sich. Die BVG wäre aber gut beraten, die Einführung dieser Qualitäten mit einer intelligenten Öffentlichkeitsarbeit zu verbinden - die Unterstützung des Fahrgastverbandes dürfte ihr dabei gewiß sein! Dies betrifft vor allem die erwähnten veränderten Eigenheiten der Türen. Wenn derartiges ohne Vorwarnung eingeführt wird, dürften die Reibungen zwischen Personal und Kunden zunächst erheblich sein.

Nach der (hoffentlich zügig ablaufenden) Auslieferung der modernisierten Wagen ist zunächst vorrangig ein Einsatz auf den Pankower Linien beabsichtigt. Angesichts des zur Zeit eingesetzten Wagenmaterials ist dort tatsächlich ein deutlicher Attraktivitätsschub für die Tram auch besonders dringlich.

IGEB

aus SIGNAL 9-10/1993 (Dezember 1993), Seite 20-21