Regionalverkehr
Der Trend, sich mit kleinen Bahnhöfen zu beschäftigen, ist keineswegs kontraproduktiv, sondern im Zusammenhang mit der Flächenbahn-Forderung ein überlebenswichtiger Baustein.
1. Mai 1999
Streckenstillegungen sind nicht das Hauptproblem der auslaufenden 90er Jahre, es sind die Netzabkoppelungen der Bahnhöfe und der Verfall der Gebäude. Was da in Kinderstuben auf HO-Größe mit Freude zusammengeklebt wird, sieht in natura weit weniger hübsch aus. Bahnhöfe, Nebengebäude und die selbst an kleinen Stationen ausufernden Bahnanlagen haben den Zustand der Romantik längst verlassen. Schmierereien, Verschmutzungen, Zerstörungen und Wind und Wetter haben manche „Schnittstelle zwischen Bahn und anderen Verkehrsmitteln" in einen nachkriegsähnlichen Zustand gebracht. Und dies ist nicht nur in den neuen Bundesländern zu besichtigen, wo viele Menschen den Verfall mit gewissem Verständnis und einem Schuß Genugtuung als Denk-Mal „So-war-der-Kommunismus" ansehen. Nein, das ist deutschlandweit so, sobald mensch die ICE-Strecken verläßt. Ein Denk-Mal „So-ist-der-Kapitalismus", wenn die Marktwirtschaft nicht funktioniert.
Man erlaube diese Gedanken: In einen solchen Zustand wären die Bahnhöfe nicht abgerutscht, auf denen Reichsbahnerinnen und Reichsbahner mit allen zur Verfügung stehenden „nicht vorhandenen Mitteln" ihren Bahnhof gepflegt haben.
Die Teilung des Unternehmens Bahn: Das Personal vor Ort ist nicht zuständig und darf auch nicht aus Eigeninteresse bei erkannten Problemen aktiv werden. Der „Bahnhofsmanager" ist für immer mehr Bahnhöfe verantwortlich und klappert sie mit seinem Dienstwagen ab und bemüht sich, einen Zusammenbruch zu verhindern und vielleicht auch Fenster zu erneuern, den Bahnsteig auszubessern usw.
Und immer leuchtet der „DB-Pluspunkt" als Wunsch am Horizont, nach den sich jede Gemeinde die Finger leckt - will man den Vorträgen von Bahnvertretern glauben. Die Grundeinheit mit 60.000,- DM (fast geschenkt!), als Standardlösung schnell hingestellt und pflegeleicht. Aber hier scheinen sich die Geister zu scheiden. Wir haben keine Veranstaltung erlebt, in der nicht dieser Haltestellentyp auf heftigen Widerstand stieß. Das muß bitter sein für die Bahn AG. Sie haben investiert und einen überall einsetzbaren Bahnhofstyp entwickeln lassen, und dann sagen die Nostalgiker: laßt uns unsere Bahnhofs-Landschaft erhalten.
Die Bahnhöfe befinden sich häufig wegen ihrer Randlage in Konkurrenz zum Gemeindezentrum und zum „Einkauf auf der grünen Wiese". Längerfristig abgesicherte Nutzungen sind das größte Problem. Daneben taucht zunehmend die soziale oder eben unsoziale Vorstellung auf, die Bahnhöfe zwar beleben, doch gleichzeitig unerwünschte Personen fernhalten zu wollen. Bahnfahren ist kein Privileg von „älteren Damen", die nicht durch die Anwesenheit von „rauchenden Jugendlichen" verunsichert werden dürfen.
Wieso wird über solche Probleme nicht auch an Tankstellen diskutiert? Wieso können Autofahrer behaupten, die Bahn wegen der unerträglichen Bahnhofssituation nicht zu benutzen, während sich die bierdosenleerende Szene an der Dorftankstelle versammelt?
Die städtische Reinigung erfolgt regelmäßig auf den Bürgersteigen, die Straße wird zum Mülleimer. Römische Verhältnisse?
Jetzt und heute geschieht dies im Unternehmensbereich der DB AG: Die Gleise werden zum Mülleimer. An der Bahnsteigkante verläßt nicht nur der Reisende den Ort, hier verläßt auch so manch Abfall die lockere Hand eines Menschen ohne „Müllbewußtsein". Das Bewußtsein des „Kümmerers" (bei der Firma Station&Service AG), genannt Bahnhofsmanager, hilft nicht weiter, denn hier verläßt ihn die Zuständigkeit. Bei der Firma Netz AG ist das Problem leider noch nicht erkannt!
Es gibt eine Reihe von kleineren und mittleren Bahnhofsprojekten, die sich sehen lassen können. Herausragend von der Größenordnung die im Nordhessischen Verkehrsverbund, in Baden-Württemberg die Bodensee-Oberschwaben-Bahn, viele Projekte in Rheinland-Pfalz, in Brandenburg von Neuruppin, Rheinsberg bis Dannenwalde, die in Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt), Troisdorf in NRW, die Bahnhöfe der Köln-Mindener Eisenbahn und und....
Es muß einen „Motor" geben. Wenn die Gemeinde kein Interesse am Bahnhof hat, dann ist nichts zu machen. Aufzubrechen ist das mitunter durch „Neidgefühle": Gemeinden ringsum basteln an ihrem Bahnhof, der eigene verfällt. Wichtig ist auch, einen „Arbeitskreis" zu bilden, indem alle eingebunden werden, die am Bahnhof Interesse haben. Nimmt das Projekt Gestalt an, muß eine „Projektsteuerung" eingesetzt werden, denn die Aufgaben lassen sich nicht mehr nebenher erfüllen.
Die Flächenbahn-Diskussion war und ist eine vorwiegend "politische", eine richtige und wichtige politische Zieldiskussion. Der Erhalt kleiner Bahnhöfe scheint erst einmal eine praktische Angelegenheit zu sein, aber auch ein kundenorientierter Bedarf. Die Flächenbahn-Diskussion wird von Verkehrsplanern und Verbänden geführt, dagegen am „Bahnhofsrettungs-Programm" eher Stadt- und Regionalplaner beteiligt und die Verbände.
Häufig sind die anderen konkurrierenden Verkehrsmittel bei der Betrachtung ausgeklammert. Kaum ein Planer schmälert den „Autobenutzungsgenuß". Wenn aber nicht zur Bahnhofsrettung gleichzeitig Zug um Zug die Autoanbindung der Gemeinden qualitativ gemindert wird, wird die Bahn in der Fläche kaum jemand mehr nutzen.
Zum Beispiel hat der Freizeitverkehr einen hohen Anteil am Reisendenaufkommen. Somit haben alle Bahnhalte einen großen Stellenwert bei einer integrierten Entwicklung der Tourismusförderung.
Ohne regionale Betrachtung, warum Menschen mit der Bahn anreisen sollen, hilft ein bißchen Bahnhofstünche herzlich wenig.
FUSS e.V.
aus SIGNAL 2-03/1999 (April/Mai 1999), Seite 23-24