Schienenverkehrswochen 1999
Für Fragen der Fahrgäste standen Herr Graetz vom BVG-Unternehmensbereich Bus in Vertretung für den erkrankten Direktor Lawrenz, sowie drei Mitarbeiter aus dem Linienmanagement bereit.
1. Jul 1999
In seiner Einführung machte Herr Graetz die zahlreichen Anwesenden mit den laufenden Aktivitäten des Unternehmensbereiches Bus vertraut. So hat sich die Überzeugung durchgesetzt, möglichst Bus und Straßenbahn auf gemeinsamen Fahrstreifen und Haltestellen-Bereichen zu führen. Beispiele dafür gibt es bereits in Köpenick (Bahnhof-/Lindenstraße), in der Pankower Grabbeallee und in der Friedrichstraße. Die Beschleunigung durch vermehrte Busspuren, Sonderschaltungen an Ampeln, verbesserte Haltestellenlagen soll jetzt in Angriff genommen werden. So werden zur Zeit Möglichkeiten zur generellen Beschleunigung kompletter Linien am Beispiel der Linie 101 untersucht.
Das Wundermittel RBL (Rechnergestütztes Betriebsleitsystem) soll das ermöglichen und kommt nun langsam (mit den üblichen EDV-Problemen und Verzögerungen) in die Einführungsphase. Da die Einbauzeit für das RBL pro Bus mit fünfzig Arbeitsstunden veranschlagt ist, wird allein der Einbau in den Bus-Fuhrpark neun Monate dauern. Dennoch sollen ab Mai die ersten Wagen mit RBL im regulären Linieneinsatz laufen und zum Beispiel mit RBL gesteuerten Innenansagen ausgerüstet sein, die die auftretenden Falschinformationen durch menschliche Schwächen vergessen machen sollen. Weiterhin werden an ausgesuchten Haltestellen mittels dynamischer Aushang-Fahrpläne und Tafeln reale Ankunftszeiten von Buslinien mitgeteilt. Auch im Falle von Betriebsstörungen erhält der Fahrgast in kurzer Zeit aktuelle Informationen.
Es folgte ein kurzer Überblick über Änderungen zum Fahrplanwechsel, die erkennbar unter dem Vorzeichen der Kosten-Neutralität liegen. Häufige Auseinandersetzungen mit städtischen Verwaltungen verlangt der Nachtbus-Knoten Hackescher Markt, über dessen endgültige Umsteigesituation noch immer nicht abschließend entschieden ist.
Nicht zuletzt wurde von Herrn Graetz die werbewirksame Einführung der neuen Jet Express Bus Linie „TXL" zum Flughafen Tegel verteidigt. Verständlich, muß die BVG dieses Projekt doch eigenwirtschaftlich betreiben und als ein unternehmerisches Risiko erscheint diese Linie, zudem sich die Berliner Flughafen-Gesellschaft in Tegel nicht sehr kooperativ zeigte.
Die folgende Diskussion mit dem Publikum zeigte ein Spiegelbild immer wiederkehrender Probleme, die schon Themen auf vergangenen Bus-Sprechtagen waren und offensichtlich leider nicht an Aktualität verlieren. Dazu gehören nach wie vor zu früh fahrende Busse (besonders) in den Schwachverkehrszeiten, sowie auf Fahrten, die mit Schichtwechsel beim Fahrpersonal verbunden sind. Mehrere Anwesende beklagten dies bei der Linien 221, wo Verfrühungen bis zu fünf Minuten auftreten. Auch Haltestellenlagen oder gänzlich fehlende Zustiegsmöglichkeiten waren wiederholt Grund von Kritik aus dem Publikum.
In den erfrischend locker, aber sehr umfassend gegebenen Antworten zeigte sich neben den ernsthaft zur Kenntnis genommenen Verfrühungsproblem auch eine Macht- und Hilflosigkeit bei der leidigen Haltestellen-Problematik. Da entstehen neue Wohnanlagen im Staakener Stadtrandgebiet an der Heerstraße. Der BVG werden vom Landespolizei-Verwaltungsamt dort neue Haltestellen verweigert, weil hier 70 km/h zugelassen sind. Bei solchen Geschwindigkeiten wird eine Haltestelle nur genehmigt, wenn gleichzeitig eine Fußgängerampel zur Überquerung gebaut wird. Mit derartig überzogenen behördlichen Anforderungen wird der BVG faktisch die Fahrgastbedienung in bestimmten Bereichen verboten. Ein ähnliches Resultat gibt es im Neubaugebiet in Rudow, wo der mit Haltestellenbuchten ausgestattete Straßenzug nicht bedient werden darf, weil die Polizei die Neuhofer Straße als „für Linienbusse nicht geeignet" einstuft und Fahrgäste einen zwei Kilometer langen Fußweg zumutet.
Die Neubausiedlung am Aalemannenufer in Spandau darf nicht befahren werden, weil dies der Investor nicht wünscht. Am S-Bahnhof Treptower Park werden in Fahrtrichtung Ostkreuz an der Hoffmannstraße für die Linie 194 und am S-Bahnhof Lichterfelde West in der Drakestraße von den Behörden Haltestellen wegen des fließenden Verkehrs verweigert. Alle diese angesprochenen Standorte würde die BVG gerne bedienen - sie darf nicht! Verbesserungen wurden lediglich für den Bereich Hugo-Cassirer-Straße nach Fertigstellung der Daunstraße angekündigt. Die Linie 131 soll dann bis U-Bahnhof Haselhorst durchgebunden werden.
Streitigkeiten mit nach mehr Ladenverkaufsfläche heischendem Eigentümer verhindern eine baldige Wiederinbetriebnahme des Busbahnhofs im Steglitzer Kreisel und bescheren weiterhin lange Fußmärsche. Etwas Gutes gibt es in puncto Wartehallen: der Bestand soll stetig bis auf 80 Prozent steigen.
Als Problem entpuppte sich auch die Taktausdünnung länderübergreifender Linien, was sich in massiven Beschwerden von Glienicker und Schildower Bürgern über die auf sechzig Minuten ausgedünnte Fahrtfolge der Linie 107 ausdrückte (siehe Artikel in diesem Heft). Herr Graetz bedauerte die Entwicklung ausdrücklich, verwies letztlich aber auf die politische Problematik. Brandenburger Politiker halten den Bedienungsstandard für ausreichend, Berlin verweist auf die Ländergrenze und erklärt sich für nicht zuständig. Die Publikumsdiskussion zeigte hier sehr deutlich, welche weitreichenden (auch direkt Berlin betreffenden) Folgen eine derartige „Scheuklappen-Sichtweise" auslöst. Die im Linienverlauf mit der Linie 107 identische Nachtlinie N 51 wurde nach Rückzug aus Brandenburger Gebiet auf dem verbleibenden Berliner Reststück bis Schildow von nur noch maximal zehn Fahrgästen pro Nacht benutzt und dann eingestellt. Ein anwesender Bürger aus der Neubausiedlung Blankenfelde muß für 20,- DM mit dem Taxi nach Hause fahren und sieht das nicht ein. In diesem Punkt ließ die Beantwortung doch Ratlosigkeit erkennen, Motto: wir würden ja, aber wer zahlt?
Weitere Fragen betrafen planmäßig verpaßte Anschlüsse am Bahnhof Lichterfelde Ost und ungleiche Taktfolgen bei der Linie 125. Wenngleich es dafür Anschlußbeziehungs- sowie umlaufbedingte Gründe gibt, war es erfreulich, daß Herr Graetz versprach, sich auch solcher „unlösbarer Fragen" anzunehmen. Eine von ihm als Beispiel vorgebrachte Einzellösung für einen Problemfall in Tagesrandzeit, in diesem Fall eine Sonderbedienung im Raum Ahrensfelde für einen Fahrgast zu einer bestimmten Zeit an einer aus dem Linienlauf herausgefallenen Haltestelle, ist ein positiver Ansatz und wäre noch vor kurzer Zeit bei der Behörde BVG völlig undenkbar gewesen.
Die Veranstaltung vermittelte, daß sich eine veränderte BVG präsentiert, bei der Dienstleistung und Kundenorientierung keine Fremdworte mehr sind.
Hoffen wir, daß sich dieser Eindruck auch in der Praxis bewahrheitet. Dann könnte man als Fahrgast auch schon mal darüber hinwegsehen, daß man aus einigen Busfenstern nichts mehr sieht, weil sie in einer Ganzflächenwerbung untergegangen sind. Ja, das liebe Geld ...
IGEB
aus SIGNAL 4/1999 (Juli 1999), Seite 9-10