Planung und Bauten
1. Sep 1999
Am 20. April 1999 entschied das Preisgericht, den neuen Fernbahnhof Papestraße nach den Plänen des Architekten Max Dudler zu bauen. Der Architekt hat seine Arbeit sicherlich so gut gemacht, wie dies innerhalb des gesteckten Rahmens möglich war. Dennoch treten jetzt einige grundlegende Unzulänglichkeiten und Fehlentscheidungen im Vorfeld der gesamten Maßnahme noch deutlicher zu Tage als bisher. Das Planungsergebnis bleibt in vieler Hinsicht unbefriedigend. Werden diese Fehler nicht jetzt erkannt und korrigiert, werden Sie als in Beton und Stahl umgesetzte Realität die Stadtstruktur und Stadtentwicklung nachhaltig stören.
Mit der Orientierung des Bahnhofs am Auto (2.550 Kfz-Stellplätze in zwei Parkhäusern) wird den Autofahrern der Bahnhof „hinterhergetragen". Diese Weichenstellung ist ökologisch fatal und selbst aus betriebsökonomischer Sicht grundlegend falsch. Liegt die Stärke des Systems Bahn doch gerade darin, durch Vernetzung der öffentlichen Verkehrsmittel die Erreichbarkeit des Bahnhofs so attraktiv zu gestalten, daß das Angebot auch Personen überzeugt, die sonst möglicherweise das Auto nutzen würden. Offenbar glauben die Entscheidungsträger der Bahn AG selbst gar nicht an ihr Produkt und gehen mit einem Konzept, das bei Flughäfen in den 70er Jahren modern war, an den Start ins neue Jahrtausend.
Schöneberg und Tempelhof werden in absehbarer Zeit fusionieren, aber genau dort, wo sich die Bezirkszentren am nächsten kommen und die historischen Zentren durch den Straßenzug Sachsendamm - Schöneberger Straße verbunden sind, wird Stadt zusehends demontiert und durch zusätzliche Verkehrsströme belastet. Der Bahnhof wird in der vorgesehenen Form, entsprechend den Prognosen, täglich zusätzliche 21.000 Kraftfahrzeuge anziehen. Es entsteht die absurde Situation, daß selbst Autofahrer aus Brandenburg den Bahnhof im inneren Berliner Stadtbereich anfahren werden. Dafür ist der Bereich Papestraße zu schade.
Dem Standort kommt entscheidende Verknüpfungsfunktion im Berliner „Stadtgewebe" zu. Der Straßenzug Schöneberger Straße - Sachsendamm führt über die von hoher Zentralität gekennzeichneten Kreuzungsbahnhöfe Schöneberg und Papestraße. Er war bis in die fünfziger Jahre Straßenbahntrasse und könnte im Zuge der Wiedereinführung der Straßenbahn im Westteil der Stadt auch wieder eine Straßenbahnlinie etwa von Alt-Tempelhof in Richtung Wittenbergplatz aufnehmen. Das Bahnhofsprojekt setzt in der vorgesehenen Form die durch Autobahnbau und Abriß der ehemals vorhandenen Bebauung eingeleitete De-Urbanisierung des Stadtbereichs fort. Die Potentiale des Bereichs werden verkannt. Hinter vorgehaltener Hand erfährt man in den Planungsämtern, der Straßenzug genieße ohnehin keine hohe Priorität.
Das aus dem städtebaulichen Wettbewerb „Schöneberger Kreuz, Fernbahnhof Papestraße" 1993 hervorgegangene Konzept für die Schöneberger Linse von den Architekten Herbst und Lang mit der starken Betonung des Tempelhofer Weges als innerstädtische Flaniermeile war der Nach-Wende-Euphorie geschuldet und scheint heute unrealistisch. Im ursprünglichen Konzept dieses Büros war am Bahnhof Schöneberg ein gradliniger Übergang von der Dominicusstraße in den Tempelhofer Weg vorgesehen. Im heutigen Plan ist diese „Spange" nicht mehr enthalten. Das Konzept für den Tempelhofer Weg wird damit so nicht aufgehen, zumal auch die im weiteren Verlauf des Tempelhofer Weges ehemals geplante Fußgängerunterführung zum Werner-Voß-Damm in Tempelhof nach heutigem Planungsstand nicht realisiert wird.
Sinnvoll wäre aus unserer Sicht, dem Sachsendamm nicht nur die verkehrliche Funktion zu geben, sondern diese Straße auch anstelle des Tempelhofer Weges zu einer innerstädtischen Magistrale zu entwickeln. An diesen Straßenzug angelagert könnte die Erschließung des Bahnhofs dann über einen seitlich liegenden, zum Sachsendamm offenen Vorplatz erfolgen - ähnlich der Vorfahrtsituation am Bahnhof Zoo. An dieser Stelle könnte der Bahnhof dann auch in angemessener Form im Stadtbild in Erscheinung treten.
Der Bahnhof wird im Stadtbild nicht sichtbar sein. Er liegt versteckt im städtebaulichen „Hinterhof". Der Bahnhof kann aus keiner Richtung von weitem als Merkzeichen und als städtebaulicher Orientierungspunkt wahrgenommen werden. Ohne zahlreiche Hinweisschilder wird der Bahnhof nicht zu finden sein. Die übergeordnete stadträumliche Dimension des Vorhabens wurde bislang nicht ausreichend beachtet.
Im vom Büro Herbst gewonnenen städtebaulichen Wettbewerb war die Dominicusstraße noch gradlinig in den Tempelhofer Weg übergeleitet worden, so daß man bei bloßer Betrachtung des Lageplans glauben könnte, das Fernbahnhofsgebäude sei von der Dominicusstraße aus sichtbar. Doch wird der Bahnhof sicherlich auch dann nicht sichtbar sein, wenn man östlich der Ringbahnbrücke vom Sachsendamm bereits in den Tempelhofer Weg eingebogen ist. Dies liegt an der Topografie des Geländes, das in der Höhe der Gotenstraße einen Berg bzw. Zenit hat, der ca. fünf Meter höher liegt als die Kreuzung Sachsendamm/Tempelhofer Weg und ebenso mehr als 1 Meter höher als die Kreuzung Tempelhofer Weg/Naumannstraße. Das „Bahnhofsgebäude", in diesem Fall die Westfassade des südlichen Parkhauses, ist nicht sichtbar, weil davor der „Berg" liegt.
Doch inzwischen ist diese gerade Verlängerung entfallen, so daß kaum ein Taxifahrer diese heutige Einfahrt benutzen wird, da der direkte Weg in die neue Naumannstraße kürzer ist. Hier aber soll nach den Plänen des Bezirksamts ein Bau den Bahnhofsvorplatz gegen den Sachsendamm abschließen, so daß der Bahnhofseingang nicht sichtbar sein wird.
Die Parkhausfassade als Schöneberger Bezugspunkt stellt etwas anderes dar als einen Bahnhof. Aus den Entwürfen des architektonischen Wettbewerbs geht eine Hilflosigkeit der Architekten bei dem Umgang mit dieser Problematik hervor. Die Gestaltung der sehr langen Parkhausfassaden sind in der Bedeutung der Bahnhofsfassaden völlig untergeordnet. Sie brauchen deshalb nicht betont werden und sind als Blickfang deshalb falsch gewichtet. Von Tempelhof aus sind sie gar nicht sichtbar, da sie bei der Anfahrt von der Papestraße aus nahezu parallel, bzw. deren Flanke nur geringfügig sichtbar sein wird. Dafür ist die Giebelfassade von der Papestraße aus sichtbar, die bisher nicht attraktiv gestaltet ist. Die an der General-Pape-Straße jetzt vorgesehene über die Straße hinausragende Zufahrtsrampe des Parkhauses ist dem Stadtbild in besonderer Weise abträglich.
Das Großprojekt manifestiert die Trennung der durch die Bahnlinien separierten Stadtbereiche: auf der nordwestlichen Seite des Bahnhofs die Schöneberger „Insel" mit ihrem großen Defizit an Grünund Erholungsflächen, auf der östlichen die Gartenstadt Neutempelhof, auf der südöstlichen das durch die Stadtautobahn völlig abgeschnittene dichte Quartier Reichart-/Geneststraße, auf der südlichen das Schöneberger Südgelände mit seinen Erholungsflächen.
Das Projekt Fernbahnhof Papestraße sollte als Chance gesehen werden, die durch die Bahnlinien getrennten Stadtbereiche sinnvoll zu verknüpfen und einen Ausgleich und eine wechselseitige funktionale Ergänzung zu ermöglichen. Wesentlicher Bestandteil eines integrativen Konzepts muß eine kurze, attraktive fußläufige Durchwegung des Bahnhofs in Ost-West-Richtung sein. Zugleich muß der Sachsendamm seinen Charakter als suburbane Schneise ändern hin zu einem Rückgrat des Stadtbereichs.
Die Eingänge zum Bahnhof als Blickfang von weitem (im bisherigen Entwurf zum Ringbahnsteig als zentrale Verteilerebene) liegen nicht in einer Sichtachse, so daß die Eingänge zu den Eingangshallen auf der Schöneberger und Tempelhofer Seite nicht von weitem zu sehen sind. Weder vom Sachsendamm in Höhe Naumannstraße als kürzeste zentrale Vorfahrtstraße, weder vom Tempelhofer Weg an zentrale Straßenachse mit Blickrichtung auf den Bahnhof (im bisherigen Entwurf auf die Westfassade des südlichen Parkhauses), weder von der nördlichen Naumannstraße als Erschließungsstraße (hier ist der Ringbahndamm ein Blickhindernis) noch von Tempelhof aus über die Papestraße (hier ist nur die östliche Flanke des Ringbahn-Dammes zu sehen) noch bei der Annäherung vom Werner-Voß-Damm ist die Tempelhofer Eingangshalle zu sehen, da sie auch hier versetzt liegt. Dagegen können Autofahrer problemlos über die Zufahrtspiralrampen in das Parkhaus einfahren und direkt von ihren Stellplätzen auf die Bahnsteige gelangen. Hier werden Autofahrer bevorzugt gegenüber Fahrgästen, die sich mit Taxi, Bus, Fahrrad oder zu Fuß dem Bahnhof nähern. Diese finden nur schwer den Eingang, da diese Zugänge seitlich unter dem Ringbahn- Damm untergebracht sind. Auf repräsentative Eingangshallen wurde absichtlich verzichtet. Die kleinen Entrees wurden ebenerdig in den Ringbahn-Damm geschoben. Ein Bahnhof definiert sich im Gegensatz zu einer Haltestelle über Züge, die in verschiedene Richtungen halten und fahren. Beim Bahnhof Papestraße ist die zentrale Verteilungsebene in den Entwürfen auf dem Ring-S-Bahnsteig. Hier muß die notwendige und schnelle Orientierung stattfinden.
Um von außen auf die Fernbahnsteige zu gelangen, ist es derzeitig nötig, sich auf den Ringbahnsteig in neun Meter Höhe zu begeben, um von dort auf die Nord-Süd-Fern- und die anderen S-Bahnsteige zu gelangen. Die zentrale Verteilerebene liegt also auf dem verkehrlich weniger bedeutenden Ringbahnsteig, der dafür aber auf (gegenüber dem heutigen Zustand) doppelte Breite angeschüttet werden muß. Die wichtigeren Bahnsteige der Fernbahn sind ausschließlich nur umständlich auf dem Umweg über den höher gelegenen Ringbahnsteig erreichbar. Dies führt die Fernbahn-Fahrgäste in die Irre, da sie die Hinweise auf die Zugänge zu den Fernbahnsteigen erst entdecken können, wenn sie auf dem Bahnsteig der Südring-S-Bahn gelandet sind. Dies ist wenig plausibel und dürfte zu Verwirrungen führen.
Zwecks einer besseren Übersicht wäre die Eintrittsebene in Hochlage die günstigste. Dies macht aber eine Anrampung des Geländes auf die +1-Ebene erforderlich. Da der Abstand der Fernbahnhofsfassade von der Naumannstraße ca. 110 Meter beträgt, läßt sich sogar eine rollstuhlfahrergerechte Rampe mit max. 6 % Steigung verwirklichen. Dieser Bahnhofsvorplatz läßt sich ähnlich wie vor dem Haus der Kulturen oder vor der Gemäldegalerie am Kulturforum gestalten, ohne BVG-Busse oder Taxen zu behindern.
Eine andere Möglichkeit ist die Passarellenebene, also in Tieflage, sprich - 1 - Ebene. Diese ist allerdings die weniger attraktive Lösung, da der Tunnel wenig Tageslicht bekommt und wenig Übersicht und Orientierung ermöglicht. Die Benutzer wären - wie bei allen Unterführungen - ausschließlich auf die Beschilderung angewiesen.
Außerdem fehlt ein nördlicher Zugang von der Naumannstraße! Dieser ließe sich leicht einrichten, wenn diese Zufahrt mit vier Meter statt mit der bisher (ausschließlich für die Feuerwehr geplanten) notwendigen drei Meter Breite realisiert würde.
Alle Entwürfe des Wettbewerbs für die Außenhülle tun sich mit der Bahnhofshalle schwer, da der Ringbahnsteig höher liegt als die Fernbahngleise. Viele Entwerfer haben den Ringbahnsteig als das zentrale Bahnhofsgebäude betrachtet, wahrscheinlich weil dieser Bahnsteig höher liegt. Die S-Bahn-Halle ist aber sozusagen nur ein „Hilfsbahnhof", ein Trittstein zum eigentlichen, nämlich dem viel größeren und bedeutsameren Fernbahnhof. Die meisten Entwerfer haben deshalb eine zentrale Halle über den „Hilfsbahnsteig" geplant.
Da die beiden Parkhäuser feststanden, war der Gestaltungsspielraum erheblich eingeengt, die Entwurfsgestaltung blockiert. Die Hauptgleise des Fernverkehrs verlaufen sozusagen „im Keller" und können somit kein Tageslicht erhalten. Dieser Luftraum zwischen den beiden Parkhäusern ist nicht der Bedeutung des Fernbahnhofs angemessen gestaltbar, da die Gleise der S-Bahn und des Güterverkehrs schräg durch ihn hindurchlaufen, während die Hauptgleise des Fernverkehrs sozusagen „im Keller" verlaufen und somit kein Tageslicht erhalten können. Die beiden optisch recht flachen Gebäude der Parkhäuser enden genau in der Höhe, in der die Bedachung der Ringbahn endet. Somit ist in der Dächerhierarchie keine Dominanz der Hauptrichtung erkennbar, die der Hierarchie der Züge angemessen wäre. Dem Ring-S-Bahnsteig die Bedeutung für ein solches Bahnhofsgebäude zu geben, zeugt von einer falschen Gewichtung.
Die Situation könnte besser gelöst werden, wenn eine der übergeordneten Bedeutung angemessene großzügige Fernbahnhalle als dominantes stadtbildprägendes Element zum Tragen käme, die vom Bahnsteig der Ringbahn in Querrichtung durchdrungen würde.
Wir beanstanden, daß seitens der Bahn AG keine öffentliche Diskussion über das projektierte Bauvorhaben in der jetzt vorgesehenen Form gesucht wird und keine geregelten Mitsprachemöglichkeiten für Betroffene bestanden und auch weiterhin nicht bestehen. Bei einem Bauvorhaben dieser Größenordnung und Bedeutung für die Gesamtstadt ist nach unserer Auffassung eine breit angelegte Diskussion und Konsensbildung eine Frage des Demokratieverständnisses. Die BIW hatte den „Runden Tisch" zum Bahnhof Papestraße initiiert. Die Bahn versuchte das später als Mitsprachemöglichkeit zu verkaufen. Allerdings hebelte die Bahn AG über die Eingrenzung der „Betroffenen" die Zahl der Einsprecher ein und bekam dafür auch noch Rückendeckung durch das Eisenbahn-Bundesamt.
Der Bahnhof wurde nicht als Architektenwettbewerb ausgeschrieben, sondern lediglich die Gestaltung der Parkhäuserfassaden und der Außenbereiche. Auch das Wettbewerbsergebnis wird von der Bahn nicht respektiert werden, da sie von Anfang an ihr Büro beauftragt hatte, von dem mindestens vier Versionen bekannt geworden sind, die allerdings mit dem Wettbewerbsgewinner kaum Ähnlichkeiten haben. Somit war auch der nur unter Druck zustande gekommene Architekturwettbewerb für die Bahn eine Alibiveranstaltung. An diesem war selbstverständlich die Öffentlichkeit nicht beteiligt, lediglich die Bezirksverordneten durften die Jurysitzung besuchen.
Die Bahn hat den Nutzen von der zentralen Lage und der erstklassigen Infrastruktur. Deshalb müßte sie verpflichtet werden, der Örtlichkeit an der Nahtstelle zwischen den beiden zukünftig zusammenwachsenden Bezirken eine Begegnungs- und Durchquerungsebene zu bauen.
Die Bahn müßte dem Standort mit ihrem Bauwerk in vielfältiger Weise gerecht werden.
Angesichts der weit späteren Fertigstellung der Tiergartentunnel sollten die verbleibenden Chancen genutzt werden, die falschen Grundannahmen zu revidieren.
Wir fordern ein Moratorium mit einer Denkpause und eine erneute grundsätzliche Diskussion, bevor die Millionen investiert werden!
Bürgerinitiative Westtangente
IGEB
aus SIGNAL 6/1999 (September 1999), Seite 15-17