Nahverkehr
Im Dezember jährt sich ein Datum, daß in der Öffentlichkeit wahrscheinlich kaum Beachtung finden wird: Am 18. Dezember 1929 - vor 70 Jahren - wurde die Siemensbahn zwischen Jungfernheide und Gartenfeld über Wernerwerk und Siemensstadt feierlich in Betrieb genommen.
1. Dez 1999
Jungfernheide - Wernerwerk - Berlin-Siemensstadt - Berlin-Gartenfeld: Stationen auf der sogenannten „Siemensbahn".
Diese S-Bahn-Strecke war etwas besonderes: Sie entstand ausschließlich als zweigleisige Strecke für die S-Bahn ohne Güter- oder Ferngleise. Sie war die erste Neubaustrecke nach der „Großen Elektrisierung" von Berlins Stadt-, Ring und Vorortbahnen. Sie entstand außerdem als öffentlich-privat finanziertes Vorhaben von Deutscher Reichsbahn und Siemens, heute sagt man neudeutsch „public-private-partnership" dazu.
Die Bahnhofsbauten wurden vom Siemens-Hausarchitekten Hans Hertlein entworfen. Die Streckenführung war vergleichsweise aufwendig. Zwei Wasserläufe mußten überbrückt werden, und am Bahnhof Wernerwerk entstand eine mehrere hundert Meter lange stählerne Brückenkonstruktion, vergleichbar den Hochbahn-Strecken in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg und Pankow. Modern waren auch die bei der Eisenbahn unüblichen Betonbrücken.
Eine Besonderheit stellte der Bahnhof Jungfernheide dar. Er wurde eigens für die Einfädelung der Siemensbahn in den Nordring umgebaut. Dabei erhielt er einen dritten Bahnsteig. Die Fahrgäste konnten so bequem (weil bahnsteiggleich) von der Ring- zur Siemensbahn umsteigen - und umgekehrt. Der dritte Bahnsteig diente dem Vorortverkehr mit Dampfzügen zum und vom Lehrter Bahnhof. Seine Gleise wurden erst im Zuge der Elektrifizierung der Strecke nach Spandau über Siemensstadt-Fürstenbrunn nach dem Zweiten Weltkrieg mit Stromschienen versehen.
Die Siemensbahn erlebte das ganze Auf und Ab der S-Bahn in West-Berlin. In den 70er Jahren hatte sie kaum noch ein nennenswertes Fahrgastaufkommen. Im Zuge der Realisierung der U7 wurde dann der dritte, 1929 angelegte Bahnsteig beseitigt. Die Züge von Ring- und Siemensbahn hatten dank des geringen Angebotes nun Platz an einem Bahnsteig.
Im September 1980, nach dem Eisenbahnstreik, wurde die Strecke schließlich stillgelegt. Und nur einen Monat später wurde die U7 bis Rohrdamm verlängerter Sie übernahm die meisten Verkehrsaufgaben der S-Bahn-Strecke. Die Bahnhöfe verfielen (weiter), die Natur eroberte die Bahntrasse zurück, Vandalismus machte sich breit.
Ob die Siemensbahn jemals wieder eröffnet wird? Vielleicht hat sie eine Chance, wenn der Flughafen Tegel stillgelegt und die Fläche baulich genutzt werden wird. Der Senat sieht in offiziellen Publikationen zumindest eine „Trassenfreihaltung" vor, verbunden sogar mit einer Verlängerungsoption bis auf das Westufer (!) der Havel. Vielleicht hat die Strecke auch eine Chance als Bestandteil eines erweiterten Straßenbahnnetzes. Dies ist alles aber Zukunftsmusik, die nicht nur Investitions-, sondern auch Betriebskosten bedenken muß.
Was immer die Zukunft auch bringen mag, das Berliner S-Bahn-Museum will an die Vergangenheit und Zukunft (?) dieser einst modernen S-Bahn-Strecke erinnern. Hierfür brauchen Ihre Hilfe. Viele haben uns in den vergangenen Wochen bereits ihre Erlebnisse geschrieben oder uns Material angeboten.
Da es aber ruhig noch etwas mehr sein kann, nochmals die Bitte um Unterstützung: Fotos, Zeitungsartikel, Fahrpläne oder persönliche Erinnerungen. Rufen Sie uns bitte an: 030/78 70 55 11 oder schicken Sie uns einfach ein Fax: 030/78 70 55 10Berliner S-Bahn-Museum
aus SIGNAL 8-09/1999 (Dezember 1999), Seite 20