Berlin
Zur Fortschreibung des Berliner Nahverkehrsplanes (NVP) führt die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr eine Workshop-Reihe zu unterschiedlichen Aspekten des Berliner Nahverkehrs durch. Zum 2. Workshop am 16. November 1999 hatte Matthias Horth, stellvertretender Vorsitzender der IGEB e.V., Gelegenheit zu den Qualitätsanforderungen im öffentlichen Nahverkehr aus Sicht des Berliner Fahrgastverbandes einen Vortrag zu halten, den wir im folgenden abdrucken.
1. Mär 2000
Für das Berliner Stadtgebiet sind ÖPNV-Mindest-Erschließungsstandards zu definieren. Die maximale Fußwegentfernung zum nächsten Haltepunkt eines öffentlichen Verkehrsmittels ist differenziert nach Verkehrsmittel und Nutzungsdichte im Stadtraum entsprechend der folgen den Werte festzulegen (Tabelle 1).
Ebenso sind im NVP Mindest-Bedienungsstandards festzulegen. Auch hier sind differenzierte Standards sinnvoll. Insbesondere das Busliniennetz sollte dazu in (für den Fahrgast nachvollziehbaren) Qualitätsstufen hierachisiert werden (zum Beispiel Expreßlinien, Hauptnetzlinien, Ergänzungsnetz-Linien) Des weiteren sollten die Mindest-Bedienungsstandards in Abhängigkeit von der Nutzungsdichte im Stadtgebiet definiert werden (Tabelle 2).
Das Platzangebot soll so bemessen sein, daß der mittlere Besetzungsgrad in der Spitzenstunde in Lastrichtung 65 Prozent nicht überschreitet. In der Normalverkehrszeit soll der Besetzungsgrad als Mittelwert über die Stunde 50 Prozent nicht überschreiten. Für Fahrten über zehn Minuten Beförderungszeit soll jedem Fahrgast ein Sitzplatz zur Verfügung stehen. Die eingesetzten Fahrzeugen sollen einen Sitzplatzanteil von mindestens einem Drittel aufweisen.
An wichtigen Umsteigepunkten im Netz sind für die jeweiligen Hauptumsteigebeziehungen Anschlüsse fahrplanmäßig herzustellen (Ausnahme: bei Fahrplantakten unter 10 Minuten). Die Sicherung der Anschlüsse - auch zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln oder Verkehrsunternehmen - ist zum Beispiel durch Funk bzw. rechnergesteuertes Betriebsleitsystem zu gewährleisten. Insbesondere in den verkehrsschwachen Zeiten muß die Anschlußsicherung Vorrang vor der Fahrplaneinhaltung haben.
Die Anlagen und Fahrzeuge sind fahrgastfreundlich zu gestalten. Mobilitätsbehinderte Personen oder Fahrgäste mit Kinderwagen sollen durch eine entsprechende Gestaltung der Fahrzeuge und der baulichen Anlagen die öffentlichen Verkehrsmittel ohne fremde Hilfe nutzen können.
Mit Ausnahme übergeordneter Leistungen, die sinnvollerweise vom VBB erbracht werden sollten, haben die beauftragten Verkehrsunternehmen neben der Erbringung von Verkehrsleistungen in angemessener Form sonstige Informations und Serviceleistungen für die Fahrgäste anzubieten. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung eines Call-Centers, eines Beschwerdemanagements und eines Fundbüros. Die Verkehrsunternehmen sind zu verpflichten, ein internes Qualitätsmanagement einzuführen und jährlich einen Bericht über die Kundenzufriedenheit zu erstellen.
Das von den Verkehrsunternehmen eingesetzte Personal muß hinsichtlich des Gesamtverkehrs- und Tarifangebotes des VBB ausgebildet sein. Hinsichtlich des Timganges mit Fahrgästen sind durch regelmäßige Schulungen die Voraussetzungen für ein kundenorientiertes Verhalten des Personals zu schaffen. Das beauftragte Verkehrsunternehmen hat die Durchführung entsprechender Schulungen nachzuweisen.
Den Sicherheitsbedürfnissen der Fahrgäste, insbesondere von Frauen, ist bei der Gestaltung der baulichen Anlagen und der Fahrzeuge besonders Rechnung zu tragen. Die S- und U-Bahnhöfe sind grundsätzlich mit Personal zu besetzen sowie zusätzlich mit entsprechenden technischen Einrichtungen auszustatten (SOS-Melder, ggf. Kameraüberwachung auch von Zugängen). Zusätzliches Sicherheitspersonal ist entsprechend d em vom Senat beschlossenen Sicherheitskonzept für den ÖPNV einzusetzen. Das Sicherheitspersonal ist hinsichtlich des Umganges mit Fahrgästen auszubilden und soll auch für Verkehrs- und Tarifauskünfte zur Verfügung stehen (IHK-Zertifizierung).
Es ist zu gewährleisten, daß die fahrplanmäßig vorgesehenen Leistungen zuverlässig und pünktlich erbracht werden. Für S- und U-Bahn ist ein Pünktlichkeitsgrad von größer als 97% sicherzustellen. Bei Betriebsunterbrechungen im S-, U- oder Straßenbahn-Netz muß nach höchstens dreißig Minuten ein Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet sein. Bei Ausfällen von Bussen muß innerhalb von höchstens dreißig Minuten ein Ersatzfahrzeug fahrplanmäßig eingesetzt werden.
Nicht erbrachte Verkehrsleistungen oder vom Verkehrsunternehmen zu verantwortende Verspätungen bzw. Verfrühungen müssen zu finanziellen Sanktionen für das Verkehrsunternehmen führen.
Die S- und U-Bahnhöfe sind täglich zu reinigen. Grobe Verunreinigungen sind durch das Aufsichtspersonal sofort zu entfernen. Die Fahrzeuge sind mehrmals täglich zu säubern, sie sind täglich zu fegen und zu wischen, eine Grundreinigung muß mindestens monatlich erfolgen. Eine Außenwäsche der Fahrzeuge muß mindestens wöchentlich durchgeführt werden.
Grundsätzlich muß auf allen S- und U-Bahnhöfen bzw. in allen Fahrzeugen der Erwerb von Einzelfahrscheinen und Tageskarten für das Berliner Verkehrsgebiet (ABC) möglich sein. Nach Vereinfachung des VBB-Bartarifes müssen Einzelfahrkarten und Tageskarten für das gesamte Verbundgebiet auf allen S- und U-Bahnhöfen und in allen Fahrzeugen verkauft werden. Darüber hinaus ist der Erwerb von Zeitkarten an allen wichtigen Umsteigepunkten und über ein privates Verkaufsstellennetz zu gewährleisten.
Die Mitnahme von Fahrrädern soll bei S- und U-Bahn grundsätzlich ganztägig, bei der Straßenbahn außerhalb der Hauptverkehrszeit ermöglicht werden. Pro Wagen sollen mindestens für zwei Fahrräder sichere Abstellmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Die Verkehrsunternehmen bzw. Infrastrukturunternehmen haben folgende Mindestausstattung an Straßenbahn- und Bushaltestellen vorzuhalten:
Zusätzlich zu der unter 11.1 genannten Ausstattung ist an den S- und U-Bahnhöfen folgende Mindestausstattung vorzusehen:
Die beauftragten Verkehrsunternehmen haben über die Einhaltung der oben genannten Qualitätskriterien ein umfassendes Berichtswesen zu erstellen, das dem Aufgabenträger quartalsweise vorzulegen ist.
Darüber hinaus sind vom Aufgaben träger stichprobenhafte Leistungsüberprüfungen durch unabhängige Dritte zu veranlassen. Nicht entsprechend den Qualitätsanforderungen oder überhaupt nicht erbrachte Leistungen müssen zu finanziellen Sanktionen für das beauftragte Verkehrsunternehmen führen.
IGEB
aus SIGNAL 1/2000 (Februar/März 2000), Seite 10-12