Reise & Bericht
Eine Reise dorthin ist für den verwöhnten Mitteleuropäer eine Reise in eine andere Zeit.
1. Mär 2000
Für Rumänien besteht Visaplicht und für derzeit 75,- DM erhält man schnell den hübschen Schmuck im Reisepaß. Ziel der Reise war Viseu de Sus im Nordwesten des Landes; mitten in den Karpaten. Die Anreise mit der Bahn ist schon abenteuerlich. Nicht weniger als 46 Stunden dauerte diese und führte durch Polen; die Slowakei, Ungarn und weite Teile Rumäniens schließlich zum Ziel.
Der rumänische Bahnverkehr ist gewöhnungsbedürftig, präsentiert in vielerlei Hinsicht noch die „gute alte Eisenbahn". Selten fahren lange, oft ziemlich volle Züge, die in gemächlichem Tempo das weite Land erschließen. Die edmonsonsche Fahrkarte, die Fahrkarte schlechthin, ist allgegenwärtig.
Viseu de Sus, hat 23.000 Einwohner, das war der CFR (der Rumänischen Staatsbahn) doch zu wenig, um die dorthin führende Bahnstrecke am Leben zu halten. Der Bahnverkehr wurde 1997 eingestellt. Nun fährt der Bus; so alle Stunde zum Nachbarort mit Bahnhof. Fahrpläne? Fehlanzeige. Man setze sich an eine Haltestelle und warte: Und irgend wann kommt auch was. Viel Zeit braucht man, um sich diesem Land zu nähern, das zeigte sich schon auf der Anreise. Die deutsche Hektik ist schnell vergessen, Minuten werden unwichtig, hier wird allenfalls in Stunden gerechnet.
Als wir um 10 Uhr am Bahnhof eine Zugauskunft einholten, wurde uns freundlich offenbart, daß der nächste Zug schon um 17 Uhr führe, wir könnten uns ja derweil die Stadt ansehen. Der Fremde wird sehr gastfreundlich und herzlich aufgenommen, eine unkomplizierte, offene Umgangsform ist selbstverständlich. Wenn oft auch nur mit Armen und Beinen, ein Gespräch ist schnell entstanden.
Und erst die Landschaft. Natur pur. Bis zu 2300 Meter ragen die Karpatengipfel in die Höhe, schroffe Felsen, einsame Täler, Wasserfälle; für den Naturfreak gibt es alles. Wer allerdings eine touristische Infrastruktur mit Gaststätten, Wegweisern und ausgebauten Wegen sucht, sollte lieber zu Hause bleiben. Einige Täler sind besiedelt. In hübschen Holzhäuschen leben hier w hrhaft naturverbundene Menschen, oft komplette Selbstversorger. Straßen sucht man im Gebirge vergebens. Man geht zu Fuß oder zu Pferd oder aber, wie im Wassertal (Valea Vaser): man nimmt die Waldbahn. Und tatsächlich, jeden Werktag „In der Früh" dampft der Schmalspurzug in den Wald, bis heute das einzige Verkehrsmittel hier.
Und es werden nicht etwa zahlungskräftige Touristen befördert, nein, die Waldbahn dient bis heute einem Holzwerk zur Heranschaffung des Rohstoffes aus den riesigen, einsamen Gebirgswäldern.
Der Wald ist Existenzgrundlage vieler, hier herrscht Betrieb: Holz wird gefällt, Bären gejagt oder untertage Erz abgebaut. Auf den Almen hausen den Sommer über Schäfer mit ihren Herden. Größere Ortschaften sucht man allerdings im oberen Wassertal vergebens. Die Ansiedlungen bestehen meist aus Waldarbeiterquartieren und sind montags bis freitags bewohnt, nur übers Wochenende fahren ihre Bewohner, natürlich mit der Waldbahn, zu ihren Familien ins Tal. Dies ist nur zu verständlich, braucht der Zug doch für die 40 Kilometer bis zu sechs Stunden; zumindest bergwärts, zurück schaft er es in vier Stunden. So ist er den ganzen Tag unterwegs. Talwärts erreichen die Holzzüge eine beachtliche Länge von über 100 Meter, sie fahren dann mit „Holzantrieb". Die Mitfahrt ist auch ein unvergeßliches Erlebnis. Auf offenen Güterwagen bietet sich wirklich ein traumhafter Rundumblick. Und sollte einmal kein passender Wagen dabeisein, dann ist auch eine Lokmitfahrt inclusive.
Thomas Kabisch, Berlin-Lichtenberg
aus SIGNAL 1/2000 (Februar/März 2000), Seite 19