Berlin

Busse mit Werbung oder Werbung mit Bussen?

Wir leben in einer Welt, in der Werbung ein nicht zu unterschätzender Bestandteil des Wirtschaftslebens ist. Werbung durchdringt alle Bereiche unseres Lebens, und die IGEB weiß natürlich, daß die Einnahmen aus Werbung für die Verkehrsunternehmen unverzichtbar sind. Aber es gibt seit einiger Zeit Tendenzen, die aus unserer Sicht bedenklich sind.


IGEB, Abteilung Stadtverkehr

1. Jul 2000

Nun wird sich die IGEB auf keinen Fall um die Inhalte von Werbung kümmern. Die unterliegen Moden und den Veränderungen, die die Gesellschaft insgesamt betreffen. Sicherlich wäre vor 20 Jahren eine Kondom-Werbung an einem Doppeldecker eine Sensation gewesen. Die Zeiten ändern sich, Werbung auch. Obwohl, haben es die Verkehrsunternehmen wirklich nötig, Werbung für Autos zu machen ...?

"Ganzkörperwerbung" für die Busse

Mit der veränderten Situation Berlins in den neunziger Jahren hat auch die Werbewirtschaft die alte, neue Hauptstadt entdeckt. Das kann man am besten in den Werbespots im Fernsehen sehen, bei denen inzwischen Berlin eine beliebte Kulisse darstellt.

Zerkratze Scheiben sind im Moment das größte Ärgernis für Fahrgäste. Foto: Alexander Frenzel, Mail 2000

Eine Besonderheit Berlins bilden die Doppeldecker im Busverkehr. Schon auf historischen Fotos ist erkennbar, daß Omnibusse und insbesondere Doppeldecker ein beliebter Werbeträger waren. Seit einiger Zeit beginnt ein richtiger Run auf die Doppeldecker. Der Name „Großer Gelber" wird zunehmend in den Hintergrund gedrängt, denn immer mehr Busse sind über und über mit Werbung versehen.

Doch seit etwa einem Jahr wächst die Zahl der Busse, bei denen auch die Fenster als Teil der Werbeflächen genutzt werden. Was auf den ersten Blick für den Betrachter originell und weltstädtisch wirkt, hat für den Fahrgast fatale Folgen. Denn die Sicht aus d em Bus hinter einer solchen Werbefläche ist miserabel und teilweise völlig unmöglich. Es mag ja sein, daß die Einnahmen aus dieser Werbung so hoch sind, daß die Abschreibung für diese Fahrzeuge zu einem großen Teil gedeckt ist. Allerdings sinkt erheblich die Attraktivität für die OPNV-Benutzer. Und daß die Fahrpreise auf Grund der besseren Werbeerlöse sinken, diese Hoffnung ist wohl zu optimistisch.

Die Zwangsinfantilisierung der Fahrgäste

Die elektronischen Medien haben auch in Berlin immer wieder versucht, Busse und Bahnen zu erobern. Viele erinnern sich noch mit Grausen an die Zwangsbeschallung in S-Bahn-Wagen auf der S3 mit einem stadtbekannten Radiosender. Nun war der besagte Radiosender sicherlich Geschmackssache, viele Fahrgäste wollen auf dem Weg zu oder von der Arbeit schlicht und einfach ihre Ruhe. Und so hatte die S-Bahn ein Einsehen und stellte den Radiosender wieder ab.

Endhaltestelle am Flughafen Tempelhof 1962. Repro aus: 150 Jahre Berliner OmnibusFotograf

Seit einiger Zeit gibt es aber einen neuen Angriff auf die Nerven der Fahrgäste. Auf dem Südring verkehrt ein Halbzug der Baureihe 485, in dem in den Abteilen Bildschirme angebracht sind, die die Fahrgäste mit einem „Bunten Programm" berieseln.

Die IGEB kann und wird nicht über den ästhetischen Wert eines Mordillo-Sketches richten. Da aber das System sich durch Werbung finanzieren soll, steht diese natürlich immer im Vordergrund und nimmt einen wesentlichen Teil ein. Es stellt sich die Frage: „Muß das wirklich sein?"

Bus oder Werbetafel? Die Unterschiede verschwimmen zusehends. Foto: Marc Heller, Juni 2000
U-Bahnhof Zoologischer Garten (U9): Die einzige betriebliche Information besteht in dem Hinweis Bitte zurücktreten, Zug fährt ein! Foto: Alexander Frenzel, Mai 2000

Anscheinend doch. Denn während die S-Bahn sagt, das betreibende Unternehmen sei noch in der Testphase, will die BVG bei der U-Bahn sofort nachrüsten. Sicherlich wird in beiden Fällen den „Opfern" die Zwangsberieselung dadurch schmackhaft gemacht, daß neben der Werbung auch Informationen mitgeteilt werden. Mit allem gebührenden Respekt: Im Störfall wird der Fahrgast Informationen über Zahnpasta erhalten. Ob ihm aber im selben Störungsfall Informationen erreichen, die ihm weiterhelfen, ist nach den Berliner Erfahrungen aber stark zu bezweifeln.

Dabei wäre gegen einen (aber wirklich nur einen) Info-Bildschirm pro Wagen nichts zu sagen. Aber ein Bildschirm ist natürlich viel zu wenig, denn letztendlich dient er dem Kommerz. Und so wird wie der ein Stück Umwelt mit Datenmüll zugepflastert.

Übrigens, wird dann jeder Bildschirm mit einer Kamera wegen möglicher Vandalismusschäden überwacht? Genau da war eine der Visionen aus George Orwell „1984": Ständig mit Informationen überflutet und ständig beobachtet sein. Schöne neue Welt!

IGEB, Abteilung Stadtverkehr

aus SIGNAL 4-05/2000 (Juni/Juli 2000), Seite 9-10