Umland

Fahrplan in die Geschichte der Bahnlinie Ducherow - Swinemünde

Die meisten Badeorte unserer Insel verdanken ihren Aufschwung der Eisenbahn. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts setzten sich die Swinemünder Bürger für eine Eisenbahnverbindung mit dem Festland ein. Sie wollten jeden Schienenbau unterstützen, ganz gleich, ob er über die Peene oder die Dievenow zum Hafen führte. Aus: Peter August Rolfs, Die Insel Usedom - Ein Heimatbuch und Reiseführer, 1933


Usedomer Eisenbahnfreunde e. V.

1. Jul 2000

Reisevorbereitungen:
Berlin, Stettin und Swinemünde

Wer heute die Insel Usedom zu seinem Reiseziel wählt, kann gewiß sein, daß er, aufgrund der landschaftlichen und strukturellen Vielfalt des Eilands in der Odermündung, ein geeignetes Fleckchen finden wird, das seinen Neigungen und Ansprüchen zusagt.

Südlich von Aklam, dort wo die Inselzunge am weitesten an das Festland heranreicht, stand die Hubbrücke Karnin; heute nur noch ein Eisenrest in der Ostsee. Der ehemalige Streckenverlauf von Ducherow auf die Insel Usedom ist mit Punkten gekennzeichnet. Bei gutem Wetter ist die Hubbrücke von Karmin übrigens auch aus der Eisenbahn zu erkennen. Karte: Deutsche Reichsbahn, Sammlung IGEB

Ob entlang des Achterwassers, wie der Peenestrom, der die Insel vom Festland trennt auch genannt wird und wo stille, vergessen scheinende Winkel und Orte wie ungeschliffene Kostbarkeiten die Neugier wecken, oder in Heide, Wald und Moor wie bei Mellenthin oder dem Thurbruch, kann der aufmerksame Beobachter selten gewordene Tierarten und Pflanzen entdecken. Kleine Seen mit reizvollen Ufern, landschaftliche Erhebungen, sprachlich gutmütig Berge genannt und in ihrem Ergebnis Zeugnisse der eiszeitlichen Moränen wecken die Lust auf Natur. Als Badegast in einem der wiederaufstrebenden Kaiserbäder, beim Schlendern auf den prächtig rekonstruierten Promenaden und unter dem steten Rauschen der Ostsee und einem manchmal brisenden Landwind, kann man angesichts vornehmer Gäste und Bediensteter auf den Cafe-Terrassen der Hotels, einen vermeintlichen Hauch der einstigen Exklusivität dieser Orte empfinden. In einem Strandkorb vielleicht, wie ehedem die Großeltern dem Jauchzen und Lachen Badender im Meer lauschend, wird der eine oder andere vielleicht den Ton oder das Bild in der Erinnerung behalten, das letztlich für ihn den Zauber der Insel ausmacht.

Möglicherweise sind seine Eindrücke ähnlich denen der ersten Badegäste vor hundert oder noch mehr Jahren die, damals wie heute, Anlaß für die Gründung und die darauf folgende rasche Entwicklung der Seebäder auf Usedom Mitte des 19. Jahrhunderts waren. Das erste von ihnen war Swinemünde, das als drittes deutsches Seebad um 1821 einen geregelten Badebetrieb aufnahm. Die Ursprünge, so heißt es, gehen auf eine Initiative des preußischen Staates zurück, der verwundete Offiziere des Französischen Krieges 1806 - 1813 zur Genesung nach Swinemünde schickte. Als Folge dieser Aktion entwickelte sich daraus ein erster Badetourismus, dem schon bald andere Orte folgten, so zum Beispiel das wohl bekannteste Seebad auf der Insel Usedom, Heringsdorf.

Postkarte von Swinemünde, 1910. Sammlung: Joachim Evers

„Die Gründung Heringsdorfs erfolgte im Jahre 1819. Oberhofmeister v. Bülow, Besitzer der Herrschaft Gothen und der Dörfer Neuhof und Neukrug, lichtete einzelne Waldstellen und verkaufte diesen BauplatzÄ an Büdner und Fischersleute.

Im Laufe der Zeiten, in denen sich Heringsdorf mehr und mehr vergrößerte, wechselten die Besitzer. Im Jahre 1872 wurde Seebad Heringsdorf von der Gräfin zu Stolberg-Wernigerode an eine Aktiengesellschaft verkauft, die, unter Leitung der Familie Delbrück stehend, mit Geschick und Geldopfern Heringsdorf zu einem Bad ersten Ranges gemacht hat ... Der Name Heringsdorf ist königlichen Ursprungs. Auf einer Reise von Swinemünde nach Wolgast am 6. Juni 1820 verweilte König Friedrich Wilhelm III. in der neuen Schöpfung des Oberhofmeisters von Bülow, u m Augenzeuge des Heringsfanges zu sein. Bei d em Genuß frischgefangener Heringe verlieh der gleichzeitig anwesende Kronprinz, später König Friedrich Wilhelm IV., den Namen 'Heringsdorf"'(Aus: See-, Sol- und Moorbad Heringsdorf, 1928)

Die Karniner Drehbrücke (nach 1908). Blick von Kamp nach Karnin. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig

Nun mag man heute zuweilen darüber streiten, wann genau Heringsdorf gegrünt, det wurde und von wem und ob es sich mit der Namensgebung tatsächlich so verhielt. In unserem Fall ist das noch nicht so entscheidend. Für uns ist erst einmal wichtig zu wissen, daß die Entstehung und Entwicklung der Seebädern auf Usedom mit ausschlaggebend war für den Bau der Bahnlinie Ducherow - Swinemünde.

Denn Swinemünde und sein Hafen auf der einen und die Inseln Usedom und Wollin auf der anderen Seite waren von großer strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung für den preußischen Staat. Ohne diese Tatsache hätte es sicher noch sehr lange gedauert, bis eine Anbindung der Insel an das Festland und somit an das Verkehrsnetz von und nach Berlin geschaffen worden wäre.

Die Gründe dafür waren eine Folge des Stockholmer Friedens von 1720. Darin wurde Pommern, mit der Peene als Grenze (und darin eingeschlossen die Inseln Usedom/Wollin) Brandenburg-Preußen zugeschlagen, wobei der Rest Vorpommerns (einschließlich Rügens) schwedisch blieb. Da nun das Hauptfahrwasser in das Oderhaff, allein aufgrund des Tiefgangs, die Peene war, ergab sich die ärgerliche Situation, daß Schweden diesen Zugang zum Haff, und somit die Versorgung Stettins und des übrigen Landes, nach Belieben kontrollieren und im schlimmsten Fall gar unterbinden konnte. Also gewann der Hafen von Swinemünde an eben besagter Stelle strategischer Bedeutung, da er Preußens einziger Zugang zur Ostsee war und dem Staat als eine Art Brückenkopf in der schwedischen Einflußspähre eine gewisse Unabhängigkeit brachte.

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Diese Umstände brachten eine Menge Unannehmlichkeiten mit sich. Wohl war der Weg in das Haff über die Swine kürzer, aber die ungünstigen Strömungsverhältnisse der Pommerschen Bucht führten dazu, daß der Hafen von Swinemünde und somit die Einfahrt in die Swine versandete, was es großen Überseeschiffen unmöglich machte, Stettin direkt anzulaufen. Dadurch entwickelte sich Swinemünz um 'Vorhafen' für Stettin und wurde Umschlagsort für die sogenannte Leichterschiffahrt. Schiffe, denen es aufgrund ihres Tiefgangs nicht möglich war in die Swine einzufahren, wurden ganz oder teilweise entladen (geleichtert) bis sie so selbst die Fahrt fortsetzten oder das Ladegut mit leichteren Kähnen oder Schiffen nach Stettin befördert wurden. Zwar war man seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemüht, durch Bau von Molen den Hafen und die Swine vor dem Versanden zu bewahren, aber alle Aktivitäten waren halbherzig und scheiterten meist am Geldmangel. Diesem mißlichen Umstand wurde erst 1826 mit der Fertigstellung von Ostund Westmole teilweise abgeholfen.

Swinemünde geriet, inzwischen mittels der Leichterschiffahrt einen ordenlichen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren, gegenüber dem übermächtigen Stettin ins Hintertreffen. Die Umschlagszahlen wie die Zahl der gebauten Schiffe in Swinemünde gingen stetig zurück. Zudem waren die ungünstigen Verkehrsanbindungen der Inseln Usedom und Wollin ein Hindernis für eine wirtschaftliche Entwicklung der Region und der Hafensstadt Swinemünde.

Da keine Brücken die Insel Usedom mit dem Festland verbanden, mußten Personen und Güter mit Fähren übersetzen und das weitere Reisen mit Pferd und Wagen auf holprigen Straßen in die Seebäder war langwierig und äußerst unbequem.

Zwischen 1858 und 1861 wurde auf der Insel wegen umständlicher Verkehrsverbindungen, zunächst die Chaussee Zecherin - Usedom - Swinemünde (heute Bundesstraße 110) für 471 000 Reichsmark gebaut. Jedoch lag darin nicht allein die Lösung des Problems. Die fand sich im Ausbau des preußischen Eisenbahnnetzes! Die Initiative, so heißt es, geht auf den damaligen Schriftleiter der Ostsee-Zeitung zurück, der 1835 Stettiner Kaufleuten seine Idee einer Bahn Berlin - Stettin vorstellte. Diese waren davon so angetan, daß sie im März 1836 das Berlin-Stettiner-Eisenbahnkommitee gründeten. Das war eine damals durchaus übliche Form, denn der Staat sah sich außerstande, bei derartig aufwendigen und auch risikobehafteten Projekten die Geldmittel beizusteuern.

Die Eisenbahn-Hubbrücke bei Karnin 1935. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig

Die im „Kommitee" vereinigten Berliner und Stettiner Kaufleute waren zunächst skeptisch, was die zu erwartende Rentabilität anbetraf, doch die Bedenken wandelten sich in Euphorie, als man die Zahlen der 1838 in Betrieb genommenen Strecke Berlin - Potsdam zum Vergleich heranzog. Nun wollte der preußische Staat zwar kein finanzielles Risiko eingehen, doch erkannte er die Nützlichkeit der Bahn. Auf Anweisung des Kabinetts vom 10. Juli 1836 erhielt die Berlin-Stettiner-Eisenbahngesellschaft, wie sie sich nun nannte, die vorläufige Konzession. Als Gesellschaftssitz galt Stettin.

Am 12. Oktober 1840 wurde der Bau der Bahnlinie beschlossen. Als Streckenverlauf wählte man die Route über Bernau, Biesenthal, Neustadt, Eberswalde, Angermünde, Passow, Tantow bis zur südlichen Festungsanlage Stettin. Ausgangspunkt in Berlin wurde ein neu zu errichtender Bahnhof in der Invalidenstraße. Der Bau wurde in mehreren Etappen rasch vollzogen, so daß am 15. August 1843 die Strecke feierlich eröffnet werden konnte.

Das erste Geschäftsjahr erfüllte wirtschaftlich alle Erwartungen der Aktionäre und beflügelte sie zum weiteren Ausbau des Netzes, zumal der Staat sein Interesse daran bekundete, Pommern wirtschaftlich zu erschließen. Im Laufe der nächsten Jahre wurden weitere Strecken eröffnet:

1. Mai 1846 Stettin - Stargard
1. Juni 1859 Belgard - Kolberg
16. März 1863 Angermünde - Anklam
1. Nov. 1863 Anklam - Stralsund
1. Nov. 1863 Züssow-Wolgast
1. Juli 1870 Zopot-Danzig

Am 15. Mai 1876 wurde die Linie Ducherow - Swinemünde eröffnet. Doch bis es soweit war, gab es einige Schwierigkeiten zu überwinden.

Natürlich erkannten die Swinemünder Kaufleute die Bedeutung einer Anbindung an das bestehende Streckennetz. Aber sie hatten voreilig ihre Anteile an der Eisenbahngesellschaft abgestoßen, so daß sie nun kein Mitspracherecht mehr hatten. Die Stettiner dominierten, alle Planungen gereichten zu ihrem Vorteil. Swinemünde, daß sich auch aufgrund des beginnenden Tourismus, ein wenig erholten und neuen wirtschaftlichen Aufschwung anstrebte, war ein unliebsamer Konkurrent.

Die Swinemünder Kaufleute setzten alle Hebel in Bewegung, um das Vorhaben zu realisieren. „1868 gelang es dem Swinemünder Konsul Heyse, die Breslau-Schweidnitzer Eisenbahngesellschaft für den Bau einer Bahn über die Insel Wollin zu gewinnen. Die Strecke wurde vorläufig nur bis Gollnow gebaut. Erst 1890 konnte sie bis Wollin, 1900 bis Ostswine durchgeführt werden" (Aus: Die Insel Usedom - Ein Heimatbuch und Reiseführer, Peter August Rolfs, 1933). Damit kam man den Wünschen der Swinemünder Kaufleute nur bedingt entgegen. Und gerade der aufstrebende Tourismus forderte eine zeitgemäße Anbindung, die allenfalls mit Dampfern von Stettin aus oder wie bisher mit Fähren und Pferd und Wagen bewerkstelligt werden konnte.

Swinemünde drohte wirtschaftlich ins Hintertreffen zu geraten, zumal sogar Wolgast 1863 einen Bahnanschluß erhielt. Also setzte man alles daran, angebunden zu werden. Nachdem man innerhalb der Eisenbahngesellschaft grundsätzlich bereit war, Swinemünde an das Eisenbahnnetz anzubinden, entbrannte nun ein Streit über die Linienführung. Letztlich schälte sich die Lösung von Swinemünde über Usedom nach Ducherow heraus, die nun energisch bei der der preußischen Regierung verfochten wurde. Und man besann sich rechtzeitig (aufgrund eines Hinweises aus dem preußischen Handelsministerium) auf die strategische Bedeutung.

... nach Berlin 179,1 Kilometer, ist noch heute am Bahnhof Usedom zu lesen. Foto: Michael Föge

Im April 1872 endlich, nach langen zähen Verhandlungen, wurde der Bau der neuen Linie beschlossen. Nach Erteilung der Konzession durch Preußen am 11. Dezember 1872 konnte schon zu Beginn des Jahres 1873 mit den Arbeiten auf der ganzen Strecke begonnen werden. Im Frühjahr 1876 wurde die Inbetriebnahme durch die Landespolizeibehörde genehmigt, am 5. Mai 1876 konnte die Strecke (aus Gründen der Sparsamkeit) ohne große Jubelfeiern eingeweiht werden.

Einer direkten, bequemen und auch raschen Anbindung an die begehrten Ferienziele der Ostsee stand nun nichts mehr im Wege. Die kraft- und nervenaufreibende Anreise mit Pferd, Wagen und Fähre gehörte der Vergangenheit an und Wirtschaft, Marine und Tourismus profitierten von diesem mutigen Schritt der Berlin-Stettiner-Eisenbahngesellschaft, wie wir im weiteren noch sehen werden.

Abfahrt: Berlin, Stettiner Bahnhof

„...Die Sommerreise war für uns alle etwas Selbstverständliches, für die Eltern, weil sie den Hauptteil ihres Lebens in kleinen, fast ländlichen Städten verbracht hatten und nie recht Großstädter wurden... Wir Kinder aber wollten wenigstens einmal im Jahre »raus«; grade weil wir echte Großstadtkinder waren, hatte eine Sommerfrische auf dem Lande alle Reize einer Entdeckungsfahrt ins Ungewisse für uns." (Aus: Damals bei uns daheim, Hans Fallada)

Für alle Züge nach Norden an die Ostsee aber auch Richtung Skandinavien, im Besonderen jedoch zur „Badewanne Berlins", der Insel Usedom, war der 1876 gebaute Stettiner Bahnhof (nach 1945 in Nordbahnhof umbenannt) Ausgangspunkt für die Reisenden.

Wie zufällig scheint seine Einweihung mit der Eröffnung der Bahnlinie Ducherow - Swinemünde in Zusammenhang zu stehen. In jedem Falle entwickelte er sich im Laufe der Jahre zum verkehrsreichsten Berliner Bahnhof, wohl auch als Folge der Sehnsucht erholungsuchender Berliner, die es sich leisten konnten, die Ostsee als Ferienziel zu nutzen.

Berliner Lokal-Anzeiger 10. Juni 1928. Sammlung: IGEB

Der Schriftsteller Hans Fallada beschreibt im weiteren seine Eindrücke von Reisevorbereitungen um 1910 so: „Dann ist es endlich soweit! Obwohl unser Zug vom Stettiner Bahnhof erst gegen acht Uhr fährt, ist die ganze Familie, Vater einschließlich, schon um halb sechs aus den Betten gejagt worden, denn auch die Betten müssen noch eingepackt werden. Während Mutter mit der alten Minna sie in einen ungeheuren Bettsack aus Segeltuchstopft und pfropft, ist Christa in der Küche damit beschäftigt, Stapel Butterbrote anzuhäufen ... Der ganze Haushalt war in Auflösung begriffen. Fünf weibliche Wesen rannten - anscheinend ziellos - hin und her, setzten hier etwas ab, trugen dort etwas fort. Auf der Diele stand Vater und versuchte das Gepäck zu zählen, ein fruchtloses Beginnen. Denn immer, wenn er die endgültige Zahl ermittelt zu haben glaubte, wurde ein Stück wieder weggeschleppt und zwei neue kamen hinzu.

Es war der erste Tag der großen Ferien. Ganz Berlin, soweit es Kinder hatte und es sich leisten konnte, war im Aufbruch ... Überall standen auf den Bürgersteigen hinter Kofferbastionen Familientrupps ... Aber der Stettiner Bahnhof ist ein wallen der, wogender Strudel. Vor uns Gepäckdroschken, die halb ausgeladen sind, hinter uns Gepäckdroschken, die abladen wollen und schon zu drängeln beginne Und kein Gepäckträger, der auf Vaters Ruf hört!"

Die Erinnerungen Hans Falladas sollen hier nur als Beispiel für die Beliebtheit der mecklenburgischen und pommerschen Ostseeküste stehen, die ihren Ausgangspunkt in den meisten Fällen eben von den Berliner Bahnhöfen hatten. „Die Wahl des Ortes war stets recht schwierig, denn er mußte billig sein, nicht zu weit von Berlin entfernt liegen, und er mußte dem Ideal entsprechen, das meine Eltern von ländlicher Stille und Schönheit hatten. So haben die Eltern Sommerfrischen entdeckt, in die noch kaum je ein Berliner gekommen war."

Aber warum wurden die Küsten der Ostsee und die Erholung am Meer so beliebt? War es das dringende Bedürfnis der Menschen, schon damals den Belastungen des beginnenden Industriezeitalters und der Enge in den Städten, speziell Berlin, zu entfliehen?

Beim Versuch, diese Frage zu beantworten, gehen wir in der Geschichte noch einen Schritt zurück in das Jahr 1793. Der Rostocker Arzt Hofrat Samuel Gottlieb Vogel richtete eine Denkschrift an Herzog Franz von Meckelnburg-Schwerin, in der das Fehlen von Badeanstalten an der Ostsee bedauerte. Gerade das Bad im Meerwasser sei für sehr „viele Schwachheiten und Kränklichkeiten" überaus heilsam. Des weiteren regte er an, in Doberan eine derartige Einrichtung in Seenähe zu installieren, „wohin das Seewasser mit leichter Mühe und geringen Kosten herbeygeschafft würde". Heute kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß dieser Vorschlag der Ursprung des Badewesens an der Ostsee ist. So entstand in Doberan am „Heiligen Damm" das erste deutsche Seebad. Dem Beispiel Doberans folgte 1816 Putbus auf Rügen und wie erwähnt 1821 Swinemünde. Die Anregung für seinen Vorschlag hatte sich Hofrat Vogel in England geholt. (Das Seebad ist keine deutsche Erfindung, es stammt aus England!) und seine Hoheit, der Herzog fand, daß unserem Land etwas Vergleichbares fehle.

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Aber, was vielleicht kaum jemand weiß, die deutschen Seebäder standen den englischen ihrer Blütezeit in nichts nach! „Heringsdorf galt lange Zeit als der vornehmste Badeort unserer Insel. Heute nimmt Bansin diesen Ruhm ... in Anspruch." (Aus: Die Insel Usedom - Ein Heimatbuch und Reiseführer, Peter August Rolfs, 1933).

Schlepper der Reederei Lange im Hafen von Karin. Sammlung: Hans Nadler, Leipzig

Daraus entwickelte sich der Tourismus - wie wir ihn kennen -, geboren aus jener Unsitte, am hellichten Tag (!) im offenen Meer zu baden. Und natürlich waren die Urheber dieser Umtriebe nicht etwa jene einfachen bodenständigen Menschen, die an den Küsten wohnten. Nie im Leben (!) wäre ihnen eingefallen, es den „närrischen Städtern" gleichzutun. Aber nachdem auch die königliche (und später kaiserliche) Familie Gefallen an der Erholung an der See fand und die Seebäder regelmäßig besuchte, ja sogar allerlei Repräsentanten anderer europäischer Königshäuser bis hin zum Zaren Nikolaus sowie adelige und nichtadelige Prominenz, war eben diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten.

Fortsetzung folgt

Usedomer Eisenbahnfreunde e. V.

aus SIGNAL 4-05/2000 (Juni/Juli 2000), Seite 30-33