Berlin

Geht's noch günstiger? Verwirrung um den VBB-Gruppentarif

Über die Irrungen und Wirrungen des VBB-Tarifs ist schon viel geschrieben und kritisiert worden. Eine Tarifgruppe ist aber so merkwürdig behandelt, daß hier noch einmal darauf eingegangen werden muß: Der Gruppentarif.


IGEB, Abteilung S-Bahn und Regionalverkehr

1. Feb 2001

Im VBB-Bereich werden Kleingruppen- und Großgruppenkarten angeboten. Die Kleingruppenkarte gilt für gemeinsame Fahrten von maximal fünf Personen in Art einer Tageskarte (gültig ab Entwertung bis 3 Uhr des Folgetages für beliebig viele Fahrten). Sie ist recht problemlos am Schalter und an fast allen Automaten erhältlich.

Das ganze Leben ist ein Quiz - so erinnert die Suche nach dem passenden Tarif manchmal auch eher an ein Glücksspiel! Foto: Marc Heller, 1997

Die Großgruppenkarte gilt für gemeinsame Fahrten ab sechs Personen, ebenfalls gültig ab Entwertung bis 3 Uhr des Folgetages für beliebig viele Fahrten. Sie ist nur in bestimmten Verkaufsstellen erhältlich.

So weit, so gut. Intuitiv meint man, pro Person sei eine Großgruppenkarte preisgünstiger als mehrere Kleingruppenkarten. Dieser Schein trügt.

Stückwerk lohnt sich

Bleiben wir im Berliner ABC-Bereich. Rechnet man genau nach, so stellt man erstaunt fest, daß für den Tarifbereich AB nur bei einer Gruppengröße von genau sieben Personen die Großgruppenkarte wirklich preisgünstiger ist als eine Kombination aus einer Kleingruppenkarte und zwei einzelnen Tageskarten (21,- + 8,70 + 8,70 = 38,40 DM). Die Großgruppenkarte ist um 2,70 DM billiger (7 x 5,10 = 35,70 DM). Für jede andere Personenanzahl ist eine Kombination aus Kleingruppenkarte(n) und einzelner/n Tageskarte(n) preiswerter.

Betrachtet man den Tarifbereich Berlin ABC, so lohnt sich der Großgruppentarif ausschließlich für sieben oder acht Personen.

Bei einer Gruppengröße von zum Beispiel 20 Personen spart man durch den Kauf von vier Kleingruppenkarten gegenüber einer Großgruppenkarte 18,00 DM.

Hinzu kommt, daß man bei Bedarf die große Gruppe problemlos in kleinere Grüppchen von fünf Personen spalten kann, und daß man zum Kauf des Fahrausweises nicht erst zu „besonders bekannt gemachten Verkaufsstellen" fahren muß.

Wen kümmert's?

Nun kann der Kummer gewöhnte VBB Fahrgast sagen: Was kümmert mich eine teure Großgruppenkarte, die niemand kaufen muß, weil es mit Kleingruppenkarten billiger geht? Sicher richtig, aber man muß es ja erst einmal wissen, damit man nicht in diese Falle tappt.

Wie sieht es also mit der Tarifinformation aus? Im November 2000 wirbt „BVG plus" ganzseitig für Klein- und Großgruppenkarten. „Sollten Sie einen Ausflug mit mehr als fünf Teilnehmern planen, dann empfehlen wir ihnen die Großgruppenkarte.", preist die BVG ein fast immer überteuertes Angebot an. BVG minus.

Testfragen

Vielleicht sind ja persönliche Auskünfte am Telefon kompetenter.

Bei den Tarifen in Berlin und Brandenburg steckt der Teufel bekanntlich im Detail. Und weil die Tarife hier so kompliziert und teilweise undurchschaubar sind, ist der Informationsbedarf natürlich groß. Da passen geschlossene Fahrkartenschalter nicht so recht ins Bild und schrecken doch eher Kunden ab - Automaten können das persönliche Gespräch nicht ersetzen. Besonders ärgerlich wird es dann, wenn man plötzlich als Schwarzfahrer dasteht oder in der Regionalbahn noch 5,- DM Nachlösezuschlag drauflegen darf. Schöne Aussichten! (Geschlossener Fahrkartenschalter im U-Bahnhof Wedding) Foto: IGEB-Archiv

Erster Versuch: VBB-Infocenter (25 41 41 41). Frage: „Ich habe eine Gruppe von insgesamt elf erwachsenen Personen und wir möchten uns für einen Tag frei mit öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin, Tarifzone AB bewegen können. Welches ist der günstigste Tarif und was kostet es?"

Antwort: Die Großgruppenkarte ist die beste Variante und kostet 56,10 DM.

Nachfrage: „Ist dies auch wirklich das preisgünstigste Ticket?"

Antwort: Ja, billiger geht's nicht.

Urteil: Der VBB hat seinen Ruf der Inkompetenz mal wieder glänzend bestätigt.

Für elf Personen löst man 2 Kleingruppenkarten plus eine Tageskarte, macht zusammen 50,70 DM, also 5,40 DM weniger als die empfohlene Großgruppenkarte!

Zweiter Versuch: BVG Call-Center (19 449). Nach 45 Sekunden Warteschleife die gleiche Frage.

Antwort: Die Großgruppenkarte ist am Besten. Beim Preis verrechnet sich der Herr von der BVG.

Nachfrage: Ist dies auch wirklich das preisgünstigste Ticket?

Antwort: Na ja, man könne auch drei Kleingruppenkarten nehmen, aber das sei teurer...

Großgruppen- oder Kleingruppenkarte mit Tageskarte? Wer vier verschiedene Stellen fragt, bekommt fünf verschiedene Auskünfte. Da sage noch einer, der VBB-Tarif sei einfach! Foto: Irmgard Schmidt, Juli 1997

Nachfrage: Ist eine dritte Kleingruppenkarte wegen einer Person nötig?

Antwort: Warten Sie mal, mit zwei Kleingruppenkarten und einer Tageskarte ginge das auch, und es wäre sogar billiger. Auch hier wird wieder falsch zusammengerechnet.

Urteil: Wenn man die BVG mit der Nase darauf stößt und hartnäckig nachfragt, bekommt man den richtigen Tip. Die Benutzung des Taschenrechners wird den Mitarbeitern in den Auskunftsstellen zur Übung empfohlen.

Wer den BVG-Webeslogan „Geht's noch günstiger? Auf jede Frage eine Antwort. Das BVG Call-Center." beim Wort nimmt, wird nicht ganz befriedigt. Für normale Fahrgäste ist das nicht ausreichend.

Dritter Versuch: S-Bahn Kundenbüro Nordbahnhof (29 71 98 43). Die gleiche Frage.

Antwort: Ja, da nehmen Sie am Besten zwei Kleingruppenkarten und eine Tageskarte, macht zusammen 50,70 DM, erhältlich am Schalter oder am Automaten.

VBB-Tarif gültig seit 1. August 2000, Preise in DM

Urteil: Sehr gut, ohne Nachfrage wird sofort das günstigste Angebot genannt und richtig zusammengerechnet. Innerhalb von eineinhalb Minuten ist das Telefongespräch beendet und alle Fragen korrekt beantwortet. So sollte es sein.

Die Lösung ist in Arbeit

Zur „Ehrenrettung" der Verkehrsbetriebe und des VBB muß noch erwähnt werden, daß bereits an der Lösung des Problems Großgruppenkarte gearbeitet wird. Zur geplanten Tariferhöhung am 1. August 2001 soll die Kleingruppenkarte abgeschafft und die Tageskarte heftig verteuert werden. So löst der VBB Probleme.

IGEB, Abteilung S-Bahn und Regionalverkehr

aus SIGNAL 9-10/2000 (Januar/Februar 2001), Seite 12-13