Berlin
Auch ein unerwartet über die BVG hereinbrechender Bauetat sollte nicht zu einem derartigen Chaos führen, wie es im November und Dezember bei der Straßenbahn im Raum Schöneweide/Köpenick für den Fahrgast zu erdulden war.
1. Feb 2001
Bereits im Oktober 2000 hatte es sich bei der mehrwöchigen Sperrung der Rhinstraße ab Allee der Kosmonauten abgezeichnet: die Straßenbahn hat die Organisation der wachsenden Zahl von Umleitungen und Schienenersatzverkehre (SEV) nicht im Griff. Ein kleines Detail sollte ein schlechtes Omen sein: Für die in dieser Zeit nicht verkehrende Linie 28 wurde kein SEV eingerichtet, trotzdem wurden im Streckenverlauf die entsprechenden Fahrpläne und Linienschilder nicht von den Haltestellenmasten entfernt. Wer sich in Falkenberg an die Haltestelle stellte, um mit der 28 nach Karlshorst/Schöneweide zu fahren, der konnte lange warten. Bis zu drei Wochen. Den an einigen Haltestellen ausgehängten Zetteln war nämlich genau zur Linie 28 keine verwertbare Information zu entnehmen.
Bereits selbstverständlich gewordene und so auch von der BVG zugesagte Mindeststandards der Fahrgastinformation wurden nicht mehr eingehalten. Das einst von der IGEB gelobte Heftchen „Tram-Bauinfo" ist in seinen letzten Ausgaben zu einer unübersichtlichen und fehlerhaften Aneinanderreihung von Umleitungen mutiert. Eigentlich zusammengehörende Informationen werden über mehrere Seiten verteilt und müssen mühsam zusammengesucht werden, eine Zusammenfassung zeitlich ineinandergreifender Baumaßnahmen fehlt. Selbst die Fachleute der „Berliner Verkehrsblätter" wurden jüngst in die Irre geführt - nachzuprüfen in der Dezember-Ausgabe. Was aber taugt eine Fahrgastinformation, die selbst Experten nicht mehr überblicken?
Nach diesem schlechten Auftakt „steigerte" sich das Baumanagement der Straßenbahn im Laufe des November noch. Am 6. November 2000 wurde der Straßenbahnverkehr in Johannisthal im Verlaufe des Sterndamms und außerdem in Köpenick komplett östlich der Kreuzung Bahnhofstraße/Lindenstraße eingestellt. Grund waren einerseits die Gleissanierung im Sterndamm und andererseits die Streckenverlegung in der Altstadt Köpenick. Eine Vorabinformation der Fahrgäste erfolgte, indem im bereits erwähnten „Tram-Bauinfo" unter vier verschiedenen Überschriften häppchenweise Linienumleitungen aufgelistet wurden. Ein Gesamtüberblick des Baugeschehens dagegen fehlte, was um so schmerzlicher war, weil einige Straßenbahnlinien mehrfach betroffen waren. Interessant wäre zum Beispiel die Information gewesen, welche Linien wann und in welcher Wegführung denn überhaupt noch fuhren. Als „Nachtrag" und Berichtigung wurde drei Wochen nach Baubeginn dann noch ein einzelner Zettel herausgegeben, der überall zu erhalten war, nur nicht im betroffenen Raum Schöneweide/Köpenick - da fuhren keine Straßenbahnen mehr. Auf die Idee zum Beispiel Hinweistafeln auch in die S-Bahnhöfe im betreffenden Gebiet zu stellen, kam bei der BVG niemand.
Als es am 6. November losging, gab es weder Fahrplanaushänge für die SEV-Haltestellen, noch akzeptable Info-Tafeln an den nicht bedienten Straßenbahnhalten. Und wenn es sie gab, so waren sie entweder inhaltsleer oder wiesen sogar in die Irre: An der (von der Straßenbahn nicht bedienten) Haltestelle S-Bahnhof Schöneweide/Sterndamm der Linien 27 und 67 wurde für die Fahrtrichtung Köpenick bzw. Karlshorst ein „Ersatzverkehr" annonciert. Das war natürlich Unsinn, denn aus der Gleisschleife gleichen Namens, ca. 50 Meter entfernt, fuhren genau diese Straßenbahnen ab. Während in Köpenick Busse fehlten - und dort der letzte Überland-Reisebus-Schrott aus dem Brandenburger Umland eingesetzt wurde - schoben sich in Schöneweide und Karlshorst eben der nach wie vor befahrenen Straßnbahnstrecke Brückenstraße/Edisonstraße/Treskowallee Gelenkbusse für die Linie 21 durch den Stau. Manchmal wurden immerhin bis zu acht Fahrgäste in den 18 Meter langen Bussen gezählt. Warum diese Linie zwischen Blockdammweg und S- Bahnhof Schöneweide überhaupt eingestellt und im SEV gefahren wurde, kann nicht nachvollzogen werden - die Gleisschleife am S-Bahnhof Schöneweide hätte die ohnehin selten und mit Solo-Triebwagen verkehrende Linie 21 sicher noch verkraftet. Auch an anderer Stelle gibt es Wendeschleifen, in denen mehr Linien enden, als Gleise vorhanden sind.
Als besonderes „Schmankerl" wurde im Zuge des Sterndamms eine Bus-Haltestelle (Sterndamm/Königsheideweg, Fahrtrichtung S-Bahnhof Schöneweide), die bisher bei jeder Straßenbahn-Baumaßnahme in Johannisthal als SEV-Haltestelle fungierte, bei dieser Gelegenheit nicht als solche gekennzeichnet und dementsprechend nicht bedient. Entsprechend herzliche Szenen spielten sich in den Bussen ab, wenn Fahrgäste genau dort aussteigen wollten, der SEV-Bus aber ungeachtet des Haltewunsches durchfuhr. Von der Begeisterung bei den Fahrgästen, die an besagter Haltestelle auf den SEV warteten, ganz zu schweigen.
Wundert es noch jemand angesichts dieser Schilderungen, daß Straßenbahnen genau dann aus der Endstelle am S-Bahnhof Schöneweide abfuhren, wenn die SEV-Busse aus Johannisthal eintrafen? Das wurde jedenfalls mehrfach beobachtet - die sowieso schon genervten Fahrgäste verliehen dann ihrer tiefen Dankbarkeit jeweils gegenüber dem Fahrer des irgendwann nachfolgenden Zuges Ausdruck. Daß die eingesetzten SEV-Busse abenteuerliche Zielschilder führten, die bestenfalls als kurios bezeichnet werden können, war da schon nicht mehr überraschend. Eine kleine Auswahl:
Besonders das letzte Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie unbefriedigend und irreführend der von der BVG eisern vertretene Standpunkt ist, an SEV-Bussen und an umgeleiteten Straßenbahnen das - lediglich hypothetische - „fahrplangemäße" Ziel laut Kursbuch anzuzeigen. Die Fahrgäste, die einen Bus mit dem Zielschild „Landsberger Allee/Petersburger Straße" sehen, hoffen ohnehin, daß der SEV nicht wirklich bis dorthin dauert. Die häufig zitierten ortsfremden Fahrgäste haben davon aber auch nichts, denn sie interessiert nur die Frage, ob der Bus zum S-Bahnhof Schöneweide fährt oder nicht - im Zweifelsfall müssen sie ohnehin fragen. Und es würden der BVG eine Reihe von Überlegungen (die man sich dort aber anscheinend schenkt) in punkto Umschildern erspart: bei einer Angabe der tats„chlichen Fahrtziele des SEV „Johannisthal, Haeckelstraße" (bzw. „S Schöneweide" in der Gegenrichtung) wäre zum einen die Liniennummer in der Tat irrelevant (27 und 67 fahren hier auf identischem Weg). Die Möglichkeit von Fehlern wäre folglich etwas geringer gewesen. Außerdem können eventuelle im weiteren Verlauf der Linie im Fahrplan vorgesehene Änderungen der Linienziele guten Gewissens unberücksichtigt bleiben - jetzt bleiben sie es ja auch. Oder glaubt jemand ernsthaft, daß an den Ersatzbussen für die 27 nach 20 Uhr statt „Landsberger Allee, Petersburger Straße" nun korrekt umgeschildert wurde auf „ S+U Lichtenberg"? Eine rein hypothetische Frage...
Am Morgen des 24. November 2000 wurde der Straßenbahnverkehr in Köpenick wiederaufgenommen. Dafür wurde die Sperrzone im Raum Schöneweide deutlich ausgedehnt: südwestlich der Kreuzung Wilhelminenhofstraße/Edisonstraße („Königsplatz") fuhren jetzt gar keine Straßenbahnen mehr. Auch die Linien, die an der Gleisschleife am S-Bahnhof Schöneweide enden, mußten auf Grund der Abschlußarbeiten bei der Sanierung der Treskowbrücke im SEV befahren werden. In der Zwischenzeit hatte die BVG nach massiver Intervention der IGEB wenigstens rudimentäre Bauinfo-Tafeln aufgestellt. Trotzdem wurden nach wie vor aber an zahlreichen SEV-Haltestellen keine Fahrpläne für die Busse gesichtet. Auch die Nachrüstung der schon erwähnten Haltestelle Sterndamm/Königsheideweg mit der Kennzeichnung als SEV-Halt unterblieb. Das war aber nicht ganz so schlimm, denn jetzt hielten dort endlich alle Busse, da die Fahrer dazugelernt hatten...
... bis zum 5. Dezember 2000. Ab diesem Zeitpunkt fuhren alle SEV-Busse konsequent durch. Verschiedene zur Rede gestellte Fahrer beriefen sich auf eine Anweisung „von oben", wonach an dieser Haltestelle nicht mehr gehalten werden dürfe. In Zusammenarbeit mit dem BVG-Qualitätsservice konnte dieser Fehler zwar nach vier Tagen geklärt werden. Es bleibt aber die Frage, wie man eine Haltestelle entlang des Linienweges von SEV-Bussen einfach „vergessen" kann, und warum mehrfache intensive Bemühungen seitens der IGEB nötig waren, um die Anbringung des „Ersatzverkehr"-Schildes und den Halt aller Busse zu veranlassen. Oder sollte das Auslassen dieser Haltestelle doch Absicht gewesen sein? Vielleicht hat ja ein Planungsstratege einen tiefen Blick in das - trotz wiederholter Korrekturvorschläge durch die IGEB - nach wie vor fehlerhafte Kartenmaterial getan (siehe Abbildung oben), und ist zu dem Schluß gekommen, daß hier zwei Haltestellen unnötig „dicht" beieinanderlägen? Solche Entscheidungen können aber nicht vom „grünen Tisch" aus getroffen werden, sondern sie müssen vor Ort überprüft und ggf. unmittelbar korrigiert werden.
Das Auslassen von Haltestellen ist jedenfalls eine Einsparmaßnahme zu Lasten der Fahrgäste, die nicht zu tolerieren ist. Bei künftigen SEV's muß sich das Augenmark nicht nur auf das IGEB-Lieblingsthema „Fahrgast-Information" richten, sondern auch Linienführung und bediente Haltestellen bewerten. Deshalb ergeht auch ein Aufruf an Sie, unsere Leser: Wenn Sie in Ihrem persönlichen Umfeld bei Baumaßnahmen vergleichbare Beispiele erleben, so teilen Sie uns dies bitte mit. Die IGEB wird versuchen, mit der BVG Lösungen zu finden - hoffentlich ist nicht wieder ein Monat nötig.
Ein Nachsatz: War schon der SEV ein Trauerspiel, soweit er in der Verantwortung der BVG lag, so empört einmal mehr die Nicht-Organisation des ÖPNV durch die Straßenverkehrsbehörde. Anstatt für die SEV-Busse die nicht benutzten Fahrbahnen der Schloßbrücke in Köpenick freizugeben, mußten sie sich im MIV-Stau anstellen. Ebenso in Oberschöneweide am Königsplatz: die sogenannten Pförtnerschaltungen für die Straßenbahn aus Richtung S-Bahnhof Schöneweide sind zwar aus Sicherheitsgründen notwendig, gleichwohl aber berüchtigt. Nicht selten vergehen ein bis zwei Minuten, bevor eine Straßenbahn in die Haltestelle einfahren darf - und noch einmal die gleiche Zeit, bis sie nach erfolgtem Fahrgastwechsel zum Beispiel nach Köpenick abbiegen darf. Obwohl keine Straßenbahnen verkehrten - und folglich keine Haltestellenbereiche abzusichern waren - , so wurden doch trotzdem die Pförtnerampeln nicht außer Betrieb genommen. Die Folge: die SEV-Busse wurden durch die Pförtnerampeln zusätzlich aufgehalten. Es wird Zeit, daß der Straßenverkehrsbehörde neue Prioritäten gesetzt werden und bei Baumaßnahmen an den Lichtsignalanlagen die Belange des ÖPNV berücksichtigt werden.
IGEB, Abteilung Fahrgastbelange
aus SIGNAL 9-10/2000 (Januar/Februar 2001), Seite 20-22