Berlin
Persönliche Impressionen und Anmerkungen
1. Aug 2001
Als BVG-Benutzer hat man sich daran gewöhnt, daß Fahrpläne vor allem zur Irreführung der Beförderungsfälle dienen, und auch DAISY besitzt ja einen hohen Unterhaltungswert: Haben doch die Angaben, die das „Dynamische Auskunfts- und Informationssystem" macht, oft nur bedingt mit dem tatsächlichen U-Bahn-Verkehr zu tun. Doch im Sommer kann man über den Sinn einer weiteren Neuanschaffung der doch finanziell stets so klammen BVG rätseln: Klimaanlagen in manchen Bussen. Nicht, daß die Luftkühler keine gute Idee wären. Aber dafür müßten sie funktionieren. Ein auf zwanzig Grad heruntergekühlter Bus ist mir in den letzten Wochen jedoch nicht begegnet. Im Gegenteil: Klimaanlage heißt natürlich auch, daß sich kein Fenster öffnen läßt. Und weil die Kühlsysteme nicht funktionieren (oder aus Kostengründen nicht eingeschaltet werden?), sind BVG-Busse nach wie vor ein sicherer Ort für all jene, denen es im Sommer in Berlin nicht heiß genug ist. Sie, lieber Leser, fühlen sich am wohlsten um die 35 Grad? Dann nichts wie ab in den nächsten Bus, vor allem einen mit Klimaanlage!
Wahre Brutkästen sind auch viele S-Bahn-Züge, vor allem die „Coladosen". Zwar kann man hier die Fenster öffnen, doch das hilft nicht viel - nicht nur wegen jener panischen Furcht vor dem kleinsten bißchen Zugluft, die ein untrügliches Zeichen dafür ist, daß man alt wird (was steht unserer vergreisenden Gesellschaft da noch bevor?). Selbst wenn mal niemand im Wagen sitzt, der gleich nach dem Einsteigen möglichst alle Klappen geschlossen hat (Protest wird mindestens mit Gejammere pariert) - den kleinen Öffnungen gelingt es weder, den überhitzten Raum registrierbar mit kühlerer Luft zu versorgen, noch den Passagieren wenigstens durch den Fahrtwind Erleichterung zu verschaffen. Früher einmal konnte man die Fenster bis zur Hälfte öffnen. Aber das war ja noch zu einer Zeit, als man noch nicht der Meinung war, Deppen, die ihren Kopf aus dem fahrenden Zug stecken, unbedingt von ihrem idiotischen Tun abhalten zu müssen. Sollten demnächst einige doofe Teenies auf die Idee kommen, die Arme durch die Lüftungsklappen zu quetschen und dann die eine oder andere Gliedmaße an einem Signalmast verlieren, wird unsere sicherheitsbesessene Gesellschaft wohl eine vollständige Versiegelung der Fenster anordnen.
Apropos S-Bahn: Die nächste Runde des Spiels „Wirwirbeln die Linien durcheinander" hat die S-Bahn GmbH für den Spätsommer angekündigt, wenn wieder Züge von Gesundbrunnen nach Schönhauser Allee und Pankow fahren können. Aber warum bloß hat es in diesem Jahr noch keine Bahnhofsumbenennungen gegeben? Ein Wunsch der Messegesellschaft weckt Hoffnung: Könnte man nicht aus Witzleben „Messe Nord" und aus Eichkamp „Messe Süd" machen? Eine gute Idee, die man schon längst hätte ausbauen sollen, und die nun, angesichts der gähnend leeren Senatskassen, nach Umsetzung ruft: Sollen doch S-Bahn und BVG die Namen ihrer Haltestellen verkaufen! Das könnte uns die Stadt und ihre Umgebung auf ganz neue Weise erleben lassen, ja, U- und S-Bahn würden zu einem eigenen Universum. Wo schon aus Drewitz „Medienstadt Babelsberg" wurde und aus Wildpark „Park Sanssouci", da sollte man nicht bei „Messe-Nord/Süd/Ostnordost" (auch die Stationen Kaiserdamm und Theodor-Heuss-Platz rufen nach neuen Namen) und „Gropius-Passagen" stehen bleiben! Statt Wittenberg platz heißt es künftig vielleicht „KaDeWe", statt Rathaus Steglitz „Der neue Kreisel", statt Friedrichstraße „Dussmann" und statt Kurfürstenstraße „Dolly Buster international". Auch überkommene Ansprüche gehören auf den Prüfstand: Der Zoo will nicht dafür zahlen, daß er seit Jahrzehnten kostenlos auf den Stationsschildern genannt wird und somit eine enorme Publicity erzielt? Mal sehen, wer mehr für den Bahnhofsnamen bietet: „Das neue Kranzler-Eck" oder „Beate Uhses Erotikmuseum". So verschwände auch endlich der belastete Name „Bahnhof Zoo" - man kennt sowas ja, etwa vom „Sozialpalast", der nicht mehr so genannt werden will. Und warum heißt die Station Treptower Park eigentlich noch nicht „An den Treptowers, wo die Allianz residiert", wo man doch auch schon das angrenzende Straßenstück nach Investorengusto umbenannt hat? Bald halten Züge vielleicht auch auf den - weniger zentral gelegenen und daher billigeren - Bahnhöfen „Inges Imbißbude" und „Kallis Kneipeneck". Nur die Umbenennung der Station Alexanderplatz in „Bankgesellschaft Berlin" werden wir nun wohl nicht erleben dürfen.
Ganz begeistert von dieser Idee dürfte die FDP sein, die ja gerne privatisieren möchte, was immer sich verscherbeln läßt. Im einem gewissen Gegensatz zu dem modernen Anstrich, den sich die einstige Pünktchen-Partei verpaßt hat, stehen jedoch ihre verkehrspolitischen Vorstellungen. Oder hat man da aus Versehen die Forderungen zur Abgeordnetenhauswahl 1963 abgeschrieben? Das aktuelle „18-Punkte-Programm" der Partei ist zwar recht dünn, aber dreimal ist darin von Autobahnbau die Rede, unter anderem heißt es: „Umweltschutz muss dem Bürger zugute kommen. Er kann nicht als Vorwand dafür dienen, städtisches Leben zu unterbinden. Das beginnt mit dem Autobahnbau und endet beim Biergarten." Und habe ich nicht auch schon vom Spitzenkandidaten, Ex-Senator, Ex-Bundesminister Rexrodt gehört, daß endlich die „Behinderung des Autoverkehrs durch die Straßenbahn" ein Ende haben müßte? Prima! Aber warum auf halbem Wege stehenbleiben? Warum die Tram nicht ganz stillegen? Oder dieses blöde Brandenburger Tor, das immer mehr Risse aufweist, endlich an einen Ort versetzen, wo es den Autoverkehr weniger stört? Etwa in den Grunewald? Und wie ist es zu verstehen, wenn im „18-Punkte-Programm" steht: „die innerstädtischen Autobahnlücken [müssen] geschlossen werden"? Wird jetzt endlich mit den West-Berliner Sentimentalitäten Schluß gemacht und die Südtangente doch noch durch Kreuzberg gebaut, die Osttangente durch die Hasenheide geschlagen? Auf das Autobahnkreuz auf dem Oranienplatz möchte ich nicht verzichten! Und mindestens fünfzig Kilometer neue U-Bahn in den nächsten zehn Jahren!
Angesichts ihrer putzigen verkehrspolitischen Vorstellungen sollte man die FDP unter Denkmalschutz stellen. Sparen kann man sich dies hingegen bei vielen Bahnhöfen. Denn die Exekution eines eingetragenen Baudenkmals, wie sie in den letzten Monaten mit dem U-Bahnhof Gesundbrunnen geschehen ist, verhindert dies offenkundig nicht. Zwar steht das Empfangsgebäude noch, das seit Jahren wechselweise renoviert oder abgerissen werden soll. Doch in der Bahnsteighalle hat die BVG mal wieder zu- bzw. abgeschlagen: Die lindgrüne Fliesenverkleidung der späten zwanziger Jahre wurde durch eine Imitation ersetzt, die - wie üblich - nur vage mit dem Original zu tun hat. Statt feiner Farbspiele innerhalb der einzelnen Fliese zeigen die neuen Keramikplatten jeweils nur einen einzigen Farbton (wenn auch nicht immer den gleichen). Ähnlich wie am Nollendorfplatz ist so aus einer sanft changierenden Fläche ein unruhiger Flickenteppich geworden. Doch man zeigt sich auch lernfähig: Zum Beispiel wurde endlich begriffen, daß die Fugen zwischen den Fliesen nicht schwarz (wie am Hermannplatz als Teil der Verpfuschung dieses Baudenkmals ausgeführt), sondern weiß sein müssen. Freilich gilt dies nicht für den anthrazitfarben gefliesten Sockelbereich hinter den Stromschienen. Wie auf den noch original erhaltenen Bahnhöfen der U8 (wie Voltastraße oder Rosenthaler Platz) zu sehen, sind die Plättchen dort dereinst so eng verlegt worden, daß gar keine nennenswerten Fugen entstanden. Am Gesundbrunnen hingegen korrespondiert das weiße Gitternetz, das sich nun über den Sockelbereich zieht, konsequent mit dem Flickenteppich darüber.
Aber auch eine andere Sanierung hatten wir uns anders vorgestellt: Jaja, der bisherige BVG-Chef Rüdiger vorm Walde, dem jetzt als „großer Sanierer" die Österreichischen Bundesbahnen anvertraut wurden, hat Personal und Defizit abgebaut. Doch leider war es bekanntermaßen vor allem das Fahrpersonal, das den „Goldenen Handschlag" erhielt, und zwar in solcher Zahl, daß im letzten Sommer rund 350 Angestellte fehlten und der normale Betrieb kaum mehr aufrecht erhalten werden konnte. In diesem Sinne ein noch größerer Sanierungserfolg wäre es wohl gewesen, man hätte gleich alle Mitarbeiter gegen Abfindung entlassen, den Betrieb eingestellt und die BVG abgewickelt - was das Defizit auf Null gebracht hätte. Der bürokratische Wasserkopf hingegen ist unter vorm Walde kaum geschrumpft. Dafür sind die jährlichen Fahrgastzahlen um rund 150 Millionen gesunken, und nach dem Debakel mit den Fahrern wurde ein weiterer Notstand bei den Bussen heraufbeschworen, dessentwegen seit Monaten Fahrgastmassen, die einen Doppeldecker gut füllen würden, in Eindecker gequetscht werden. Dafür wurden unter vorm Walde ungezählte Millionen für unsinnige Modernisierungs- und Verhübschungsmaßnahmen verjubelt, vom klapprigen, informationsarmen DAISY über einen Austausch sämtlicher Haltestellenschilder, -mästen und Fahrplankästen bis hin zu schnell verdreckten Natursteinböden, die man meinte, in historische U-Bahnhöfe klatschen zu müssen. Die Liste ließe sich verlängern. Also, liebe Österreicher, diesen Sanierer könnt Ihr gerne haben! Wollt Ihr vielleicht auch noch ein paar gescheiterte Verkehrssenatoren? Oder Ingo Schmitt?
Jan Gympel
aus SIGNAL 5/2001 (August 2001), Seite 12-13