Überregional
Vorschläge für ein besseres RE4-Konzept
1. Mai 2002
Nicht nur die Regionalexpress-Linie RE 5 nach Rostock und Stralsund, sondern auch der RE 4 Elsterwerda-Biehla - Jüterborg - Berlin - Wittenberge - Schwerin (- Bad Kleinen - Wismar) ist zeitweilig sehr stark nachgefragt.
An Sommertags-Sonnabenden und Sonntagen ist es von Berlins Stadtbahnhöfen Ostbahnhof, Alexanderplatz, Friedrichstr. und Zoologischer Garten Richtung Nauen gelegentlich so eng, dass Fahrgäste auf dem Bahnsteig zurückblieben.
Ursache für die starke Nachfrage, die manchmal die geräumigen Doppelstockwagen zum Überlaufen bringen, sind die verschiedenen Nutzergruppen:
Abhilfe könnte die Bahn schaffen, indem
Denkbar sind zu den Spitzenzeiten zusätzliche Regionalzüge zwischen Berlin und Nauen. Entlastung brächten auch zusätzliche Züge zwischen Berlin und Schwerin, die nur auf dem stark benutzten Bahnhöfen Berlin Ostbahnhof, Berlin Alexanderplatz, Friedrichstraße, Zoologischer Garten, Spandau, Nauen, Wittenberge, Ludwigslust, Schwerin Mitte, Schwerin Hbf. halten. Es bietet sich an, Züge von Berlin über Schwerin hinaus nach Wismar/Lübeck zu führen.
Für zusätzliche Züge müssen ausreichend geeignete Loks und Wagen vorhanden sein. Laut Logik der DB müssen diese bestellt werden. Auf der Stadtbahn gibt es in den Spitzenzeiten für weitere Züge kaum freie Fahrplantrassen. Etwa freitags oder sonntags nachmittags werden auch im Fernverkehr diverse zusätzliche Entlastungszüge eingeschoben.
Wegen fehlender freier Trassen enden bzw. beginnen Regionalzüge von/nach Nauen in Charlottenburg und bedienen nicht die übrigen Stadtbahnhöfe.
Eine Lücke dürfte sich für einen zusätzlichen Ausflugszug von der Stadtbahn nach Schwerin - Lübeck finden, der vormittags Berlin verlässt und abends wieder in Berlin ankommt. Mehr Fahrplantrassen können in den Spitzenzeiten jedoch nicht aus dem Hut gezaubert werden. Kurz: Es muss eine Alternative gefunden werden, auf der Stadtbahn die Kapazität Richtung Nauen Wittenberge - Schwerin zu erhöhen, ohne weitere Trassen auf der Stadtbahn zu belegen.
Naheliegend ist, die dreiteiligen Doppelstockzüge um einen weiteren Doppelstockwagen 2. Klasse zu verlängern. Das Sitzplatzangebot von ca. 320 würde sich auf ca. 420 Sitzplätze erhöhen. Würde noch ein weiterer Doppelstockwagen 2. Klasse zugestellt, würde sich das Sitzplatzangebot auf ca. 530 erhöhen, also um etwa 65% gegenüber dem gegenwärtigen Angebot liegen.
Die vorhandenen Züge können nur verlängert werden, wenn passende Wagen verfügbar sind. Der Bestand ist knapp, da DB Regio nicht ohne Unterstützung der Länder neue Doppelstockwagen beschafft. Neue Wagen müssen bestellt und geliefert werden. Und muss die Finanzierung geklärt sein. Für 2002/03 ist die Auslieferung neuer Wagen angekündigt.
Entscheidender ist die Länge des Zuges. Entsprechend der Vorschriften müssen die Bahnsteige lang genug für alle haltenden Züge sein - egal, wie viel Leute tatsächlich ein- und aussteigen.
In Berlin und allen großen Bahnhöfen reichen die Bahnsteige für Vier- bis Fünf-Wagen-Züge. Bei kleineren Halte auf dem Lande ist es jedoch anders. Die Bahnsteige von Paulienenaue und Friesack sind nur 100 Meter lang, gerade ausreichend für die eingesetzten Drei-Wagen-Züge mit ca. 100 Meter Länge. Für den Einsatz von Vier-Wagen-Zügen mit 128 Meter Länge müssten auf jeden Fall die Bahnsteige beider Halte ergänzt werden.
Für den Einsatz von Fünf-Wagen-Garnituren, die 155 Meter lang sind, müssten neben Paulinenaue und Friesack auch die Bahnsteige diverser Halte noch auf 155 Meter verlängert werden.
Bauarbeiten für die Bahnsteige müssen geplant werden. Anliegern und Behörden sind zu beteiligen. Auch die Fahrgastverbände sollten einbezogen sein („planungsbedingter Vorlauf"). Weiterhin muss die Finanzierung sichergestellt werden.
Ungelöst bleibt, dass zu verkehrsschwachen Zeiten bzw. in solchen Abschnitten sich die wenigen Fahrgäste in den leeren Wagen verlieren. Gerade zu später Stunde wird mancher Bahnkunde von der Bahnfahrt abgeschreckt. Daneben verbrauchen die Züge unnötig Energie und die Bahn erhält das Image „heiße Luft zu befördern".
Statt der lokbespannten Dopppelstockeinheit wird ein Zug aus Triebwagen in der Art der Baureihe ET 425 gebildet. Eine vierteilige Einheit dieses Triebwagens ist nur 67 Meter lang und bietet deshalb nur ca.192 Sitzplätze (Die exakte Zahl der Sitzplätze ist von der Ausstattung abhängig). Das ist für die nachfrageschwächeren Abschnitte und zu den nachfrageschwachen Zeiten völlig ausreichend. Nur in Abschnitten mit höheren Fahrgastandrang wird zur Verstärkung eine zweite Einheit hinzugekoppelt.
Das soll an einem Beispiel erläutert werden: Der Zug 38205 fährt um 5.08 Uhr ab Schwerin und erreicht nach einem Fahrweg von 360 km und einer Fahrzeit von knapp fünf Stunden um 9.52 Elsterwerda-Biehla. Sehr gut ausgelastet ist er auf den 40 km zwischen Nauen (ab 7 Uhr) und Berlin Ostbahnhof (an 7.50 Uhr). In Nauen wird also um 7 Uhr eine Verstärkungseinheit angekoppelt. Das Platzangebot verdoppelt sich sich von dem Standardangebot von 192 Sitzplätzen auf 384 Sitzplätzen. Der Zug verlängert sich von 67 Meter auf 134 Meter. In Berlin-Schönefeld (Ankunft 8.06 Uhr) wird die Verstärkereinheit wieder abgekoppelt. Die Stammeinheit fährt weiter nach Elsterwerda-Biehla. Die Verstärkereinheit bleibt in Berlin-Schönefeld und fährt mit dem nächsten Stammzug aus Jüterborg um 8.40 Uhr von Berlin-Schönefeld zurück nach Nauen (an 9.45 Uhr). Dort wartet die Verstärkereinheit wieder auf den nächsten Stammzug um 10 Uhr Richtung Berlin.
Aus verschiedenen Gründen bieten sich das Verstärken und Schwächen der Züge in Nauen und Berlin-Schönefeld besonders an.
Für dies Konzept muss eine ausreichende Zahl an Triebwagen-Einheiten der Baureihe 425 zur Verfügung stehen. Für jeden Umlauf ist eine Einheit als Stammeinheit erforderlich. Die exakte Zahl bestimmt sich nach den Zugläufen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Zusätzlich sind drei Verstärkereinheiten für Nauen - Berlin erforderlich. Daneben ist eine weitere Einheit als betriebliche Reserve sinnvoll.
Das Konzept ist ein Kern, der flexibel erweitert werden kann: Denkbar ist es, dass die Verstärkereinheit in Nauen nicht nach Berlin zurückkehrt, sondern vor dem Stammzug beschleunigt Richtung Schwerin fährt, und nach Nauen nur in Wittenberge, Ludwigslust und Schwerin Hbf hält. Einer Weiterfahrt nach Wismar/Lübeck stände nach Abschluss der dortigen Bauarbeiten nichts im Wege. Schwerin hätte so endlich wieder eine schnelle, umsteigefreie Verbindung zu allen Fernbahnhöfen der Stadtbahn.
Denkbar wäre es, nicht nur eine, sondern lehrere Verstärkereinheiten vorzusehen. Der Zug bestünde zwischen Berlin und Nauen aus drei Einheiten mit 574 Sitzplätzen auf 200 Meter Zuglänge oder gar aus vier Einheiten mit 766 Sitzplätzen auf 268 Meter Zuglänge. Hierfür müssten natürlich die Bahnsteige aller Halte zwischen Nauen und Berlin ausreichend lang sein. Andere Kombinationen wären mit den kürzeren Triebwagen der BR 426 möglich. Bei einer zweiteiligen Einheit, die technisch baugleich mit der BR 425 sind, sind bei einer Länge von 37 Meter ca. 88 Sitzplätze vorgesehen.
Das An- und Abkuppeln der BR 425 hat sich im Alltag schon bewährt. In Sachsen-Anhalt sind die Triebwagen BR 425 seit einem Jahr im Einsatz. In Stendal kann beobachtet werden, dass das Zusammenfügen und Trennen der Regionalzüge Uelzen - Magdeburg und Wittenberge - Magdeburg eine Minutenangelegenheit ist. Auch die Berliner Nachtschwärmer, die am Wochenende um 0.29 Uhr ab Berlin Zoo nach Magdeburg oder Halle fahren, kennen das schnelle Trennen der beiden Einheiten in Berlin-Wannsee.
Langfristig würde es eine Entlastung bieten, wenn die S-Bahn von Spandau Richtung Westen ins Havelland verlängert wird. Viele Fahrgäste aus Falkensee hätten eine Alternative zu den schnellen RE-Zügen in die City von Berlin. Die etwas längeren Fahrzeiten gegenüber dem RE würde aufgewogen werden durch eine dichtere Taktfolge, höhere Pünktlichkeit, mehr Halte der S-Bahn auf dem Abschnitt der Stadtbahn und somit weniger Umsteigen beim Fahrtziel in der Innenstadt. Hinzu kommt das Image des positiv besetzten Produkts S-Bahn. Der große Bekanntheitsgrad, das regelmäßige und zuverlässige Angebot sowie das überschaubare System locken neue Fahrgäste, die den Regionalverkehr bisher nicht ernst genommen haben.
Die Fahrgäste von Brieselang und Finkenkrug würden nach Berlin wie bisher die RE-Züge benutzen. Auch ein Teil der Fahrgäste von Falkensee und Spandau, die nach Karlshorst, Flughafen Schönefeld oder weiter fahren, würden wahrscheinlich wie bisher die RE-Züge benutzen.
Für Fahrgäste aus Seegefeld (Herlitzwerke) und Albrechtshof würden sich aber durch den Wegfall der RE-Halte und Ersatz durch die S-Bahn die Fahrzeit etwas verlängern.
Wahrscheinlich gibt es einen „Potsdam-Effekt". Es steigen wesentlich mehr Fahrgäste von der Straße auf die Schiene um. In der Summe fahren genauso viele Fahrgäste mit dem RE ein wie vorher. Die steigenden Fahrgastzahlen sind aus Sicht der Verkehrsökologie und der Regionalentwicklung im „Speckgürtel" zu begrüßen.
Die Entscheidung für die S-Bahn-Verlängerung ist noch nicht endgültig gefallen. Es werden erfahrungsgemäß noch Jahre benötigt, bis sich Verkehrsverbund, Bundesländer und Gemeinden für die S-Bahn entschieden haben, die detaillierte Planung abgestimmt, die Finanzierung sichergestellt und die Baumaßnahmen durchgeführt sind. Solange wollen die Fahrgäste nicht warten. Innerhalb von ein bis zwei Fahrplanperioden werden durch die S-Bahn die RE4-Züge nicht entlastet sein.
Zugverlängerung oder Triebwagenkonzept: hier sind mehrere Möglichkeiten vorgestellt worden, wie die Bahn durch betrieblich konzeptionelle Maßnahmen in kurzer Zeit auf der RE 4 den Fahrgästen ausreichend hohe Kapazitäten bieten kann, ohne im Engpass Stadtbahnstrecke die Zugzahl erhöhen zu müssen. Bauliche Investitionen in Bahnsteige sind vergleichsweise minimal. Sichergestellt werden muss vielmehr, dass für das jeweilige Konzept geeignete Fahrzeuge in ausreichender Zahl vorhanden sind.
Die Vorschläge sind praktikabel. Es liegt an den Ländern Berlin und Brandenburg und dem Verkehrsverbund, die Bahn aus ihrer Lethargie gegenüber der RE 4 herauszuholen. Vorschläge liegen auf dem Tisch.
Auf die S-Bahn nach Falkensee zu warten und in den Fahrplanlücken zusätzliche Regionalzüge zwischen Nauen und Charlottenburg pendeln lassen, weil sie auf der Stadtbahn nicht mehr Platz haben, zeigt, dass Handlungsbedarf erkannt ist, es löst jedoch nicht die Probleme durch Fahrgastüberfüllungen auf der RE 4.
Der VBB beabsichtigt die Bestellung einer veränderten Verkehrsleistung auf dem Abschnitt Stadtbahn - Nauen. Es ist geplant, die RE 4 und RE 5 nicht mehr in Albrechtshof, Seegefeld und Finkenkrug (RE 5 Brieselang) halten zu lassen, ebenso wie den RE 6. Dafür soll die RB 10 künftig täglich im 30-Minuten-Takt zwischen Nauen und Charlottenburg verkehren und alle Halte bis Spandau mitnehmen. Aufgrund der oben beschriebenen engen Belegung der Stadtbahn ist eine Durchbindung bis Ostbahnhof nicht möglich.
Dies bedeutet für Finkenkrug, Seegefeld und Albrechtshof zwei mal in der Stunde eine Verbindung nach Charlottenburg. Bisher ging es zwei mal in der Stunde bis auf die Stadtbahn, nach Schönefeld und weiter. Montags bis freitags geht es noch zusätzlich einmal die Stunde nach Charlottenburg. Eine endgültige Bewertung dieses Bedienungskonzeptes ist sicher erst nach der Festlegung der konkreten Fahrplandaten (Fahrplanlage, Übergangszeit in Spandau RE 4/5 und RB 10, 30-Minuten-Takt RB 10 auch bis spät abends) möglich.
Allerdings ist beim bevorstehenden Ausbau der Hamburger Bahn für Tempo 230 wieder mit massiven Betriebseinschränkungen zu rechnen, die sicher zuerst die Regionalbahn-Züge betreffen werden (Wir erinnern uns an die mehrjährige Betriebseinstellung auf der Lehrter Bahn).
Das Thema bleibt sicher bis zur Eröffnung der S-Bahn ein Problemfall, der dem Fahrgastverband noch Arbeit bereiten wird.
IGEB
aus SIGNAL 2/2002 (April/Mai 2002), Seite 22-24