Deutschland

Flächenbahn ohne Zukunft?

Die DB Netz AG führt zum 1. Januar 2003 Regionalfaktoren für Regionalnetze ein. Dies führt zu teilweise drastischen Erhöhungen der Trassenpreise auf rund 14.000 Kilometer Eisenbahnstrecken, die vorrangig oder ausschließlich im Schienenpersonen-Nahverkehr (SPNV) befahren werden.


IGEB

1. Jul 2002

Nach Einschätzung der IGEB kann dies mittelfristig zur Gefährdung zahlreicher Eisenbahnstrecken führen. Wir nehmen dies zum Anlass, die Regionalnetze zu dokumentieren, die Trassenpreiserhöhung mit einem Beispiel aus dem Land Brandenburg zu erläutern und Alternativen zur offiziellen Bahnpolitik zu skizzieren.

Seit 1996: Bestellerprinzip im SPNV

Seit dem Inkrafttreten des (Eisenbahn-) Regionalisierungsgesetzes im Jahre 1996 erhalten die Bundesländer vom Bund zweckgebundene Zuweisungen, mit denen sie vorrangig (aber nicht nur) schienengebundenen Personennahverkehr bestellen sowie Investitionen in den ÖPNV finanzieren. Im Jahr 2000 bestellten die Länder bei DB Regio SPNV-Leistungen im Umfang von etwa 4,3 Milliarden Euro (Geschäftsbericht 2000 der DB AG, Seite 48). Bei der Bestellung von Zugleistungen im SPNV entfällt ein bestimmter Anteil des Entgelts auf den sogenarnnten Trassenpreis, mit dem die Aufwendungen des Eigentümers der Strecke (hier der DB Netz AG) für den laufenden Betrieb sowie die Bestandspflege der Strecke abgegolten werden sollen. Der jeweilige Trassenpreis richtet sich nach Streckenkategorie und Auslastung sowie der Art des Verkehrs (Trassenprodukt; für Taktverkehr werden 65 Prozent mehr berechnet). Dies wird ergänzt durch Zuschläge (zum Beispiel Neigezüge) und Abschläge (für neue Angebote). Derzeit bewegen sich die Trassenpreise für Taktverkehre zwischen 2,44 Euro (S-Bahn-Strecken) und 6,70 Euro (hochbelastete Fernstrecke, die mit mehr als 200 km/h befahrbar ist) je Kilometer.

Trassenpreiserhöhungen ab 2003

Die DB Netz AG wird das Trassenpreissystem (TPS) ab dem 1. Januar 2003 um sogenannte Regionalfaktoren ergänzen. Der bisher gültige Trassenpreis wird mit dem Regionalfaktor multipliziert, damit sich ein höherer Trassenpreis ergibt.

„Mit der Einführung der Regionalfaktoren wirken wir der Kostenunterdeckung der regionalen Strecken entgegen und können deren Bestand langfristig sichern" (Dagmar Haase, Vorstand Marketing, Vertrieb der DB Netz AG in einer Presse-Information vom 9. April 2002). Das finanzielle Defizit in den Regionalnetzen resultiere zum „... einen aus der geringen Zugfrequenz und den damit verbundenen niedrigen Trasseneinnahmen, zum anderen aus den hohen Betriebsführungs- und Instandhaltungskosten - etwa aufgrund alter Tunnel- und Brückenbauwerke sowie in Teilen überdimensionierter Gleisanlagen. Die in den letzten Jahrzehnten knappen Finanzmittel für die Bahn ließen oft nur eine punktuelle Modernisierung der Infrastruktur in der Fläche zu. Dies soll sich nun mit Hilfe der zusätzlichen Einnahmen ändern. Die mit den Regionalfaktoren generierten „... Gelder kommen den Regionalnetzen zugute ..." (a.a.O.) so lautet die offizielle Begründung der Bahn.

Die Regionalfaktoren sollen bei Trasseneriösen von rund 3,1 Milliarden Euro im Jahr 2000 (DB-Geschäftsbericht 2000, Seite 61) bundesweit zu Mehreinnahmen von rund 153 Millionen Euro führen; das Defizit zwischen den Trassenpreiseinnahmen und den Aufwendungen für Betrieb und Unterhaltung der „Regionalnetze" beträgt laut DB Netz AG derzeit etwa 255 Millionen Euro im Jahr (Bahn-Report 3/2002, Seite 6).

Eisenbahnbetrieb wird auf 14 000 Kilometern teurer

Bahnhof Königs Wusterhausen: Hier beginnt die Strecke nach Frankfurt/Oder über Beeskow. Foto: Alexander Frenzel

Abgesehen von den sieben „Regionalnetzen", in denen die Trassenpreise nicht erhöht werden, sind den Angaben der DB Netz AG zufolge bundesweit etwa 14.000 Kilometer Bahnstrecken von dieser Preisrunde betroffen. Der Regionalfaktor reicht von 1,10 (entspricht einer Trassenpreiserhöhung von zehn Prozent gilt für sieben von 47 Regionalnetzen; in denen Preiserhöhungen vorgesehen sind) über Werte von 1,21 bis 1,46 (16 Netze) bis zu einem Regionalfaktor von 2,45 - dies entspricht einer Verteuerung von 145 Prozent (Erzgebirgsbahn, zum Beispiel Chemnitz - Aue).

21 von insgesamt 47 betroffenen Netzen liegen im Osten. Von 14 Regionalnetzen mit extrem hohen Verteuerungen (60 und mehr Prozent) liegen 13 ebenfalls im Osten.

Allein für den unveränderten Betrieb der RB 36 ergeben sich nach der Berechnung im obigen Beispiel Mehrkosten von über 2,4 Millionen Euro. Durch die Regionalfaktoren werden sich den Berechnungen der IGEB zufolge die Trassenpreise auf den betreffenden Brandenburger Strecken von etwa 30 Millionen auf mehr als 41 Millionen Euro pro Jahr erhöhen.

Die Regionalfaktoren sind kaum transparent

Warum erhält das im Flachland gelegene „Südmecklenburg-Netz" mit 2,37 einen der bundesweit höchsten Regionalfaktoren überhaupt? Wegen der zahlreichen Tunnel- und Brückenbauwerke? In einem Gutachten des Landes Schleswig-Holstein wurde Ende 2001 nachgewiesen, daß für stark rationalisierte Regionalverkehrsstrecken schon die jetzt gültigen Trassenpreise überhöht sind. Weshalb beträgt der Regionalfaktor im „Nord-Ostsee-Netz" mit 1,10 trotzdem sogar noch mehr als 1,00?

Defizite nur in den Regionalnetzen?

Der Verkehrswissenschaftler Hans-Jürgen Ewers untersuchte im letzten Jahr die betriebswirtschaftliche Kostendeckung einer ICE-Neubaustrecke (zum Beispiel Hanover - Würzburg), die mit rei ICE-Linien pro Stunde belegt ist und kam zu dem Ergebnis, daß der Trassenpreis hier rund 130 Euro pro Zugkilometer betragen müßte, um die Gesamtkosten (insbesondere die Baukostenfinanzierung) zu tragen. Nach dem aktuell geltenden TPS zahlt der ICE hier aber lediglich rund 5,50 Euro/km, dass heisst, ein „Regionalfaktor" müßte hier bei gerechter Kostenanrechnung 23,63 (!) betragen" (Bahn-Report 3/02).

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Die Weitergabe dieses astronomischen Trassenpreises an die Fernverkehrsreisenden würde auf diesen Strecken mindestens eine Einnahmesteigerung von 20 Cent je Personenkilometer erfordern - nicht wenig bei Durchschnittseriösen von rund 10 Cent je Personenkilometer im Fernverkehr. Doch solche Fahrpreiserhöhungen sind im nicht subventionierten Fernverkehr am Markt nicht durchsetzbar - also bedient sich der DB-Konzern eben dort, wo staatliche Regionalisierungsmittel zur Verfügung stehen.

Sind Streckeneinstellungen die Konsequenz der Regionalfaktoren?

Ergebnis dieser DB-Politik sind Trassenpreise, die wegen unterbliebener Investitionen in den Nebenstrecken in keinem vertretbaren Verhältnis zur Qualität der Leistung stehen. Wenn eine Leistung dem Kunden (in diesem Falle den Ländern als Besteller der Nahverkehrsleistung) zu teuer ist, wird abbestellt und stillgelegt.

Bei einer Stilliegung werden die Zugleistungen in der Regel nicht ersatzlos gestrichen, sondern auf andere Strecken verlagert. Eine so erzielte Konzentration von mehr Zugleistungen auf weniger Strecken liegt durchaus im wirtschaftlichen Interesse des DB-Konzerns: Die Kosten für die eingestellten Strecken fallen weg, während die Erlöse erhalten bleiben. Die sozial- und umweltpolitischen Folgen dieser Politik sind für die DB AG betriebswirtschaftlich irrelevant.

Die Fahrwegkosten an sich sind das Problem

Die Einführung der Regionalfaktoren kann nicht als „normale" Preiserhöhung bewertet werden. Sie ist Ausdruck der falschen institutionellen und finanziellen Organisation des deutschen Schienennetzes. Hohe Instandhaltungsrückstände, aufwendiger Infrastrukturbetrieb, monopolartige und nicht nachvollziehbare Preisbildung ohne wirksame Kontrolle sind das Resultat.

Die wirklichen Probleme der DB AG mit ihrem Netz liegen nicht in den Defiziten der Regionalnetze, sondern in dem - auf lange Sicht zum Scheitern verurteilten - Zwang, als einziges Verkehrsmittel in Deutschland die Infrastrukturkosten selbst erwirtschaften zu müssen.

Der DB-Konzern hat in den wenigen Jahren seiner Existenz Darlehensverbindlichkeiten in Höhe von 5,463 Milliarden Euro aufgehäuft (DB-Geschäftsbericht 2000, Seite 107). Wenn sich diese Entwicklung in dem Tempo der letzten Jahre fortsetzt, dann wird die DB AG nach einigen Jahrzehnten wie ihr Vorgänger Deutsche Bundesbahn ein Sanierungsfall sein.

Mehr Informationen!

Vom DB-Konzern ist eine breite Information der Öffentlichkeit zu fordern. Dazu gehört zum Beispiel, daß die DB Netz AG ihren Jahresabschluß vorlegt.

Der Wettbewerb darf sich nicht nur auf Sonderzüge und Sonderfahrten beziehen. Wenn die Deutsche Bahn tatsächlich Wettbewerb zulassen will, darf sie Wettbewerber nicht diskriminieren. Foto: Rheingold-Sonderzug in Bonn Hbf, DBV-Archiv

Die Tatsache, dass die Umsätze der für den Regional- und Stadtverkehr zuständigen DB Regio AG zu etwa 2/3 (nämlich 4,3 Milliarden Umsatz von 6,5 Milliarden Euro; DB-Geschäftsbericht 2000, Seite 48) auf SPNV-Bestellungen der Länder entfallen, begründet das Interesse an der Offenlegung dieser Zahlen.

Auch die Jahresabschlüsse der Regionalnetze müssen öffentlich gemacht werden. Dadurch würden auch die Regionalfaktoren nachvollziehbar und das vielleicht unbegründete Mißtrauen gegenüber dem DB-Konzern würde schwinden.

Handlungsmöglichkeiten der Länder

Die Länder müssen mehr als bisher für „ihre" Bahnstrecken engagieren - und sie haben mit den Regionalisierungsmitteln ein wirksames Instrument, ihren Interessen Geltung zu verschaffen.

Das Land Brandenburg muß sich im Rahmen der Ausschreibungen von SPNV-Leistungen weitgehende Informations- und Gestaltungsrechte sichern. Weil nach einer Auskunft der DB Netz AG Langsamfahrstellen „betriebsinterne Produktionsdaten" sind (Antwort der niedersächsischen Landesregierung vom 3. Juli 2000 auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Dinkla/CDU vom 8. Mai 2000), muß eine Berichtspflicht über Langsamfahrstellen vertraglich gesichert werden, die mit Anreizen für ihre rasche Beseitigung zu koppeln ist.

Durch die landesweite Vernetzung von Bussen und Bahnen im Rahmen eines Schritt um Schritt zu verwirklichenden integralen Taktfahrplans kann der ÖPNV von einer nur linienbezogenen zur flächendekkenden Alternative zum eigenen Pkw fortentwickelt werden. Deshalb sind auch Reisezeiten und Anschlüsse unverzichtbare Bestandteile von Ausschreibungen und Verkehrsverträgen im ÖPNV.

Neben den mindestens stündlich auf der Grundlage eines landesweiten integralen Taktfahrplans zu bedienenden Bahnen wären stündlich oder zweistündlich zu bedienende Hauptachsen im Busverkehr sowie rasch verfügbare Rufbusse im Haustürservice einige ihrer Elemente.

Transparenz seitens der DB AG tut not

Immer wieder fühlt sich die Deutsche Bahn AG durch die Öffentlichkeit und die Medien angegriffen und Unterstellungen ausgesetzt. Andererseits tut sie aber häufig auch alles, um solchen Vermutungen neue Nahrung zu geben.

Ein Beispiel sind diese Regionalfaktoren. Nach deren Bekanntwerden war, etwa im Februar/März für kurze Zeit eine ausführliche Liste mit einer Übersicht im Internet veröffentlicht. Doch plötzlich verschwanden diese Daten und alleine die nichtssagende Presseerklärung war zu diesem Thema im Internet zu finden.

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren diese Informationen ausschliesslich für denjenigen abrufbar, der die genaue Adresse kannte:

www.bahn.de/extrahtml/pdf/ streckenkarten_regionalfaktoren.pdf

Vielleicht ist diese Adresse bei Erscheinen des Heftes auch schon nicht mehr aktuell?!

IGEB

aus SIGNAL 3/2002 (Juni/Juli 2002), Seite 33-36