Berlin

Geringe Kaufkraft, hohe Fahrpreise

Berlin braucht eine Tarifstrukturreform


IGEB

1. Sep 2003

Bei der „großen Bahn" gab es zum 1. August eine große Tarifstrukturreform. Demgegenüber wurden beim VBB-Tarif in den Ländern Berlin und Brandenburg im Wesentlichen nur die übliche Preiserhöhung vorgenommen. Auf Strukturreformen müssen die Fahrgäste von BVG und S-Bahn GmbH weiter warten.

Zum 1. August wurden, wie fast jedes Jahr, die Fahrpreise der Bahnen und Busse in Berlin (und Brandenburg) erhöht. Das ärgert die Fahrgäste. BVG und S-Bahn GmbH argumentieren demgegenüber, dass die Fahrgäste zufrieden sein könnten, weil die Fahrpreise in Berlin durchschnittlich nur um gut drei Prozent angehoben wurden. Da die letzte Preiserhöhung zwei Jahre zurückliegt, sei das sehr wenig, für die Verkehrsbetriebe eigentlich zu wenig.

Die Kosten für die Umstellung der Vertriebstechnik und für die Kundeninformation bei Preiserhöhungen im VBB-Gebiet insgesamt mehr als eine Million Euro. Foto: Alexander Frenzel

Die Verkehrsbetriebe haben Recht - und doch ist das nur die halbe Wahrheit. Denn das Tarifniveau in Berlin ist bereits so hoch, dass auch eine moderate Erhöhung kaum verständlich ist. Warum zahlen die Berliner Fahrgäste mehr als diejenigen in anderen Städten? Bei aller Vorsicht, die bei Tarifvergleichen geboten ist und die deshalb viele Fußnoten erfordert, zeigt die Tabelle auf Seite 18 doch eindeutig, dass das Preisniveau in Berlin insgesamt am höchsten ist.

Verschärft wird diese Diskrepanz noch dadurch, dass in Berlin die durchschnittliche Kaufkraft der Bevölkerung deutlich niedriger ist als in den Vergleichsstädten. So liegt die Kaufkraft in München um 36 % höher als in Berlin, aber die Fahrpreise sind fast alle deutlich niedriger.

Vor diesem Hintergrund und wegen der vor allem beim Bus bereits erfolgten und für S- und U-Bahn angekündigten Angebotseinschränkungen befürchtet der Berliner Fahrgastverband IGEB, dass so mancher Fahrgast die erhöhten Fahrpreise zum Anlass nimmt, auf die Angebote von BVG und S-Bahn GmbH künftig zu verzichten.

Erfreulich ist zwar, dass zum 1. August in Berlin nicht alle Fahrpreise erhöht, sondern die Tages- und Kleingruppenkarten sogar etwas verbilligt werden. Doch auch diese Freude schwindet beim Blick auf andere Städte schnell, da auch die abgesenkten Berliner Preise noch immer deutlich über denen anderer Städte liegen. So wurde der Preis für die Tageskarte für Gruppen von bis zu fünf Personen in Berlin zwar von 15 auf 14 € gesenkt, aber in München gibt es dieses Angebot für nur acht Euro und in anderen Städten sogar noch preiswerter.

Doch nicht nur über die Höhe, auch über die Struktur des Tarifsystems in Berlin muss diskutiert werden. So sollte zum Beispiel bei den Zeitkarten die Differenzierung in „Standard" und „Premium" abgeschafft und der Kurzstreckenfahrschein mit Haltestellenzählverpflichtung durch den 1-Stunden-Fahrschein ersetzt werden.

Einfachere Tarife wären verständlicher und würden die Kosten der Verkehrsbetriebe senken. Die IGEB begrüßt daher, dass BVG und S-Bahn hierzu dem Verkehrssenator am 30. Juni 2003 ein Konzept vorgelegt haben.

Bedauerlicherweise wurde aber nur der unabgestimmte Vorschlag für ein elektronisches Ticket mit entfernungsabhängiger Abrechnung jeder einzelnen Fahrt in die Öffentlichkeit gegeben. Die öffentliche Reaktion auf diese von der BVG verfolgte Idee war jedoch so eindeutig negativ, dass die Verkehrsbetriebe dieses Element schnellstens aus ihrem Strukturentwurf streichen sollten.

Aber über alle anderen Vorschläge muss noch in diesem Jahr diskutiert werden.

IGEB

aus SIGNAL 4/2003 (August/September 2003), Seite 17