Berlin
Schön, dass man bei der BVG immer einen Grund findet, einen zusätzlichen Fahrplanwechsel vorzunehmen. Im Juni 2003 war es die Wiederinbetriebnahme der S-Bahn-Verbindung zwischen Bornholmer Straße und Schönhauser Allee.
1. Dez 2003
Diesen Termin des kleinen Fahrplanwechsels nahm die BVG zum Anlass, den lang geforderten durchgehenden Nachtbetrieb auf fast allen U-Bahn-Strecken an Wochenend-Nächten einzuführen und einen umfangreichen Katalog an Linienänderungen im Busnetz umzusetzen. Wegen der zahlreichen Fahrplanänderungen war sogar die Herausgabe eines neuen Kursbuches nötig.
Die Änderungen im Berliner Nahverkehr am 16. Juni 2003 setzten den bereits im März eingeschlagenen Weg der weiteren Reduzierung der Nutzwagenkilometer vor allem im BVG-Busverkehr fort. Für den Fahrgast bedeutet das letztlich eine Verschlechterung des Angebotes. Es soll nicht außer Acht bleiben, dass die BVG bemüht ist, die ständigen Leistungsrücknahmen durch Verbesserungen an anderer Stelle etwas zu kompensieren. Die Aufnahme des Wochenend-Nachtverkehrs auf dem überwiegenden Teil des Berliner U-Bahn-Netzes (wir berichteten im SIGNAL 4/2003 ) und die Einrichtung der Quartiersbuslinie 326 in Hermsdorf gehören zweifellos zu den positiven Maßnahmen dieses Fahrplanwechsels, können aber bei gründlicher Betrachtung die sonstigen Angebotsverschlechterungen keinesfalls aufwiegen.
Im Vorfeld des Fahrplanwechsels fand am 15. Mai 2003 ein gemeinsamer Informationsabend der BVG mit der IGEB in den Räumen des Fahrgastzentrums am S-Bahnhof Jannowitzbrücke statt. Bei dieser mit mehr als 70 Interessierten gut besuchten Veranstaltung stellten Herr Bruhn, Frau Trettin und Herr Untermann von der BVG die beabsichtigten Liniennetz-Änderungen vor.
In den einleitenden Worten begrüßte der stellvertretende Vorsitzende der IGEB, Matthias Horth, die zunehmende Dialogbereitschaft der BVG und stellte klar, dass dies nur der erste Schritt in Richtung zu mehr Fahrgastbeteiligung und Transparenz in der Verkehrs- und Liniennetzplanung sein kann. Wie in anderen öffentlichen Bereichen längst üblich, sollten auch im Bereich der Verkehrsplanung und erst recht bei Linienänderungen den Betroffenen adäquate Mitwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden, bevor sie beschlossen werden.
Und wie wichtig eine solche Beteiligung der Betroffenen im Vorfeld von geplanten Linienänderungen ist, zeigt sich am Beispiel der Buslinie 142 sehr deutlich. Was die BVG in ihrem Infoblättchen „BVG-Plus" positiv unter der Schlagzeile „Ohne Zickzack durch Friedrichshain" verkaufte, hatte tatsächlich den Alltag für viele Fahrgastgruppen in nicht akzeptabler Form verändert. Die Einstellung der Buslinie 142, die nur abschnittsweise durch die Buslinie 140 bzw. die neue Buslinie 347 ersetzt wurde, ist eben nicht dadurch zu rechtfertigen, dass man den Kreuzbergern eine bessere Fahrmöglichkeit mit der Buslinie 140 zum Rathaus Friedrichshain bietet.
Heftig protestierende Eltern von behinderten Kindern wiesen während der Veranstaltung bereits auf die wegfallende Fahrmöglichkeit aus dem Bereich der Halbinsel Stralau und dem Markgrafendamm zum Franz-Mehring-Platz hin - eine Fahrrelation, die besonders von Kindern aus den Sonderschulen im Bereich Kadiner Straße nachgefragt ist. Aber auch Kindertagesstätten und ein Ärztehaus liegen in diesem Gebiet. Durch den ersatzlosen Wegfall der Buslinie 142 in diesem Bereich bedeutete das in dieser fast noch als Kurzstrecke zu betrachtenden Relation für die Fahrgäste einen bis zu zweimaligen Umsteigezwang. Für alleinfahrende behinderte Kinder ist das eine nicht überbrückbare Hürde.
Hätte sich die BVG rechtzeitig der öffentlichen Diskussion über die Linienänderungen gestellt, wäre ihr ein Imageverlust erspart geblieben. Denn wegen des öffentlichen Drucks war die BVG nun gehalten, ab 6. Oktober den 347er wenigstens montags bis freitags zwischen 8 und 18 Uhr wieder zum Ostbahnhof im Zuge der alten Buslinie 142 über Kadiner Straße verkehren zu lassen. Allerdings hat auch diese Maßnahme einen gewaltigen Haken und schafft für die städtischen Buslinien einen neuen (Negativ-) Standard: Außerhalb des Berufsverkehrs wird diese Linie statt im 20-Minuten-Takt nur noch im Halbstundentakt fahren.
Unverändert bleibt die verkürzte Führung der neuen Buslinie 347 in der Schwachverkehrszeit, die auf massiven Protest des anwesenden Publikums stieß, ist doch zu diesen Zeiten eine Verbindung vom S- und U-Bahnhof Warschauer Straße auf die Halbinsel Stralau nicht mehr gegeben. Die Halbinsel wird zwar weiterhin durch die Buslinie 104 bedient, diese aber fährt Richtung S-Bahnhof Treptower Park und weiter nach Neukölln. In Richtung Warschauer Straße müsste man nun an der Kreuzung Markgrafendamm/Alt-Stralau in den dann nur noch bis dort verkehrenden 347er umsteigen. Das funktioniert aber nicht, weil die Straßenverkehrsbehörde dort eine von der BVG beantragte Haltestelle verweigert („... Autoverkehr darf nicht behindert werden ...").
Die Sparmaßnahmen sollten sich in Britz fortsetzen. Die Buslinie 174 wird seit 16. Juni zur Kielinger Straße geführt und hat damit ihre Anbindung an das Krankenhaus Neukölln verloren. Fahrgäste mit diesem Fahrziel sollen jetzt in die zeitweilig nur im 20-Minuten-Takt fahrende Linie 171 umsteigen oder die restlichen 700 Meter zu Fuß laufen.
Von der U 7 kommend erreichte man das Krankenhaus Neukölln nunmehr mit der dort endenden Buslinie 181, die statt im 10- bzw. 15-Minuten-Takt des 174ers aber nur im 20-Minuten-Takt verkehrt. Besonders ärgerlich war dabei, dass der Bereich Fritz-Erler-Allee/Kormoranweg/Juchaczweg mit seinen zahlreichen öffentlichen Einrichtungen wie Kitas, Seniorenheim etc. nur noch in Richtung Britz-Süd angebunden war, weil einer der üblichen Berliner Bedenkenträger das Wenden in der Rudower Straße untersagt hat. Begründung: Der Autoverkehr in der Rudower Straße könnte von wendenden Bussen behindert werden.
Zwischenzeitlich mußte die BVG erkennen, dass man den Fahrgästen wohl zuviel zugemutet hat, und so soll die Buslinie 174 ab 6. Oktober - wenn auch mit erweiterten Takten - wieder zum Krankenhaus Neukölln fahren und wie bisher am U-Bahnhof Britz-Süd enden.
Drastisch waren zum Juni-Fahrplanwechsel die Einschnitte im westlichen Teil des Fusionsbezirks Kreuzberg-Friedrichshain durch die ersatzlose Einstellung der Buslinie 248 zwischen Neuenburger Straße und Hermannplatz. Noch vor einem guten Jahr sah sie zwischen den dicht bebauten Bereichen Sonnenallee/Hermannplatz/Urbanstraße und Potsdamer Platz (eine Relation, die wegen der langen Fußwege zu den U-Bahnhöfen und den zum Teil sehr ungünstigen Umsteigewegen innerhalb des Schnellbahn-Netzes nur unzureichend abgedeckt ist) große Fahrgastpotenziale, so dass die Einführung einer Expressbus-Linie beabsichtigt war. Nun wurde die bestehende - wenn auch „kurvenreiche" - Direktverbindung ersatzlos gekappt.
Für die bisherigen Nutzer der Buslinie 248 aber ist viel gravierender, dass - obgleich alle wegfallenden Haltestellen mehr oder weniger durch in der Nähe fahrende Bus- und U-Bahn-Linien bedient werden - viele interne Kreuzberger Direktverbindungen schlichtweg nicht mehr berücksichtigt werden, so dass auch durch diese Linienkürzung für unzählige Fahrgäste deutlich mehr Umsteigezwänge entstanden und sie als ÖPNV-Kunden wohl zukünftig überwiegend verloren sind. Aber statt einer übergreifenden Neuordnung des Gesamtraumes, zu der neben der Betrachtung der für den ÖV zu gewinnenden Fahrgastpotentiale auch eine kritische Auseinandersetzung mit weiteren im Zick-Zack-Kurs durch Kreuzberg und Mitte führenden Linien, wie zum Beispiel 140,143 oder 341, gehören würde, erfolgte die Verkürzung des 248ers als isolierte Maßnahme. Da der Restabschnitt des 248ers wegen der „falschen" Anbindung des Gebietes um die Neuenburger Straße Richtung Potsdamer Platz (anstelle der tatsächlich bestehenden stadträumlichen Verflechtungen in Richtung Kreuzberg/Neukölln) wenig sinnvoll ist, sollten BVG und Senat vor dem Hintergrund des wachsenden Verkehrspotenzials am Potsdamer Platz und am Lehrter (Haupt-)Bahnhof statt der Aufrechterhaltung des verbliebenen Kreuzberger 248er-Astes die Verlängerung der Buslinie 241 (oder die Einrichtung einer entsprechenden Expressbus-Linie) ernsthaft prüfen.
Die Einführung der Kiezbuslinie 326 in Hermsdorf stellte durchaus einen positiven Beitrag zum Fahrplanwechsel dar, werden doch bislang vom ÖPNV unerschlossene Bereiche im östlichen Teil Hermsdorfs bzw. in den Randbereichen von Glienicke zusätzlich bedient.
Doch lassen wir uns nicht täuschen: Die Maßnahme wurde ausschließlich durch Kürzungen in anderen Bereichen finanziert. So wurden die Linien 125 zwischen S-Bahnhof Frohnau und Invalidensiedlung und die Linie 222 zwischen Titiseestraße und Alt-Lübars auf den 20-Minuten-Takt ausgedünnt. Außerdem fährt der neue 326er nur zu den Geschäftsöffnungszeiten und sonntags von 11 bis 18 Uhr. Einer Verkäuferin, die nach Feierabend nach Hause will, nutzt das neue Angebot wenig.
Erhebliche Veränderungen gab es im Nordosten: Im August 2002 hatte die Barnimer Busgesellschaft (BBG) die Verknüpfung zwischen der Buslinie 893 und der BVG-Linie 256 in der Siedlung Wartenberg gekappt (SIGNAL 5/2002 ). Nach erheblichen Protesten wurde mit den jetzt vorgenommenen Änderungen diese Verbindung im Stundentakt wiederhergestellt und die Buslinie 893 sogar bis Buch verlängert. Diese Maßnahme geht zu Lasten des Linienastes nach Ahrensfelde, der vom bisherigen Stundentakt auf einen 2-Stunden-Takt gestreckt wird.
Die Umlandgemeinden Lindenberg und Schwanebeck müssen insbesondere hinsichtlich ihrer direkten Anbindung nach Weißensee eine Verschlechterung vom 20-Minuten-Takt der bisherigen Linie 159 auf den nur stündlich fahrenden 259er hinnehmen. Gleichwohl dies Wermutstropfen sind, so ist (nicht zuletzt dank des erfolgreichen Wirkens des VBB) für den Umlandverkehr im Augenblick akzeptables Ergebnis herausgekommen, zumal zwischenzeitlich der ersatzlose Wegfall der bisherigen Buslinie 159 drohte.
Dass der mit der jetzt gefundenen Lösung verbleibende Umsteigezwang zwischen den Buslinien 256 und 893 in der Siedlung Wartenberg trotz passabler Fahrplankoordination sehr ungünstig ist, liegt auf der Hand. Deshalb sollten sich BVG und BBG um eine Durchbindung der Buslinie 256 im Stundentakt bis nach Buch bemühen. Und es gibt noch weitere Punkte, die zwischen den Liniennetzen der beiden Verkehrsunternehmen im Interesse einer besseren und effizienteren Betriebsweise koordiniert werden sollten (zum Beispiel Buslinie 251/899 oder neue Buslinie 351/900).
Nicht unkommentiert bleiben sollte noch eine kleine Linienänderung in der City-West. Kaum ein Fahrplanwechsel verging in den letzten Jahren, ohne dass am Fahrplan der „Kudamm-Buslinien" 119/129/219 mit dem Ziel, Einsparungen zu erzielen, gebastelt wurde.
Wiederholt mussten vorgenommene Taktausdünnungen rückgängig gemacht werden, weil man sich verrechnet hatte. Diesmal führte die Bastelei zu einer nachteiligen Linienänderung. Die Buslinie 110 fährt nicht mehr zum Bahnhof Zoologischer Garten, sondern zum Wittenbergplatz und damit zwischen Uhlandstraße und Wittenbergplatz parallel zur U-Bahn-Linie 15. Somit entfällt - insbesondere außerhalb der Verkehrszeiten des X 10 - die direkte Anbindung aus Teilen Schmargendorfs und des oberen Kurfürstendammes an den zentralen Umsteigeknoten im Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr am Zoo.
Und weil man in den Chefetagen der Berliner Flughafengesellschaft und der BVG der Meinung war, dass die Anbindung des Flughafens Schönefeld mit zwei Regionalexpress- und zwei S-Bahn-Linien nicht ausreichend sei, hatte man es mit einer weiteren Parallelverkehrs-Linie zu bestehenden Schienenverkehrsangeboten besonders eilig. Kurzfristig wurde bereits zum 17. Mai 2003 eine zuschlagpflichtige Expressbuslinie „SXF" zwischen Potsdamer Platz und Flughafen Schönefeld über Wittenbergplatz eingerichtet. Die Linie fährt seitdem morgens und nachmittags während der Berufsverkehrszeiten im Halbstundentakt mit insgesamt zehn Fahrten je Richtung und ist damit auf die Flüge einer Billig-Fluggesellschaft ausgerichtet. Und so bestand das bahnbrechende Angebot, zu auserwählten Zeiten halbstündlich in einer knappen Stunde Fahrzeit vom Potsdamer Platz zum Flughafen Schönefeld per Bus auf stauanfälliger Sightseeing-Route zu gelangen, obwohl man dies mit S-Bahn und Regionalexpress in ca. 30 Minuten schaffen würde.
Vor dem Hintergrund der oben dargestellten dramatischen Einschnitte im Verkehrsangebot an anderen Stellen und der negativen Erfahrungen, die sowohl die BVG wie auch private Betreiber durch zahlreiche fehlgeschlagene Versuche mit zuschlagpflichtigen Sonderlinien zu und zwischen den Berliner Flughäfen in der Vergangenheit gemacht haben, löste die Einrichtung dieser Linie erhebliche Verwunderung und Verärgerung aus. Denn schließlich ist der betriebliche Aufwand nicht zu verachten: Morgens und nachmittags müssen (trotz der insgesamt nur zehn Fahrten) jeweils vier Busse eingesetzt werden. Das entspricht grob gerechnet etwa der Zahl der durch die oben beschriebenen Maßnahmen auf den Linien 142,174, 181, 248 eingesparten Fahrzeuge - mit dem kleinen Unterschied, dass wohl auf jeder einzelnen Fahrt in den stillgelegten Streckenabschnitten mehr Fahrgäste saßen als im „SXF" den ganzen Tag über.
Schließlich kam es wie es kommen musste: Auch mehr als ein Vierteljahr nach Einführung des „SXF" und einer umfangreichen Marketing-Kampagne fuhren die Busse immer fast ohne Fahrgäste und so wurde die Linie „SXF" zum 6. Oktober 2003 quasi „über Nacht" wieder eingestellt.
Das auf Initiative von BVG-Vorstandschef von Arnim eingerichtete Experiment wird bis dahin nach überschläglichen Schätzungen etwa 700.000 Euro gekostet haben. Ein eindrucksvollerer Beweis dafür, wie notwendig eine öffentlichen Diskussion über die Angebotsplanung der BVG ist, konnte nicht erbracht werden.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 5/2003 (November/Dezember 2003), Seite 16-18