Berlin
1. Dez 2003
Sind Sie schon in „Linie 15" gewesen? Nein? Sie wissen gar nicht, was das ist? Nichts anderes als der neue Name des bekannten Musicals „Linie 1". Jedenfalls nach der Logik der BVG.
Bekanntlich erhielt nach der Wiedervereinigung des Kleinprofilnetzes der Berliner U-Bahn nicht die nunmehr wichtigste Verbindung zwischen Ruhleben und Pankow, via Zoo, Potsdamer Platz und Alex, die Nummer 1. Und dies, obwohl dafür auch gesprochen hätte, dass sie den westlichen Ast der bisherigen U 1 übernahm und einige Kilometer weit über die älteste Berliner U-Bahnstrecke führt. Nein, wenn man sich denn schon nicht dazu entschließen konnte, statt von der „U 1" weiterhin, dem alten Jargon gemäß, von der Linie 1 zu sprechen so sollte doch wenigstens die Hochbahnstrecke durchs bunt-bewegte Kreuzberg diese mittlerweile mindestens deutschlandweit berühmte Bezeichnung behalten, hieß es damals von Seiten der BVG - auch wenn man mit dieser nun nicht mehr, wie in dem Musical geschildert, vom Zoo in den verblassenden Szenebezirk gelangen kann.
Zehn Jahre später scheint dies nicht mehr zu gelten: Schon mit der Einführung des durchgehenden Nachtbetriebs an den Wochenenden wurde die U 1 in den verkehrsschwachen Zeiten auf die Relation Krumme Lanke - Nollendorfplatz zurückgestutzt, also praktisch auf die Dimension der U 2 aus Mauerzeiten. Durch die Kreuzberger Nächte fährt nur noch die - von der BVG anfangs ungeliebte und recht stiefmütterlich behandelte - „Abzweiglinie" U 15 von und nach Uhlandstraße. Konsequenterweise verkehrte, während im Juli und August die Strecke zwischen Nollendorfplatz und Hallesches Tor wegen Bauarbeiten gesperrt war, auf dem verbleibenden Teil der Kreuzberger Hochbahn ausschließlich die U 15. Ob man am Rüdesheimer Platz oder in Dahlem-Dorf in dieser Zeit Touristen gesichtet hat, die erwartungsvoll in die U 1 gestiegen waren und sich dann wunderten, wie wenig diese Gegenden doch mit dem zu tun haben, was sie auf der Bühne gesehen hatten?
Jan Gympel
aus SIGNAL 5/2003 (November/Dezember 2003), Seite 24