Schienenverkerhrswochen 2003

160 Jahre Bahnverbindung Berlin - Stettin

Im Rahmen der 20. Deutschen Schienenverkehrswochen 2003 veranstaltete der DBV-Regionalverband Barnim-Uckermark-Oberhavel am 8. September 2003 eine mit 40 Interessierten gut besuchte Informationsveranstaltung im Fahrgastzentrum Berlin-Jannowitzbrücke.


DBV BarnimOberhavel-Uckermark

1. Dez 2003

„Früher fuhren die Bahnen doch viel schneller" konterte der erste Besucher den Overhead- Vortrag von Herrn Dr. Murach. Ein Blick auf die folgende Tabelle zeigt, wie sich die Reiseverbindungen und Reisezeiten im Laufe der 160 Jahre ständig verändert haben.

Die drastischen Verlängerungen der Reisezeiten im der Verkehr nur weniger Zugpaare waren Folge der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges und des schlechten Verhältnisses zwischen Deutschland und Polen. Dies betrifft nicht nur das Verhältnis Polens zur Bundesrepublik Deutschland, wo die Frage der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze viele Jahrzehnte ein Knackpunkt war. Auch das Verhältnis der „sozialistischen Nachbarn" DDR und der VR Polen war äußerst distanziert, das belegt die über 25 Jahre währende Einstellung des Personenverkehrs auf der Stettiner Bahn.

Stettin Hauptbahnhof. Foto: Frank Lammers

Da kann die ab Mai 2004 anstehende EU-Ost-Erweiterung hoffnungsvoll stimmen. Wenn die Grenzen fallen, muss auch die „Zeitschranke" von den deutschen und polnischen Bahnen eingerissen werden. Lobbyisten für den Ausbau der Stettiner Bahn gibt es nicht nur auf der Ebene von DB und PKP. Berlins Verkehrssenator Strieder war unlängst mit der Staatssekretärin Gleicke vom Bundesverkehrsministerium im Linienverkehr nach Stettin gereist - als Gast einer Ausstellungseröffnung im Stettiner Bahnhof zum Thema „160 Jahre Stettiner Bahn" (vom 30. Oktober bis 27. November 2003 wird die Ausstellung auch im Bahnhof Friedrichstrasse zu sehen sein).

Dr. Murach, beruflich Verkehrsplaner, ging in seinem Vortrag besonders auf die Situation nach 1945 ein, über die relativ wenig Kenntnisse in der Öffentlichkeit vorhanden sind:

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurde der direkte Personenverkehr von Berlin nach Stettin über die Stettiner Bahn für ca. 25 Jahre eingestellt. Die Grenzziehung war von Anfang an nicht klar, denn nach den ursprünglichen Absprachen zwischen der Sowjetunion und den Alliierten sollte die „Oder-Neiße-Grenze" konsequent an der Oder (also festlich von der Stettiner Innenstadt verlaufen. Der Hafen und die Stettiner Bahn hatten ab Sommer 1945 für die Rote Armee eine wichtige Bedeutung für die Abfuhr von Reparationsgütern. Deswegen wurde der PKP zunächst eine Übersiedlung der Direktion Westpommern nach Stettin verweigert. Im Winterfahrplan 1946/47 der Deutschen Reichsbahn vom 4. November 1946 wurden letztmalig in einer DR-Fahrplantabelle die Bahnhöfe auf dem polnischen Abschnitt der Stettiner Bahn bis Scheune (heute Szczecin Gumience) aufgeführt und gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass es zur Zeit keinen Zugverkehr gibt. Der Vermerk zum Bahnhof Scheune „Polnische Staatsbahn, in Scheune Deutsche Grenzabfertigung") deutet darauf hin, dass die Deutsche Reichsbahn noch davon ausgegangen ist, dass hier demnächst ein Grenzübergang zur PKP eingerichtet wird. Zu dieser Zeit wurde das komplette zweite Gleis Bernau - Stettin Scheune) zu Reparationszwecken für die Sowjetunion demontiert.

Zu dieser Zeit gab es umfangreiche Sonderverkehre von Stettin über Grambow nach Pasewalk. Die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen erfolgte in Güterzügen, die überwiegend über diese Bahnstrecke abgewickelt wurde.

Der „Spiegel" berichtet in einer Dokumentation, das sich vielen Betroffenen der Bahnhof Scheune als „Bahnhof des Grauens" in der Erinnerung eingebrannt hat, denn besonders in der Anfangsphase der Umsiedlung durchforsteten private bewaffnete „kriegsentwurzelte" Banden aus Polen und der Ukraine die Züge im Grenzbahnhof nach Wertgegenständen, wobei es zu heftigen Ausschreitungen gekommen sein soll. Später wurden diese Tätlichkeiten von den sowjetischen und polnischen Behörden unterbunden.

Es ist bisher nicht bekannt ob die Bahnstrecke Tantow - Stettin Scheune zwischen 1945 - 1971 für den Güter- oder Militärverkehr genutzt wurde.

In der Zeit nach dem Görlitzer Abkommen (Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR ca. 1950) wurde eine provisorische Direktverbindung von Berlin (über die Stadtbahn) nach Stettin angeboten. Es handelte sich um einen Anschlusszug von Pasewalk an den D 13 nach, der einmal täglich verkehrte. Die Reisezeit betrug über sechs Stunden (!). Diese Verbindung wurde u.a. auch für die ersten „organisierten" Freundschaftskundgebungen in den Grenzstädten sowie für die Teilnahme der polnischen Delegationen an den Weltjugendspielen 1951 in Berlin genutzt. Die Verbindung muss aber im Zeitraum Mitte der fünfziger Jahre (möglicherweise in Zusammenhang mit der Verschärfung der internationalen Lage nach dem Tod von Stalin und den Aufständen in der DDR und später in Polen) wieder eingestellt worden sein.

Die zur Zeit unbefriedigende Situation soll durch Aufnahme der Strecke in den Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2003) langfristig verbessert werden. Senator Strieder hat dafür einige Initiativen ergriffen - und so ist bei den Internationalen Projekten unter der Nummer 2 die Stettiner Bahn eingeordnet - als Prüfauftrag für eine Ausbaugeschwindigkeit von 160 km/h. Es gibt Bemühungen und Gespräche, ab 2004 eine zweites durchgehendes Zugpaar, dass von der polnischen Seite für Tagesfahrten nutzbar ist, anzubieten.

DBV BarnimOberhavel-Uckermark

aus SIGNAL 5/2003 (November/Dezember 2003), Seite 34-36