Berlin
Anmerkungen zur Straßenbahnplanung am Nordbahnhof
1. Mär 2005
Als im Dezember 2004 das veränderte Liniennetz der BVG eingeführt wurde, galten die ersten Blicke im neuen Atlas den veränderten Wegen zur Arbeit, zum Arzt oder zum Supermarkt. Aber beim zweiten Blick entdeckte so mancher, daß erstmals die im Bau befindliche Verlängerung der Straßenbahnstrecke von der jetzigen Endstelle an der Eberswalder Straße zum Nordbahnhof eingezeichnet wurde. Diese Trasse ist Teil der späteren Straßenbahnerschließung des Hauptbahnhofs - Lehrter Bahnhof.
Wer die Darstellung der Neubaustrecke genau betrachtet, wird überrascht sein, daß die Neubaustrecke am Nordbahnhof nicht mit der bereits bestehenden Strecke auf der Invalidenstraße verknüpft ist. Eine Zeichenungenauigkeit? Leider nein. Die neue Strecke soll aus der Bernauer Straße kommend tatsächlich stumpf auf dem Gelände des Nordbahnhofs enden.
Auf Nachfrage bei der BVG erfuhren wir, daß man sich für diese Planung entschieden habe, weil der gesamte Bereich der Invalidenstraße zwischen Gartenstraße und Chausseestraße umgestaltet wird. Dabei wird auch die Gleislage der jetzigen Straßenbahnstrecke auf der Invalidenstraße verändert. Diese Bauarbeiten sollen sich nicht auf den Betrieb der Neubaustrecke auswirken.
Da auf der Neubaustrecke die Zweirichtungsfahrzeuge der Linie M 10 eingesetzt werden, ist das Enden am Nordbahnhof betrieblich möglich. Dennoch gibtes viele Gründe, diese Planung aus Fahrgastsicht, aber auch aus betrieblichen Gründen zu kritisieren. Die Effektivität einer Straßenbahnstrecke hängt nicht unwesentlich davon ab, wie gut sie mit dem bestehenden Netz und anderen Verkehrsträgern verknüpft wird. Beides wird hier mißachtet.
Aus betrieblicher Sicht ist eine provisorische Verknüpfung mit der Strecke auf der Invalidenstraße sinnvoll, weil die Züge der M 10 dann bis zur Schwartzkopffstraße weiterfahren und dort kehren könnten. Seit der Umgestaltung des Netzes sind dort Reserven vorhanden.
Noch ärgerlicher ist diese Fehlplanung aus Fahrgastsicht, da die von Prenzlauer Berg über die Bernauer Straße kommenden Züge nicht über den Nordbahnhof hinaus zum U-Bahnhof Zinnowitzer Straße der wichtigen U-Bahn-Linie U 6 geführt werden können. Mit der Weiterführung würde die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke verbessert und viele Fahrgäste erhielten eine attraktive Umsteigemöglichkeit zur U-Bahn.
Die BVG-Argumentation, man wolle sich von der Umgestaltung der Invalidenstraße nicht beeinträchtigen lassen, überzeugt uns nicht, insbesondere vor dem Hintergrund, daß das Planfeststellungsverfahren für die Umgestaltung und Weiterführung zum Lehrter Bahnhof wegen rechtlicher Mängel Ende 2004 eingestellt wurde und neu gestartet werden muß. Ein Baubeginn vor 2007 ist damit ausgeschlossen. Im Übrigen werden die Kosten für „verlorene Bauleistungen" durch die vielfältigen Vorteile einer Netzverknüpfung überwogen.
Die ärgerliche, weil viel Zeit verspielende Einstellung des „Planfeststellungsverfahrens für den Neubau der Straßenbahn in der Invalidenstraße von Chausseestraße bis Alt-Moabit" - so der amtliche Titel - sollte nun wenigsten als Chance genutzt werden, die bisherigen Pläne zur Aufgabe der jetzigen Endstelle an der Schwartzkopffstraße zu überdenken. Der Berliner Fahrgastverband IGEB findet diese Planungen falsch. In der Berliner Innenstadt wird es immer wieder Situationen geben, wo Endstellen zeitweise nicht erreichbar sind. Um in solchen Situationen flexibel zu sein, sollte man die Endstelle in der Schwartzkopffstraße nicht aufgeben. Hinzu kommt, daß dieser Abschnitt mit GVFG-Mitteln erst in den 90er Jahren saniert wurde und somit keineswegs sofort abgebaut werden kann.
Aber auch ein anderer Aspekt spielt eine Rolle. In den jetzigen Planungen zur Straßenbahnanbindung des Lehrter Bahnhof sollen dort drei Linien enden. Davon soll die M 10 in der HVZ im 5-Minuten-Takt fahren. Auch die M 6 und die M 8 sollen dort enden. Diese Planungen erscheinen nicht allzu glaubwürdig, insbesondere die M 6 wird möglicherweise nie zum Lehrter Bahnhof geführt werden. Wenn es jedoch die Endstelle Schwartzkopffstraße nicht mehr gibt, dann muß die M 6 immer am Hackeschen Markt enden. Es gäbe damit nicht mehr die Direktverbindung vom Hackeschen Markt zur Chausseestraße. Eine solche Entwicklung muß die Senatverkehrsverwaltung unbedingt verhindern.
So ärgerlich die schlampigen Straßenbahnplanungen unter Verkehrssenator Peter Strieder waren, so sollte man die Chancen einer neuen Planung nutzen und bisherige Planungsfehler vermeiden.
IGEB Stadtverkehr
aus SIGNAL 1/2005 (Februar/März 2005), Seite 15