Nordrhein-Westfalen

Wenn das Laub von den Bäumen fällt

Bahn erprobt ihr Schmierfilmkataster und wird von der Realität eingeholt


Bahnkunden-Verband West

1. Mär 2005

Inzwischen gehört offensichtlich auch der Herbst zu den Jahreszeiten, die der Bahn besonders zu schaffen machen. Jedenfalls häuften sich in Nordrhein-Westfalen seit Oktober wieder Zugverspätungen und -ausfälle.

Durchsagen wie „Zug fällt leider ersatzlos aus" gehören inzwischen leider zu den oft gehörten Durchsagen in Düsseldorf. Wenn ein Zug nur zehn Minuten Verspätung hat, sind Fahrgäste schon erleichtert. Mit einer Pünktlichkeit von 66,7 Prozent im Oktober 2004 will sich auch der Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe nicht mehr zufrieden geben und forderte DB Regio auf, hier für mehr Pünktlichkeit zu sorgen. Aber über das Bitten kann es wohl nicht hinausgehen, denn offensichtlich fehlen dem jüngst geschlossenen Verkehrsvertrag (der natürlich streng geheim ist) wirksame Möglichkeiten, ein solches Desaster wie im Vorjahr zu verhindern.

Zugverspätungen und -ausfälle, verpaßte Anschlüsse, verkürzte Zugläufe, weniger Wagen und keine Information über das Betriebsgeschehen stehen leider auch in diesem Herbst wieder im Mittelpunkt des Tagesgeschehens für Pendler. Dabei sollte doch alles viel, viel besser werden!

Seit 2003 ist es ganz akut. Die leichten Triebzüge haben nach Aussage der Deutschen Bahn Probleme mit dem Schmierfilm, der sich durch die Blätter bildet, sobald diese auf die Schienen fallen. Passiert dies gerade dort, wo ein Zug bremsen oder anfahren muß (in aller Regel also an den Stationen), drehen die Räder durch und das Fahrzeug kommt nicht zum Stehen und nicht in Fahrt. Und die so entstandenen Verspätungen, mag es beim ersten Halt noch eine Minute sein, addieren sich dann bei nächsten Unterwegshalten leicht auf fünf und mehr Minuten. Die Folge: Der gesamte Fahrplan gerät durcheinander.

Durch den rigorosen Rückbau aller Kreuzungsgleise, die nicht unbedingt für den Regelbetrieb gebraucht werden, gibt es keine Möglichkeit mehr, solche aufgelaufenen Verspätungen auch nur annähernd auszugleichen - im Gegenteil. Selbst ein Zug, der noch pünktlich ist, muß irgendwann auf den verspäteten Gegenzug warten. Und damit gehen dann in beide Richtungen oft viele Anschlüsse verloren.

Bei den Aufgabenträgern gab es im Oktober eine Krisensitzung nach der anderen. Hat sich die Beschaffenheit des Laubes geändert? Daß im Herbst die Bäume, die bereits seit Jahrzehnten entlang fast jeder Eisenbahnstrecke stehen, ihre Blätter abwerfen und es auch vorkommen kann, daß diese Blätter auf die Schienen fallen, ist kaum etwas Neues. Für den Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Hartmut Mehdorn, ist dieses Problem jedoch neu: „Es gibt so eine Jahreszeit, da haben wir eben unsere Probleme" sagt er in einem Interview mit der ARD-Fernsehsendung Kontraste. Wieso aber gab es solche extremen Behinderungen und Einschränkungen nicht bereits in den zurückliegenden Jahrzehnten?

Wie es dann zum Jahresende 2004 aussah, haben auch die vielen Maßnahmen von DB Netz und Regio nichts genutzt. 25 Millionen Euro sind laut einer Presseerklärung der DB NRW von Ende September 2004 in einen Maßnahmenkatalog für mehr Qualität geflossen. „Auf Grund eines umfassenden Schmierfilmkatasters sei ein komplett neues Betriebsprogramm entstanden", hieß es in der Presseerklärung. Es hat alles nichts genützt. Auch der Fahrzeugtausch, der Ersatz der leichten Triebzüge durch schwerere lokbespannte Einheiten auf Problemstrecken, hat die Folgen des Herbstes nicht verhindern können. Selbst das Streichen von Halten und Kürzen von Zugläufen hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht.

Nach Ansicht des DBV liegen die Probleme nicht nur beim Herbstlaub. Durch den rigorosen Rückbau aller Gleisanlagen, dienichtmehr für den Regelfahrplan gebraucht werden, hat sich die DB selbst in ein Korsett gezwängt, das nur noch für den „Normalfahrplan" taugt. Verspätungen oder Wetterkapriolen finden dort keine Berücksichtigung mehr - es darf schlichtweg nichts passieren. Und wenn dann die Praxis anders als die Theorie aussieht, haben die Fahrgäste das Nachsehen.

Bahnkunden-Verband West

aus SIGNAL 1/2005 (Februar/März 2005), Seite 22