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Duo-S-Bahnfahrzeuge könnten Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs entscheidend verbessern
1. Sep 2005
„Im Herbst", so die Ankündigung der Deutschen Bahn, wollte sie ihr Fernverkehrskonzept 2006 für Berlin vorstellen. Weil aber seit Anfang Mai dieses Jahres in der Öffentlichkeit intensiv und kontrovers über die scheibchenweise bekannt gewordenen DB-Pläne diskutiert worden war, wurde das zwischenzeitlich mehrfach überarbeitete Konzept bereits am 6. Juli präsentiert. Im Wesentlichen hat die DB genau das der Öffentlichkeit vorgestellt, was erwartet beziehungsweise befürchtet wurde (siehe SIGNAL 3/2005 ): Konzentration auf den Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof, kein Fernbahnhalt Zoologischer Garten. Doch eine zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Wie kann die Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs von Norden und Süden her entscheidend verbessert werden? Der Berliner Fahrgastverband hält nur eine Lösung für finanzierbar: Duo-S-Bahnfahrzeuge im Fernbahntunnel.
Die am 6. Juli von der Bahn vorgestellte Aufteilung der Fernverkehrslinien auf die Stadtbahn und den neuen Nord-Süd-Tunnel ab 28. Mai 2006 entspricht genau der bisherigen Planung, über die wir bereits in SIGNAL 5/2004 berichtet hatten. Neu gegenüber der ein jahrzehntlang verfolgten Planung ist allerdings,
Nachdem die DB sich wochenlang der öffentlichen Diskussion um den Fernbahnhof Zoo entzog, hat sie nun offiziell bestätigt, dass in diesem Bahnhof ab 28. Mai 2006 kein einziger Fernzug mehr halten soll. Lässt man einmal die zahlreichen unsachlichen Argumente außer Acht, dann bleiben folgende Gründe als Motiv der DB-Entscheidung übrig:
Als Reaktion auf die lebhaften Proteste gegen die Abschaffung der Fernbahnhalte im Bahnhof Zoo lässt die Bahn leider noch nicht alle, aber deutlich mehr Fernzüge als bisher im Bahnhof Spandau halten. Damit wird den Reisenden aus Spandau und dem Havelland, aber auch aus Teilen von Charlottenburg und Reinickendorf mehr als nur ein Trostpflaster für den Wegfall von Zoo geboten. Selbst für Hennigsdorfer und Potsdamer kann der Spandauer Bahnhof eine Alternative zu Berlin Hauptbahnhof sein, um die Gesamtreisezeit zu mindern.
Der Berliner Fahrgastverband IGEB begrüßt die zusätzlichen Spandau-Halte ausdrücklich, zumal die bisherige Praxis, nur jeden zweiten ICE dort halten zu lassen, von den Reisenden ohnehin immer wieder heftig kritisiert wurde. Deshalb müssen künftig alle Fernzüge, die über Spandau fahren, hier auch halten.
Dass Züge, die ab Mai 2006 nicht mehr über die Stadtbahn fahren, im Ostbahnhof nicht mehr halten können, ist natürlich nicht neu. Neu aber ist, dass die Bahn nun Geld investiert, um Züge vom Ostbahnhof zum neuen Bahnhof Südkreuz umzulenken. Lange Zeit war ungewiss, ob der heutige S-Bahnhof Papestraße von der Bahn überhaupt zum Fernbahnhof Südkreuz ausgebaut wird oder dem Rotstift zum Opfer fällt. Schließlich entschied man sich doch für den Bau dieses Bahnhofs, verzichtete aber auf einen von drei Fernbahnsteigen, um stattdessen Geld in milllionenschwere Vorleistungen investieren zu können, die es einem Privaten ermöglichen sollen, irgendwann einmal zwei große Parkhäuser über den Bahnsteigen zu errichten und zu bewirtschaften.
Als nun die Bahn Ende Mai 2005 dem Berliner Senat und kurz danach der staunenden Öffentlichkeit verkündete, man könne ja schon deshalb keinen ICE mehr in Zoo halten lassen, weil alle ICE nicht mehr über die Stadtbahn fahren, sondern durch den Nord-Süd-Tunnel zum Südkreuz, wunderten sich auch die Fachleute der Bahn, wie die Konzernspitze es betrieblich bewältigen will, zwei im Stundentakt verkehrende ICE-Linien am Bahnhof Südkreuz enden bzw. kehren zu lassen. Also wurde fieberhaft geplant und gerechnet mit dem Ergebnis, dass die Züge aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet weiterhin über die Stadtbahn fahren und in Ostbahnhof enden müssen, während man die Züge aus dem Rhein-Main-Gebiet von der Stadtbahn und dem Ostbahnhof in den Nord-Süd-Tunnel umlenken kann, falls der gerade eingesparte dritte Fernbahnsteig doch noch gebaut wird. Weil das aber nicht mehr bis zum 28. Mai 2006 zu schaffen ist, werden die Züge erst ab Dezember 2006 zum Südkreuz fahren und dort enden bzw. kehren können.
Das Motiv? Siehe oben: Geld. Auch dem Bahnhof Südkreuz müssen Reisende und damit Kunden zugeführt werden, damit die Läden und die teuren Parkdecks gefüllt werden. Während das Umlenken der Fahrgastströme beim Hauptbahnhof zu Lasten des Bahnhofs Zoo erfolgt, geschieht es beim Südkreuz zu Lasten des Ostbahnhofs. Dass (derzeit) nicht auch noch die letzte ICE-Linie vom Ostbahnhof zum Südkreuz umgelenkt wird, hat der Ostbahnhof lediglich betrieblichen Zwängen zu verdanken. Doch die im Ostbahnhof wegfallenden DB-Fernzüge eröffnen die Chance, dass künftig private Bahnunternehmen hier halten. Warum soll zum Beispiel der Vogtland-Express künftig noch im Bahnhof Lichtenberg enden, wenn er auch im attraktiver gelegenen Ostbahnhof ankommen kann?
Der Berliner Fahrgastverband IGEB hält die Maßnahmen zur Belebung des Bahnhofs Südkreuz finanziell und betrieblich für äußerst fragwürdig, obwohl sogar eine gewisse Logik darin steckt, dass künftig alle von Berlin in den Süden fahrenden Fernzüge am Südkreuz erreichbar sind. Städtebaulich ist der Bahnhof Südkreuz, ebenso wie der künftige Hauptbahnhof, ein Solitär ohne Umfeld. Hinzu kommt, dass das Ankommen am Südkreuz unter den Parkdecks für die Reisenden visuell noch erbärmlicher ist, als das Ankommen an den Tunnelbahnsteigen des Hauptbahnhofs.
Unabhängig davon, ob die DB künftig doch wieder Fernzüge am Bahnhof Zoo halten lässt, oder ob private Bahnunternehmen Zoo und Ostbahnhof als Fernbahnhöfe für sich entdecken, oder ob die Bedeutung des Einkaufszentrums am Hauptbahnhof durch Lockerung des Ladenschlussgesetzes ohnehin vermindert wird, bleibt festzuhalten:
Berlin hat ab 28. Mai 2006 einen Bahnhof mit dem Namen Hauptbahnhof, der im polyzentrischen Berlin sicherlich niemals eine solche herausragende Stellung erlangen wird, wie die Hauptbahnhöfe in Leipzig, München oder Frankfurt am Main, der aber dennoch ein wichtiger Fernbahnhof werden wird. Der entscheidende Mangel des Berliner Hauptbahnhofs ist seine schlechte Erreichbarkeit mit dem ÖPNV von Norden und Süden. Daran werden auch einzelne, wegen kurzzeitiger Straßensperrungen im Regierungsviertel besonders unzuverlässige Buslinien, die künftige Straßenbahn, die neue U 55/U 5 nichts ändern. Der Fehler, den neuen S-Bahn-Nord-Süd-Tunnel (sogenannte S21) aus der Baumaßnahme „Tiergartentunnel" Mitte der 1990er Jahre zu streichen, ist nicht wieder gut zu machen. Keinem Politiker, keinem Bürger in Görlitz, Kassel oder Aachen und schon gar keiner Finanzverwaltung wird heute noch zu vermitteln sein, dass nach den Milliardenausgaben für einen derzeit mit vier Gleisen erheblich überdimensionierten Bahntunnel nochmals mehrere hundert Millionen Euro für einen weiteren Bahntunnel mit einem fünften und sechsten Gleis, dieses Mal für die Berliner S-Bahn, ausgegeben werden sollen.
Deshalb müssen nun alle Anstrengungen darauf gerichtet werden, die vorhandene teuer errichtete Infrastruktur besser zu nutzen, denn durch den neuen viergleisigen Tunnel werden mit stündlich fünf bis sechs Zugpaaren, darunter drei des Regionalverkehrs, nur halb so viele Züge fahren, wie jetzt über die zweigleisige Stadtbahntrasse. Einen derart überdimensonierten Streckenneubau hat es in der Nachkriegsgeschichte der Deutschen Bahn noch nicht gegeben. Selbst bei Einrichtung eines Flughafenzubringers im 15 Minuten-Takt, der irgendwann einmal durch den Nord-Süd-Tunnel zu einem neuen Berliner Flughafen Schönefeld verkehren soll, wäre der Nord-Süd-Tunnel erst zur Hälfte ausgelastet.
Deshalb sind jetzt nicht (weitere) teure, sondern intelligente Lösungen gefragt. Und die führen zwangläufig zu Zweistrom-Fahrzeugen, auch Duo-Fahrzeuge genannt, die auf den Berliner S-Bahngleisen ebenso fahren können, wie auf den Fernbahngleisen des Nord-Süd-Tunnels. Dann könnten zum Beispiel einige Züge von der Wannseebahn und der Dresdener Bahn (Blankenfelde/Lichtenrade) zwischen Yorckstraße und Moabit durch den neuen Nord-Süd-Tunnel fahren. So - und nur so - ließe sich die Erreichbarkeit des künftigen Hauptbahnhofs innerhalb weniger Jahre entscheidend verbessern.
In Hamburg werden solche Zweistrom-S-Bahnfahrzeuge bereits in zwei Jahren nach Stade fahren, hergestellt von Aistom in Salzgitter und Bombardier in Hennigsdorf.
Wenn die Bahn das (unterstützenswerte!) Ziel erreichen will, in Berlin jährlich mehrere Millionen Reisende zusätzlich für den Fernverkehr zu gewinnen, dann schafft sie das nicht, indem sie den gut erreichbaren Bahnhof Zoo ohne Halt durchfährt und jahrelang auf eine bessere ÖPNV-Erschließung des Hauptbahnhofs wartet. Deshalb muss die DB sowohl den Fernbahnhalt Zoologischer Garten beibehalten, als auch die Erreichbarkeit des neuen Hauptbahnhofs entscheidend verbessern. Die im Vergleich zum Bau eines neuen S-Bahntunnels erheblich schnellere und preiswertere Lösung: Auch die Berliner S-Bahn nutzt den für sehr viel Geld gebauten, aber nicht annähernd ausgelasteten neuen Nord-Süd-Tunnel mithilfe von Zweistrom-Fahrzeugen nach Hamburger Vorbild.
Berliner Fahrgastverband IGEB
aus SIGNAL 4/2005 (August/September 2005), Seite 5-7