Aktuell

Abbestellungen scheibchenweise, aber kein Gesamtkonzept

Brandenburgs Verkehrspolitik ist unverantwortlich


Berliner Fahrgastverband IGEB

1. Sep 2006

Seit Jahren werden im Land Brandenburg regelmäßig Bahnstrecken stillgelegt. Die Anlässe unterscheiden sich, die Begründung ist stets dieselbe: zu wenige Fahrgäste. Ein Gesamtkonzept, wie viel Schienenverkehr es in Zukunft aus verkehrlichen, siedlungsstrukturellen, umweltpolitischen und finanziellen Gründen geben soll, fehlt noch immer. Eine Abstimmung zwischen Schienen- und Busangeboten fehlt ebenso. Wie lange wollen sich Landtagsabgeordnete, Kreise und Kommunen diese dilettantische Politik ihrer Landesregierung eigentlich noch bieten lassen?

Dem Sensenmann entkommen. Ursprünglich sollte die komplette Strecke Eberswalde—Templin sterben. Nach heftigen Protesten bleibt die Teilstrecke Eberswalde—Jochimsthal (zunächst) am Leben. Der Abschnitt Joachimsthal—Templin wird amputiert. Im Bild: ODEG in Alt-Hüttendorf. Foto: Florian Müller

Erste Abbestellungen zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember waren bereits im Mai angekündigt worden. Begründet wurden sie mit gestiegenen Energiepreisen. Die nächsten sehr viel umfangreicheren Abbestellungen werden nun mit der Kürzung der Regionalisierungsmittel-Zahlungen des Bundes begründet. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass das Land Brandenburg den Kürzungen im Bundesrat zugestimmt hat, da es in ungefähr 10-facher Höhe Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer erwarten kann. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass das Land bisher keine Eigenmittel für öffentlichen Verkehr aufbringt. Alles wird aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes finanziert: der SPNV, der 50-Millionen-Zuschuss an die Landkreise für den ÖPNV, die Ausgleichszahlungen für die Schülerbeförderung und die Zahlungen für die Regieleistungen des VBB.

Zwei Schritte zurück, einer vor

Bemerkenswert ist allerdings, dass die Landesregierung die aktuelle Streichorgie so geschickt inszenierte, dass sich die Mehrzahl der von Abbestellungsdrohungen aufgeschreckten Fahrgäste und Kommunalpolitiker als Sieger der jüngsten Auseinandersetzung fühlen konnte. Der Schachzug: Man stellte der Öffentlichkeit am 22. August eine Abbestellungsliste vor, die deutlich über das hinausging, was finanziell angestrebt wurde. Nun konnten sich alle Akteure einen Monat lang erregen, natürlich auch gute Argumente vorbringen, u. a. auf drei Regionalkonferenzen, und erst danach wurde eine abschließende Entscheidung getroffen und am 21. September präsentiert. Der „Jubelsturm der Geretteten" überdeckte dann in der öffentlichen Wahrnehmung die Enttäuschung der Verlierer.Hinzu kam, dass die Verfechter der abbestellten Strecken als geradezu maßlos in ihren Ansprüchen diffamiert wurden: Für 200 Fahrgäste am Tag könne man doch keinen Bahnverkehr aufrecht erhalten. Verschwiegen wurden die tatsächlichen Kosten und die strukturellen Auswirkungen auf die Entwicklung einzelner Städte, Regionen und auch Unternehmen. Bedenkt man, dass an anderen Stellen im Land hunderte von Millionen Euro für die Förderung von einigen hundert Arbeitsplätzen ausgegeben werden oder, wie im Falle der Frankfurter Chipfabrik, auch in den märkischen Sand gesetzt werden, erkennt man, dass öffentlicher Nahverkehr im Land Brandenburg einen extrem unterentwickelten Stellenwert hat.

Ignorante Berliner Politik

Verschärft wird diese Situation durch die Haltung beim BerlinerSenat,derRegionalverkehr als alleiniges Thema des Landes Brandenburg betrachtet und nicht bereit ist anzuerkennen, dass ein erheblicher Teil der Fahrgäste in den Zügen Berliner Berufs- und Ausbildungspendler sowie Ausflügler sind und dass das brandenburgische Schienennetz wesentlich zur Lagequalität Berlins beiträgt, also auch von Berlin mitfinanziert werden muss.

Abbestellungen vor allem bei den Privaten

Auffällig ist, dass von den Streichungen überproportional häufig private Anbieter, vor allem die Prignitzer Eisenbahn (PEG) und die Ostdeutsche Eisenbahngesellschaft (ODEG), betroffen sind, die erst vor wenigen Jahren im Wettbewerb den Zuschlag für die jetzt abbestellten Verkehre erhielten. Da sie ihre gerade neu aufgebaute betriebliche Infrastruktur nun nicht mehr auslasten können, verschlechtert sich ihr wirtschaftliches Ergebnis erheblich. Zugleich läuft das Land Brandenburg Gefahr, sich als berechenbarer Vertragspartner zu diskreditieren.

Diese Schwerpunktsetzung hat auch praktische Auswirkungen: Weil vorwiegend Strecken mit einem unterdurchschnittlichen Bestellerentgeltsatz betroffen sind, müssen mehr Zugkilometer eingespart werden, um auf die gewünschten finanziellen Einsparungen zu kommen. Oder anders formuliert: maximale Zugkilometer-Abbestellung für kleinste Euro-Einsparung.

Man mag sich fragen, warum Brandenburg nicht wie in anderen Ländern geschehen, die lukrativen Regionalexpresslinien ausschreibt, sondern sie zu hohen Bestellerentqelten bei der DB belässt. Hier wäre ein wesentlich höheres Einsparungspotenzial vorhanden. Ein Grund ist dem Vernehmen nach, dass dem Land durch frühere Verträge mit der Bahn die Hände gebunden sind, da es ein Koppelgeschäft mit der Vorfinanzierung der RE160-Wagen durch das Land gab, die nun mit den Bestellerentgelten verrechnet werden. Nebenbei: Der damals verantwortliche Verkehrminister Hartmut Meyer bekam später einen lukrativen Beratervertrag bei der DB.

Unabsehbare Folgewirkungen

Offen bleibt die Zukunft der verbliebenen Strecken. Wie soll sich die jetzt gerade noch von der Klinge gesprungene Strecke Eberswalde—Joachimsthal halten, wenn nach der bevorstehenden Einstellung des Abschnitts Joachimsthal—Templin weitere Reisende fehlen? Für die Salamitaktik der scheibchenweisen Abbestellung von Strecken gibt es hierzulande genug Beispiele. Ein aktuelles ist die ab Dezember mit der Begründung gestiegener Energiepreise eingesparte Strecke Werneuchen—Tiefensee, wo die Weiterführung nach Wriezen vor einigen Jahren abbestellt wurde.

Oder wird sich die Strecke nach Rheinsberg nach der Einstellung des Abschnittes Herzberg—Neuruppin und den Ausdünnungen auf dem Reststück dauerhaft halten können? Zwar ist es für Berliner Ausflügler durchaus sinnvoll, wenn sie künftig über den kürzeren Weg via Löwenberg geführt werden. Aber werden die Fahrgäste das zusätzliche Umsteigen akzeptieren? Und werden sie die Bahn auch außerhalb des Sommerhalbjahres nutzen, wenn die Züge nur an den Wochenenden fahren?

Gerade noch so davon gekommen sind die Strecken Pritzwalk—Meyenburg und Basdorf—Wensickendorf, wo der Wegfall der weiterführenden Abschnitte über Plau nach Güstrow bzw. nach Liebenwalde ebenso zu weniger Fahrgästen auf dem Reststück führte.

Busersatzverkehr ist kein Ersatz

Aus der Traum. Auf der Strecke Pritzwalk—Putlitz begann vor zehn Jahren der Betrieb der Prignitzer Eisenbahn. Nun wird sie abbestellt. Foto: Florian Müller

Seitens des Landes wurden Busse als Ersatz angekündigt. Für den Schülerverkehr mögen diese eine sinnvolle Alternative sein. Aber bekommt man wirklich ortsfremde Touristen dort hinein? Wie es hier jenseits aller schönen Reden von den „attraktiven, die Orte besser erschließenden" Bussen in Wirklichkeit aussieht, zeigen zwei Beispiele: Die Strecke Meyenburg—Plau—Güstrow wurde im Jahr 2000 durch das Land Mecklenburg-Vorpommern abbestellt. Seitdem verkehren dort Busse im Zweistundentakt, genau wie es früher die Bahn tat. Die Touristen aus dem Berliner Raum, die einstmals die Bahn nutzten, blieben dennoch aus. Nachdem es einige Zeit wenigstens trotzdem noch Alibi-Anschlüsse in Meyenburg von der Bahn zum Bus gab, hält man es nun nicht einmal mehr für nötig, diese zu gewähren. Fast anderthalb Stunden Aufenthalt im kleinen Meyenburg sind angesagt! Da fährt natürlich niemand mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, der es nicht unbedingt muss.

Noch übler getroffen hat es Wittstock und Mirow im Zuge der einstigen Bahnlinie Wittenberge—Neustrelitz: Die Alibi-Busse (einstmals im Zweistundentakt) sind dort nun ganz weggefallen. Vermutlich hat es kaum einer gemerkt, für Durchgangsreisende waren sie zu unattraktiv und das lokale Potenzial dort ist gering.

Keine Anschlüsse in Neustadt (Dosse)

Gewissermaßen als „RegionalExklusiv” soll die Bahn nur noch im Wochenend- und Saisonverker nach Rheinsberg fahren. Foto: Florian Müller

Wie Inkompetenz eine Strecke ruinieren kann, zeigt sich auch am Beispiel der Strecke Neuruppin—Neustadt (Dosse), die zum Dezember abbestellt ist. Die kleine Stadt Neustadt bietet nur wenig eigenes Potenzial. Interessant wären dagegen die Weiterreisemöglichkeiten in die verschiedenen Richtungen, etwa zum Knoten Wittenberge, was deutlich schneller als über Pritzwalk ginge. Aber in beiden Richtungen werden die Anschlüsse in Neustadt knapp verpasst - fast eine Stunde Warten ist angesagt. Genauso wenig funktionieren die Anschlüsse zu den Bussen in Richtung Rathenow, die seit drei Jahren die Bahn ersetzen sollen. Die einzige Richtung mit funktionierenden Anschlüssen ist die in Richtung Kyritz. Hier sorgt aber der Landkreis Ostprignitz-Ruppin mit einem dichten parallelen Angebot an Direktbussen dafür, dass nicht allzu viele Leute die Bahn benutzen.

Ein anderes Beispiel: Man kann zwar die Begründung nachvollziehen, dass nur wenige Leute die direkten, aber auf Umwegen fahrenden Regionalexpresszüge des RE 3 (ehemals RE 5 Süd) nach Senftenberg nutzen, sondern statt dessen mit der RB 14 fahren, weil es schneller geht. Aber ist so ein überall haltender Bummelzug wirklich ein angemessenes Verkehrsmittel für eine attraktive Anbindung einer ganzen Region weit von Berlin? Ließe sich hier nicht mit schnelleren Zügen deutlich mehr herausholen? Und schlug nicht auch hier die Salamitaktik mit der Streichung der Verbindung ins im „sächsischen Ausland" gelegene Hoyerswerda (40 000 Einwohner) zu?

Auch Busverkehr betroffen

Die breite Diskussion um die Abbestellung von Bahnverkehren hat in den Hintergrund gedrängt, dass auch im Busverkehr der Kreise und im Straßenbahnverkehr der Städte Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder) schwere Einschnitte zu befürchten sind. Das Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung drängt z.B. die Stadt Brandenburg zur kompletten Einstellung des Straßenbahnverkehrs. Der Amoklauf der Landesregierung ist offensichtlich noch lange nicht zu Ende.

Fazit

Bei aller berechtigten Kritik an der Politik des Bundes bezüglich der Regionalisierungsmittel ist für die nächste große Abbestellungsrunde allein das Land Brandenburg verantwortlich. Diese geht vor allem zu Lasten der privaten Anbieter und kann noch nicht absehbare negative Folgen für künftige Ausschreibungen von Strecken haben. Doch ohne Wettbewerb wird Brandenburg seine Ausgaben weiterhin nur durch Abbestellungen begrenzen können - ein fataler Weg. So ist für die Zukunft wenig Gutes zu erwarten, zumal Ausdünnungen auch zu sinkenden Fahrgastzahlen auf den verbliebenen Strecken führen werden. Dem kann nur durch das seit Jahren überfällige fachlich und politisch diskutierte Gesamtkonzept begegnet werden. Außerdem muss sich das Land endlich mit Eigenmitteln zum öffentlichen Verkehr bekennen. (kut)

Berliner Fahrgastverband IGEB

aus SIGNAL 5/2006 (Oktober/November 2006), Seite 4-6