Berlin

Offener Brief

an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Klaus Wowereit, und an den Senator für Stadtentwicklung, Herrn Peter Strieder


IGEB

1. Mär 2004

Die Zeit „zwischen den Jahren" bot die Chance, losgelöst vom Tagesgeschäft zurückzublicken und Ausschau zu halten. Wir taten dies aus der Sicht von Fahrgästen und freuten uns, dass seit Juni 2003 in Berlin nun endlich neben der S-Bahn auch die U-Bahn an allen Wochenenden ein attraktives Nachtangebot fährt. Deutlich gestiegene Fahrgastzahlen bestätigen die Richtigkeit dieser Maßnahme, die nicht unwesentlich dazu beiträgt, Berlin zu einer europäischen Metropole zu entwickeln. Doch nicht alle Maßnahmen des letzten Jahres waren „metropolenwürdig". Und damit sind wir bereits bei unseren Wünschen für 2004:

Einer Hauptstadt und erst recht einer Metropole unwürdig ist es, alle Busfahrgäste zu potenziellen Schwarzfahrern zu erklären und ihnen, anders als den S-Bahn-, U-Bahn- und Straßenbahnfahrgästen, den schnellen und bequemen Zugang zum Fahrzeug zu verwehren. „Schwarze Schafe" gibt es überall, und deswegen ist es in Ordnung, wenn jeder Fahrgast ebenso wie jeder Autofahrer damit rechnen muss, bei gelegentlichen Kontrollen nach dem Fahrausweis bzw. dem Führerschein gefragt zu werden. Doch niemand käme auf die Idee, zum Beispiel alle Autofahrer, die nach Berlin-Mitte wollen, generell zu kontrollieren. Aber die Busfahrgäste werden wegen dieser „Schwarzen Schafe" nun generell zum Einstieg an nur einer Tür und zum Vorzeigen des Fahrscheins gezwungen - vorerst beschränkt auf Spandauer Linien. Das ist unwürdig und zugleich höchst unpraktisch, zum Beispiel bei Regenwetter oder bei vollen Taschen in beiden Händen. Der Alltag auf den Spandauer Buslinien zeigt schon jetzt, dass es durch die Beschränkung auf nur eine Tür und das Vorzeigen des Fahrscheins zu Verzögerungen im Berufsverkehr kommt. Somit wird das Busfahren unattraktiv und durch die Fahrzeitverlängerungen am Ende auch noch teurer für die BVG. Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die Busfahrgäste in Berlin sich wieder zuallererst als willkommene Kunden und nicht als potenzielle „Leistungserschleicher" fühlen dürfen und tagsüber wieder freizügig an allen Türen einsteigen können.

Aber nur vorne einsteigen! Obwohl inzwischen fast alle BVG-Busse drei Türen haben, müssen sich die Fahrgäste der „Spandauer Linien” jetzt am Vordereingang drängeln. Eine Folge: Fahrzeitverlängerungen. Foto: Alexander Frenzel

Das richtige Gespür für „König Kunde" scheint auch einigen der für den Regionalverkehr der Bahn Verantwortlichen verloren gegangen zu sein. Stichwort: Bahnhof Charlottenburg. Wir wollen hier nicht die komplexe Auseinandersetzung um Schuld und Verantwortung für gestrichene RegionalExpress-Halte als Ersatz für die weiterhin unterbrochene S-Bahn bewerten. Aber eines ist 2003 deutlich geworden: Es gibt viele Fahrgäste, die ein großes Interesse haben, dass die RegionalExpress-Züge auch unabhängig von S-Bahn-Bauarbeiten in Charlottenburg halten. Dasselbe gilt für Karlshorst, wo zwar RE 4 und RE 5 halten, aber RE 1 und RE 2 zum Ärger vieler Bahnkunden ohne Halt durchfahren. Dass beide Halte sinnvoll und wünschenswert sind, hat, wie Sie wissen, auch der Berliner Senat 2001 mit dem Nahverkehrsplan beschlossen. Und die gegen einen Halt in Charlottenburg gelegentlich vorgebrachten Sachzwänge gibt es erwiesenermaßen nicht. 2003 hat verdeutlicht, dass die Bahn in Charlottenburg halten kann, wenn sie nur will. Deshalb unsere Bitte: Nutzen Sie die Gespräche vor der anstehenden Unterzeichnung des Verkehrsvertrages mit DB Regio, um das, was der Berliner Senat im Sinne der Bahnkunden beschlossen hat, auch durchzusetzen, denn das Land Berlin bestellt und bezahlt. Wie heißt es doch: „Wer bezahlt, der bestellt die Musik."

Mehrere 10.000 Berlinerinnen und Berliner schauen sorgenvoll in das neue Jahr, weil ihre mit 20,40 Euro bisher noch bezahlbare Monatskarte ersatzlos wegfällt. Diese auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesenen Menschen werden in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt. Wie wir aus der Senatssozialverwaltung erfuhren, gab es seitens der Verkehrsbetriebe ernsthafte Bemühungen, dieses Drama zum Jahreswechsel abzuwenden. Vergeblich. Wir wissen, dass Berlin wenig Geld hat. Aber wir erinnern an Ihre Worte nach dem Scheitern einer privatwirtschaftlichen Lösung für den Bau des Flughafens Schönefeld, dass Berlin trotz aller Finanznöte für solch herausragende Projekte stets das erforderliche Geld aufbringen werde. In anderer Weise muss das auch für die Sozialkarte gelten. Bei aller unstrittigen Bedeutung von großen, die Wirtschaftskraft stärkenden Projekten darf die Hauptstadt die ärmsten Mitbürger nicht ausgrenzen. Wir beziehen uns hierauch ausdrücklich auf die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Hinzu kommt, dass es noch gar nicht erwiesen ist, dass das Land Berlin wirklich Geld einspart, wenn statt der Sozialkarte nun jede Fahrt einzeln begründet und abgerechnet werden muss. Deshalb unsere herzliche Bitte: Machen Sie es zu einer Ihrer ersten Aufgaben im neuen Jahr, die letzten Vorschläge der Verkehrsbetriebe noch einmal wohlwollend zu prüfen.

IGEB

aus SIGNAL 1/2004 (Februar/März 2004), Seite 16