Thüringen
Das Aussprechen des vollständigen Namens bereitet anfangs große Schwierigkeiten, da geht die Abkürzung „OBS” schon leichter über die Zunge. „OBS” - noch nie gehört? Die Lösung: „OBS” steht für „Oberweißbacher Berg- und Schwarzatalbahn”. Seit Dezember 2002 fährt sie wieder und hofft auf eine gute Zukunft. 2003 hat die kleine Eisenbahn mit dem Namensungetüm den Deutschen Schienenverkehrs-Preis des Bahnkunden-Verbandes erhalten.
1. Mär 2004
Bis 1990 waren die Hauptverdienstquellen der Einwohner des Thüringer Waldes neben dem Tourismus Holzwirtschaft, Herstellung von Spielwaren und Glasgeräten, Porzellanindustrie und ein wenig Bergbau und Eisenverarbeitung. Nach der Wende brachen in dieser sowieso schon immer strukturschwachen Region die bisherigen Beschäftigungsmöglichkeiten fast vollständig weg. Holz kam aus Übersee, Spielzeug, Glas und Porzellan wurden bereits woanders konkurrenzlos billiger hergestellt. So blieb letztlich nur der Tourismus als ernstzunehmende Einnahmemöglichkeit für Menschen und Kommunen übrig. Ausgedehnte Wanderwege, eine sagenhaft schöne Natur und gepflegte Wintersportgebiete bilden, zu DDR-Zeiten wie jetzt, ein Pfund, mit dem es zu wuchern galt und gilt!
In dieser Gegend liegt nun der Preisträger des Deutschen Schienenverkehrs-Preises 2003 in der Rubrik Kultur. 2002, pünktlich zum 80-jährigen Bestehen der Standseilbahn, wurde sie frisch saniert und als Mittelstandsoffensive der Deutschen Bahn AG wieder in Betrieb genommen.
Das relativ unzugängliche Gelände ließ keine Verkehrserschließung mit großzügigen Schnellstraßen und Autobahnen zu. Der Thüringer Wald und das Thüringer Schiefergebirge (geologisch korrekt handelt es sich nämlich um zwei Gebirge, die ineinander übergehen) mit seiner Länge von etwa 130 Kilometern weist große Höhenunterschiede auf geringer Entfernung auf. Da hatten Planer immer Schwierigkeiten, mit ständig knappem Geld günstige Verkehrsverbindungen herzustellen. Große Umwege und viele Kunstbauten waren erforderlich; für den An- und Abtransport von Rohstoffen und Fertigwaren war das ganze eine ziemlich teure Angelegenheit und somit eigentlich uninteressant. Und im Winter, wenn tiefer Schnee lag, war ein Erreichen der kleinen Dörfer mitunter eine Angelegenheit von mehreren Stunden.
1872 bereits gab es Planungen für eine Eisenbahn, damit die Holz-, Glas- und Porzellanindustrie in der Region gehalten werden konnte. Die Produktion war das eine, irgendwie mußten die Waren auch abtransportiert werden. Da kam als zuverlässiges und leistungsfähiges Transportmittel nur die Eisenbahn infrage. Umfangreiche Studien, wie denn die Streckenführung durch das enge und verschlungene Schwarzatal aussehen könnte und an das übrige Eisenbahnnetz Anschluß finden könne, wurden in Auftrag gegeben, durchgerechnet, geändert, verworfen und abgelehnt. Fast alle Projekte sahen die Untertunnelung des Thüringer Waldes vor; das war (damals!) technisch und finanziell nicht leistbar. Auch mit anderen unüberwindbaren Schwierigkeiten hatten die Planer damals zu tun: das Projekt der privaten Aktiengesellschaft „Comittee Schwarza-Eisenbahn" scheiterte, weil es eine Streckenführung durch das Jagdgebiet des Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt vorsah - undenkbar.
Seit 1816 war die Region Oberweißbach Provinz des Staates Preußen und, sicherlich aus militärischen Gründen, hatte dieser als aufstrebende Macht ein Interesse an dem Bau der Eisenbahn. Im April 1895 kam die Anordnung zum Bau per Kabinettsorder. Die Jagdansprüche des Herrn Grafen hatten sich den staatlichen Zwängen unterzuordnen. Zwar konnte er durch taktieren den Baubeginn noch um weitere fünf Jahren hinausschieben, zum Verhindern war es zu spät. Am 18. Dezember 1900 fuhr der erste Zug von Rottenbach nach Katzhütte, dem Endbahnhof der Schwarzatalbahn. Der Weiterbau von Katzhütte nach Großbreitenbach blieb jedoch immer nur ein Projekt.
Im Haltepunkt Obstfelderschmiede beginnt die Strecke der Standseilbahn. Der schmucke Bahnhofsbau präsentiert sich in Holzbauweise. In der Fahrkartenagentur gibt es Andenken und Souvenirs, natürlich Fahrkarten und Wandertipps. Am Hang steht bereits der Bergbahn- Wagen abfahrbereit. Je nachdem, welchen der beiden Wagen man vor sich hat, ist man entweder von der Wagenbreite oder von der gesamten Konstruktion fasziniert. Der Personenwagen hat eine Breite von vier und eine Länge von knapp zehn Metern und wirkt klobig. Durch seine Rundumverglasung und die Farbgebung erholt sich der Betrachter schnell von dem fremden Anblick. Fährt man mit dem Aufsetzwagen, muß man sich dieses Gefährt wörtlich vorstellen: ein Huckepack genommener Eisenbahnwagen. Der Wagen fährt auf der Bühne mit, ist zwar gesichert, könnte aber an beiden Enden auf dem Normalspurnetz weiterfahren. Hierin liegt nun die Besonderheit der OBS. Gedacht war die ganze Anlage ehemals nämlich nicht für den Touristenverkehr, sondern für den Warentransport. Oberweißbach-Deesbach und Cursdorf erhielten so Anschluß an das Staatsbahn-Netz und der Transport der dort hergestellten Güter war kein Problem mehr. Sowohl Tal- als auch Bergstation verfügen über den besagten Eisenbahn-Anschluß und komplette Güterwagen waren in Obstfelderschmiede, der Talstation, ohne große Probleme auf den Aufsetzwagen huckepack genommen und in der Bergstation schnell auf „eigene Beine" gestellt. Diese damals wie heute geniale Kombination macht die OBS so einzigartig und interessant - auf keiner anderen Bergbahn können normalspurige Eisenbahnwagen verladen werden.
Am 8. Februar 1922 ist es soweit: der offizielle Verkehr wird aufgenommen; nicht jedoch für den Personentransport, sondern erst für Güterwagen, für den Frachtgutverkehr wie dies damals hieß. Nach den verfügbaren Unterlagen folgte der Personentransport zum 1. März 1923. Vermutlich waren Probleme bei der Anlieferung des Wagens der Hauptgrund - schließlich war gerade Weltwirtschaftskrise mit den bekannten Auswirkungen auf Leben und Wirtschaft. Im ersten Fahrplan sind auch die Preise genannt: eine einfache Fahrt mit der Bahn von Obstfelderschmiede nach Cursdorf kostete 350 Mark für fast 3,9 Kilometer und einer Fahrzeit von dunnemals 32 Minuten.
In der Bergstation Lichtenhain an der Bergbahn heißt es für die Fahrgäste umsteigen in den elektrischen Triebwagen der Flachstrecke, die Mitte Mai 1923 eröffnet wurde. Hier endet der Steilstreckenteil mit immerhin bis zu 25 Prozent Steigung. Wie auch in der Talstation stellt hier eine Drehscheibe die mögliche Verbindung zum Normalspurnetz her. Die Triebwagen der Flachstrecke der Bergbahn erinnern sehr an die auf der auf halber Strecke zwischen Berlin und Frankfurt/Oder liegenden Zweigbahn Müncheberg - Buckow eingesetzten Fahrzeuge. Hier stellen sie die etwa 2,5 Kilometer lange Verbindung zwischen dem Bergbahn-Endpunkt Lichtenhain und dem eigentlichen Endpunkt der Bahn, dem Örtchen Cursdorf, her. Auf der Zwischenstation der Flachstrecke Oberweißbach-Deesbach wurden vor einigen Jahren die Anlagen für den Güterverkehr entfernt; die Kopframpe zum Be- und Entladen der Güterwagen ist noch mit viel Phantasie zu erahnen.
Die gesamte Bergbahn war, wie schon erwähnt, eigentlich nur für den Güterverkehr geplant. Das ist auch unschwer am Fahrplan abzulesen: im Eröffnungsjahr 1923 gab es den ganzen Tag über vier Fahrten im Personenverkehr, auf der in Lichtenhain anschließenden Flachstrecke nach Cursdorf eine und zurück zwei Fahrten. Wer zwischendurch ins Tal oder auf den Berg wollte, der mußte warten oder laufen. Der Güterverkehr wurde 1966 eingestellt, 1976 und 1996 verschwinden die Nebengleise im Bahnhof Oberweißbach-Deesbach. Der um 1967 versuchsweise auf der Flachstrecke eingesetzte Schienenbus der Deutschen Reichsbahn soll wohl Erfahrungen bezüglich der „Verdieselung" bringen, es blieb aber bis heute beim elektrischen Inselbetrieb.
Die Schwarzatalbahn verzeichnet 1972/73 ihren verkehrlichen Höhepunkt. Bis zu fünf Personen- und zwölf Güterzüge fahren täglich. Nach der „Wende" ist ein dramatischer Rückgang in beiden Bereichen zu verzeichnen. Die Industrie bricht weg oder befördert nun per Lkw, Besucher interessieren sich nicht mehr im notwendigen Maße für einen Urlaub im Thüringer Wald.
Was wird nun aus beiden Bahnstrecken - aus der Schwarzatal- und der Bergbahn? Der Sanierungsbedarf ist immens, das Risiko der Fehlinvestition wird offenbar von den Verantwortlichen bei der Deutschen Reichsbahn, später der Deutschen Bahn AG, als sehr hoch eingeschätzt. Andererseits besteht auch die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Verkehrs. Das Ende: die Schwarzatalbahn ist von Mai 2000 bis Dezember 2002 gesperrt. Glück im Unglück hat die Bergbahn: da immer mehr Touristen mit dem eigenen Pkw bzw. dem Reisebus kommen, bedeutet der Wegfall der Bahnfahrgäste aus Richtung Rottenbach einen Ausfall, der aufzufangen ist. Anfangs bestand seitens der Deutschen Bahn überhaupt keine Neigung zur Investition. Es wurde hart mit dem Freistaat Thüringen verhandelt, beide Seiten ließen in der Öffentlichkeit „die Muskeln" spielen. Schließlich, am 25. Juni 2001, einigten sich beide Seiten mit der Unterzeichnung eines neuen Verkehrsvertrages. Vielleicht haben da auch die Ergebnisse zur Vermarktung der Eisenbahn und Region im Zusammenspiel endlich ihre Früchte getragen? Die DE Consult hatte sich in einer Studie bereits 1998 mit diesem Thema befaßt. Minister Schuster für den Freistaat und der DB AG-Vorsitzende Mehdorn vereinbaren, die knapp 25 Kilometer lange Strecke von Rottenbach nach Katzhütte (die Schwarzatalbahn) und die Oberweißbacher Bergbahn (Steil- und anschließende Flachstrecke) grundlegend zu sanieren. Thüringen trägt von den 7,4 Millionen Euro Gesamtinvestitionen 6,6 Millionen Euro. Ab 1. Oktober 2001 ist dann auch für etwa ein Jahr der Steilstrecken-Abschnitt der Bergbahn gesperrt und wird saniert. Beide Bahnabschnitte werden aus dem „Großkonzern" ausgegliedert und das erste Projekt der DB AG-Mittelstandsoffensive in Thüringen - deshalb auch der „Bandwurmname".
Hätten die heutigen Mitarbeiter der OBS vor gut zwei Jahren nicht den „Sprung ins kalte Wasser" gewagt, wäre Thüringen um eine Erfolgsgeschichte ärmer und die ganze Region wäre für Ausflügler und Touristen, die nicht mit dem Auto anreisen, uninteressant. So konnte nicht nur eine weltweit einmalige Touristenattraktion weiterbestehen, die Anbindung einer ganzen Urlaubs- und Ferienregion gesichert werden und die Natur des Thüringer Waldes dankt es natürlich auch. Denn der Tourismus ist mithin die einzige Einnahmequelle der Bevölkerung.
Heute fahren auf der Schwarzatal bahn moderne Fahrzeuge der Firma Aistom (Baureihe 641), die behindertengerecht sind. Apropos behindertengerecht: auch Rollstuhlfahrer brauchen sich weder die Fahrt auf der Schwarzatalbahn als auch die 18 minütige Bergbahn-Fahrt nicht entgehen lassen. Die Fahrzeuge lassen die Mitnahme zu und das freundliche und zuvorkommende Personal beider Bahnen ist beim Ein- und Ausstieg gerne behilflich.
Die Fahrt von Rottenbach zur Bergbahn nach Obstfelderschmiede oder weiter nach Katzhütte ist, vorausgesetzt das Wetter spielt mit, bereits eine Einstimmung auf den traumhaften Ausblick vom Berg ins Tal und in den Thüringer Wald. Zwar werden auf der 25 Kilometer langen Schwarzatalbahn keine Geschwindigkeitsrekorde gebrochen - die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt 50 km/h - aber dafür werden Besucher mit reizvollen Landschaften belohnt. Und selbst Ingenieure kommen auf ihre Kosten: 21 Brücken und Durchlässe gibt es auf dem 10,5 Kilometer langen Teilstück zwischen Obstfelderschmiede und dem Endbahnhof Katzhütte.
Mit Ausnahme der Tal- und Bergstation der Bergbahn machen viele der Unterwegshalte einen unschönen Eindruck. An ihnen hat der „Zahn der Zeit" genagt. Aber auch hier verspricht Möller Hilfe. Mellenbach-Deesbach soll 2004 auf Vordermann gebracht werden, in allernächster Zeit soll dann Cursdorf folgen. Die anderen Stationen sollen, so es der OBS möglich ist, ebenfalls in ansehnlicheren Zustand versetzt werden. Die Fahrzeuge wurden ja schon im Rahmen der Streckensanierung erneuert.
Wie dieser Zeitung der Geschäftsführer der OBS, Peter Möller, bestätigte, haben sogar Thüringer „ihre" Bergbahn wiederentdeckt und nutzen sie zunehmend für Ausflüge. Mit dazu bei trägt sicherlich das Bergbahnticket, das sogar bis aus dem Erfurter Stadtgebiet eine preiswerte Anreise erlaubt. Für 14,50 Euro können ein Erwachsener und Kinder/Enkel nach Katzhütte und/oder Cursdorf fahren. Garantiert wird dabei der Anschluß in Rottenbach an die Schwarzatalbahn. Umfangreiches Informationsmaterial mit vielen Wander- und Besuchsvorschlägen (für die zahlreichen Museen) liegt sowohl in den Zügen als auch in der Fahrkartenagentur Obstfelderschmiede aus.
Das erste „volle" Geschäftsjahr ist zu Ende und Geschäftsführer Möller ist zufrieden. Für die nächste Saison plant die OBS wieder zahlreiche Veranstaltungen in deren Mittelpunkt natürlich die Bergbahn steht. So sollen die Fahrgastzahlen natürlich weiter steigen und das Bestehen der OBS, der Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Bedeutung in dieser Ferien- und Ausflugsregion gesichert werden.
DBV Bundesverband
aus SIGNAL 1/2004 (Februar/März 2004), Seite 34-36