Berlin

BVG-Angebotsoptimierung - ein erster Versuch

Die Wiederaufnahme des S-Bahn-Betriebes auf der Strecke zwischen Zoologischer Garten und Charlottenburg nimmt die BVG zum Anlass für ein Vorziehen des Kleinen Fahrplanwechsels auf den 19. April 2004.


IGEB Stadtverkehr

1. Mai 2004

Auf der Grundlage der im vorstehenden Artikel dargestellten Untersuchungen werden zum 19. April 2004 bei der BVG einige Veränderungen im Buslinien-Verkehr vorgenommen, die offensichtlich Versuchscharakter für den zum Dezember 2004 vorgesehenen Umbau des Gesamtverkehrsangebotes haben, der von der BVG euphemistisch als „Angebotsoptimierung" bezeichnet wird. Beispielgebend dafür ist offenbar das in Hamburg vor zwei Jahren eingeführte Konzept der „Metrobuslinien", welche auf ausgewählten stark nachgefragten Hauptachsen ein dichtes Fahrtenangebot während des gesamten Tages anbieten - bei gleichzeitigem Rückzug aus der Flächenerschließung und zu Lasten von lokalen Verkehrsbeziehungen.

Die von der BVG beabsichtigten Linienmaßnahmen im Bereich Hindenburgdamm (185, 285,283) sowie in Neu-Tempelhof (140,184) gehen in diese Richtung und sind als Versuch zu verstehen, die Reaktion der betroffenen Fahrgäste zu testen - ohne den Fahrgästen die Entscheidung transparent und nachvollziehbar darzulegen oder sie etwa sogar am Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. Die Planungen erfolgten im „stillen Kämmerlein" von Beraterbüros und BVG-Verwaltungsetagen, die Öffentlichkeit wurde wieder mal vor vollendete Tatsachen gestellt. Und es zeigte sich wieder, dass man einzelne Bausteine im Nachhinein korrigieren musste.

Obwohl der Bus 283 am Steglitzer Klinikum im 10-Minuten-Takt stets gut ausgelastet war, fährt die neue Linie 280 nur noch halb so oft. Foto: Klaus-Jürgen Ulbrich

Vorgesehen ist die Verkürzung der Omnibus-Linie 110 bis nach Zehlendorf-Süd, Andreezeile. Die Goerzallee wird dann durch die bisher nur Einzelfahrten im Berufsverkehr anbietende Linie 285 ganztägig bedient werden. Sie wird zu einer tagsüber im 10-Minuten-Takt verkehrenden Linie aufgewertet und eine schnelle Anbindung zum S- und U-Bahnhof Rathaus Steglitz herstellen. Sicherlich wird die veränderte Anbindung der südlichen Goerzallee für einzelne Fahrgäste Nachteile bringen, aber insgesamt ist diese Maßnahme - auch durch das erheblich verdichtete Taktangebot - als sehr sinnvolle und positive Veränderung zu werten. Im Hindenburgdamm soll durch die Überlagerung mit der bisher dort bereits verkehrenden Linie 185 ganztägig ein 5-Minuten-Takt angeboten werden; abends und am Wochenende immerhin ein durchgehender 10-Minuten-Takt. Der Abschnitt der Linie 185 zwischen Rathaus Steglitz und Wittenbergplatz wird aber weiterhin zum Teil nur im 20-Minuten-Takt bedient. Der guten Bedienung des Hindenburgdamms mit dem (allerdings 400 Meter vom Klinikum entfernt liegenden) Haupteingang des Klinikum Steglitz sollte die ersatzlose Einstellung der Linie 283 im Abschnitt Steglitzer Kreisel -Augustaplatz gegenüberstehen. Unter den Tisch fiel dabei, dass neben dem Wegfall des tatsächlich äußerst schwach ausgelasteten Astes zum Augustaplatz auch die von der Linie 283 bediente Haltestelle Klingsorplatz und damit die eigentlich bedeutendere, weil wesentlich näher am Klinikum liegende Haltestelle wegfallen sollte. Dieser Nebeneingang zum Klinikum liegt wesentlich zentraler und wird von vielen Besuchern und Mitarbeitern genutzt. Die bisherige Linie 283 bediente deshalb auch ganztägig im 10-Minuten-Takt den Nebeneingang und war nicht nur während der Hauptverkehrszeit ab Klingsorplatz gut ausgelastet.

Fahrgastprotest bewirkt Umdenken

Der vorgesehene ersatzlose Wegfall der Bedienung des Klinikum-„Nebeneingangs" führte dann auch zu einer Welle von Protesten - schließlich sind allein 5.000 Mitarbeiter und Studenten am Klinikum Steglitz betroffen. Der Personalrat des Klinikums sammelte binnen weniger Tage tausende von Unterschriften. Diese Proteste haben nun zu einer Überarbeitung des ursprünglich vorgesehenen Konzeptes geführt, so dass die Klingsorstraße und der Nebeneingang des Klinikums nun doch wieder bedient werden sollen - und zwar durch die Linie 280. Diese Linie macht nun aus Lichterfelde kommend von der Birkbuschstraße den Schlenker über die Klingsorstraße und den Hindenburgdamm zum Zielpunkt S- und U-Bahnhof Rathaus Steglitz. Die positive Reaktion der BVG auf die berechtigten Proteste betroffener Fahrgäste durchaus anerkennend kann einen diese Lösung jedoch nicht recht zufrieden stellen. Die Linie 280 verkehrt nur alle 20 Minuten, gegenüber der bislang verkehrenden Linie 283 also schlichtweg eine Halbierung des Fahrtenangebotes. Auch die werbewirksam publizierte Taktverdichtung der Linie 185/285 ist nicht die ganze Wahrheit, denn auch vorher fuhr die Linie 185 in diesem Abschnitt nachmittags bereits alle fünf Minuten. In genau diesen Zeiträumen gibt es daher real eine Fahrtenausdünnung der Linien 185/285/280 gegenüber dem bisherigen Zustand mit den Linien 185/185E/283. Auch die vollständige Abhängung des Augustaplatzes mit der Meldestelle bleibt weiterhin Fakt.

Die IGEB hatte eine andere Variante zur Bedienung des Klinikum-Nebeneingangs vorgeschlagen, nämlich die neue Linie 285 vom Hindenburgdamm kommend über die Klingsor- und Birkbuschstraße zum Steglitzer Kreisel verkehren zu lassen. Sowohl der Haupteingang des Klinikums am Hindenburgdamm als auch der Nebeneingang in der Klingsorstraße wären durch diesen Schlenker der Linie 285 weiterhin im 10-Minuten-Takt bedient worden, der Hauptteil der Wegführung wäre ebenfalls gemeinsam mit der Linie 185 gebündelt (und damit wäre das angestrebte Grundkonzept der Linienbündelung auf einer Achse zumindest weitgehend erreicht) und die um ca. drei Minuten verlängerte Fahrzeit wäre für die Fahrgäste des 285ers akzeptabel. Fahrzeugmehrumläufe wären gegenüber der durchgeführten Variante nicht erforderlich. Lediglich die Haltestelle Manteuffelstraße am Hindenburgdamm würde nur von der Linie 185 allein im 10-Minuten-Takt, anstelle des jetzigen 5-Minuten-Taktes, bedient. Eine Einschränkung die hinnehmbar scheint. Die weitaus wichtigere Haltestelle am Händelplatz (Arbeitsamt) ist in jedem Fall immer zusätzlich durch die Linie 283 neu (277 alt) erreichbar, behält gemeinsam mit der Linie 185 also einen 5-Minuten-Takt.

Statt Direktverbindung nun zweimal Umsteigen

Viele Dirketverbindungen entfallen durch das Zurückziehen der Linie 140 aus Neu Tempelhof. Foto: Matthias Horth

Im Zusammenhang mit dieser Maßnahme steht die Rücknahme der Linie 110 zur Zehlendorfer Andreezeile (Ersatz 285) und der Linie 283 neu (statt bisher 277) zur Appenzeller Straße. Durch beide Änderungen entsteht eine gravierende Verschlechterung des ÖV-Angebotes für Fahrgäste aus dem Bereich Goerzal-Iee/Carstenn-/Appenzeller Straße in Richtung Lichterfelde-Süd/Thermometersiedlung und S-Bahnhof Osdorfer Straße, die nunmehr statt bisher ohne Umsteigezwang ihr Fahrtziel nur noch mit zum Teil zweimaligem Umsteigen erreichen. Diese reine Sparmaßnahme, die auch durch keine Taktverdichtung abgemildert wird, ist eine für die Fahrgäste nicht akzeptable Einschränkung. Mindestens die 283 neu sollte daher über den vorgesehenen Endpunkt Appenzeller Straße hinaus bis zum S-Bahnhof Osdorfer Straße fahren.

Weiterer Nebeneffekt des neuen Konzeptes ist die Reduzierung der Linie 180 auf eine reine Schülerverkehrslinie. Die jetzt in den Hauptverkehrszeiten auf einen 5-Minuten-Takt und auch in der Spätverkehrszeit auf einen 10-Minuten-Takt verdichtete Linie 186 stellt zwar die neue Hauptachse mit recht guter Bedienung im Bereich Ostpreußendamm her. Fahrgäste aus dem Ostpreußendamm in Richtung Albrechtstraße/Steglitzer Damm müssen nun aber sogar in der nachmittäglichen Hauptverkehrszeit eine erhebliche Umwegfahrt über Rathaus Steglitz mit zusätzlichem Umsteigezwang hinnehmen. Da die IGEB dies als unattraktiv erachtet und die Einrichtung von reinen Schülerverkehrslinien auch im Hinblick auf das Ziel eines neu strukturierten, für die Fahrgäste klar nachvollziehbaren Angebotes wenig sinnvoll ist, hatte der Fahrgastverband angeregt, das Angebot der Linie 180 mindestens im bisherigen Umfang beizubehalten. Die entsprechenden Verkehrsleistungen könnten im Interesse der Kostenneutralität durch eine etwas geringere Verdichtung des Taktes während der Hauptverkehrszeit der Linie 186 (zum Beispiel 6/6/7 Minuten) erbracht werden. Leider wurde auch dieser Vorschlag von der BVG und von der Senatsverkehrsverwaltung ignoriert.

Lokale Busverbindung zwischen Tempelhof-Nord und Kreuzberg gekappt

Auch die Einstellung der Linie 140 auf ihrem Tempelhofer Abschnitt und die damit verbundene Verlegung der Endstelle zum Platz der Luftbrücke gibt Anlass, das Konzept der Konzentration von Linien auf lediglich eine Hauptstrecke kritisch zu hinterfragen. Es geht eine wichtige lokale Verkehrsverbindung zwischen westlichem Kreuzberg und Neu-Tempelhof verloren. Viele Fahrgäste müssen längere Fußwege wegen aufgelassener Haltestellen und auf kurzen Wegestrecken zwischen den benachbarten Ortsteilen zum Teil mehrfache Umsteigezwänge innerhalb des Buslinien-Netzes hinnehmen. Der Verweis auf die nunmehr auch in der Normalverkehrszeit im 10-Minuten-Takt verkehrende Linie 184 ist nur bedingt geeignet, da sie keine akzeptable Verbindung nach Kreuzberg herstellt und zumindest in der Hauptverkehrszeit durch Verspätungsanfälligkeit für Fahrgäste unberechenbar ist. So müssen zum Beispiel Fahrgäste aus Kreuzberg mit dem Fahrtziel St. Joseph-Krankenhaus jetzt zum Teil mehrfach umsteigen (zum Beispiel U 7/U 6/184).

Auch im 10-Minuten-Takt kann die Linie 184 nicht den Wegfall der Linie 140 in Neu-Tempelhof ersetzen. Foto: Matthias Horth

Wie beim Klinikum sammelte eine lokale Bürgerinitiative („Neue Wege für Neu-Tempelhof") viele Unterschriften - doch die BVG ließ sich hiervon ihrer Entscheidung nicht abbringen. Besonders ärgerlich ist dies vor dem Hintergrund, dass diese Maßnahme nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet ist und schon in absehbarer Zeit neue Linienänderungen erforderlich werden: Denn im Zusammenhang mit der bevorstehenden Schließung des Flughafens Tempelhof und der Inbetriebnahme des künftigen Fernbahnhofs Südkreuz mit der neuen Straßendurchbindung vom Werner-Voß-Damm zum Sachsendamm muss das Busnetz im Bereich westliches Kreuzberg und Tempelhof-Nord (119,140,184,341) im Gesamtzusammenhang betrachtet und neu strukturiert werden. Spätestens nach Schließung des Flughafens wird der Platz der Luftbrücke als Zielpunkt für Fahrgäste und daher als Endpunkt für Buslinien nur noch eine völlig untergeordnete Rolle einnehmen. Bedeutsam ist zukünftig vielmehr eine umsteigefreie Erreichbarkeit des Bahnhofs Südkreuz aus möglichst vielen Bereichen der Stadtteile Neu-Tempelhof und westliches Kreuzberg. Bis zum Vorliegen eines Gesamtkonzeptes für diesen Bereich stellt sich die Verkürzung der Linie 140 als nicht integrierte wenig durchdachte Einzelmaßnahme und die neue Endstelle am Platz der Luftbrücke als verkehrlich sinnlose Endstelle dar.

Fazit

Der Grundgedanke der BVG-Strategie, zu Lasten einer optimalen Flächenerschließung ehereine Linienbündelung auf Hauptachsen vorzusehen, ist angesichts der finanziellen Lage zwar nachvollziehbar und findet im Grundsatz auch unsere Zustimmung. Gerade aber die beschriebenen Probleme am Klinikum Steglitz und in Neu-Tempelhof zeigen deutlich, dass man mit Augenmaß an die Umsetzung neuer Konzepte rangehen muss. Es ist eben nicht möglich, nur einen neuen Markennamen einzuführen (vielleicht Metrobus?), Nebenlinien ersatzlos und ohne vertretbare Alternativen zu streichen oder nur noch im Schülerverkehr zu bedienen und dichtere Taktfolgen auf den verbleibenden Hauptstrecken anzubieten. Die von der Politik gerne in Schlagworten geforderten einfachen und kostensparenden Lösungen (zum Beispiel Abbau von „Parallelverkehr" oder „Bus ausschließlich als Zubringer zu den Schnellbahn-Linien") sind für die polyzentrische Stadtstruktur und dem daraus resultierenden komplexen System der Verkehrsbeziehungen nicht realisierbar, ohne bestimmte Fahrgastgruppen (ältere und vor allem behinderte Menschen, Fahrgäste mit Kindern, soziale Randgruppen) nachhaltig in ihrer täglichen Mobilität einzuschränken. Und damit ist klar, dass der erste Versuch der BVG-Angebotsoptimierung - trotz einiger positiver Aspekte - insgesamt wohl kaum als solche im Sinne einer Verbesserung des Verkehrsangebotes für die Fahrgäste zu bewerten ist. Die Diskussion um die für Dezember 2004 für das Gesamtnetz vorgesehene „Angebotsoptimierung" verspricht spannend zu werden.

IGEB Stadtverkehr

aus SIGNAL 2/2004 (April/Mai 2004), Seite 18-20