Berlin
Für Menschen mit geringem Einkommen wird Mobilität in Berlin mehr und mehr zum Luxusgut. Das darf nicht sein. Gewerkschaftliche Arbeitslosengruppen und das Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ) haben deshalb eine Kampagne zum Erhalt der Sozialtarife bei Bahnen und Bussen in der Stadt gestartet.
1. Jul 2004
Ende letzten Jahres hatte der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB) Fahrpreiserhöhungen für Berlin beschlossen. Teuer sind die neuen Tarife vor allem für Menschen, die besonders wenig Geld haben. Das Sozialticket (bisher 20,40 Euro) ist zum Jahresanfang weggefallen. Der Grund: Der Senat hat die Zuschüsse des Landes in Höhe von 17,4 Millionen Euro komplett eingestellt. Anfang April schafften BVG und S-Bahn kurzerhand auch noch das Arbeitslosen-Ticket (bisher 23,50 Euro) und die Seniorenkarte (bisher 38 Euro) für alte Menschen mit kleiner Rente ab. Die letzten beiden Tickets wurden nie mit Staatsgeldern bezuschusst.
Die neue Umweltkarte kostet mindestens 64 Euro (Tarifbereich Berlin AB). Für die 80 000 Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfe, die bislang das Sozial-Ticket nutzten, haben sich die Fahrpreise damit um unglaubliche 213,7 Prozent erhöht!
Die Verkehrsbetriebe verweisen Einkommensschwache auf die neue „10-Uhr-Monatskarte" ab 49,50 Euro (Tarifbereich Berlin AB). Abgesehen davon, dass sie immer noch erheblich teurer ist als die früheren Tickets, sind mit dieser Monatskarte von Montag bis Freitag Fahrten vor 10 Uhr nicht gestattet.
Wer Sozialhilfe bezieht und kleine Kinder zur Schule oder in die Kita bringen muss, wird mit diesem „Angebot" von der Benutzung der Busse und Bahnen eher ausgesperrt. Gleiches gilt für Arbeitslose. Wer beispielsweise vor 10 Uhr einen Termin beim Arbeitsamt hat, muss einen Einzelfahrschein lösen. Der gilt inzwischen aber nur noch für eine Richtung und nicht wie bisher für Hin- und Rückfahrt.
Die neuen Hartz-Gesetze verlangen von Arbeitslosen mehr Eigenbemühungen bei der Suche nach Jobs. Hohe Fahrpreise schränken die Mobilität aber ein.
Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe werden den rund 170 000 Menschen, die in Berlin Arbeitslosenhilfe beziehen, ab Beginn des nächsten Jahres die Einkommen drastisch gekürzt. Die Regelleistung für das neue „Arbeitslosengeld II" wird in Berlin bei 345 Euro liegen. Da machen 35 bis 40 Euro Mehrkosten im Monat für öffentliche Verkehrsmittel viel aus.
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner hat nach den Protesten der letzten Monate angekündigt, dass es spätestens ab Jahresbeginn 2005 wieder ein Sozialticket geben soll. In einem öffentlichen Streitgespräch Anfang Juni haben BVG-Chef Andreas Graf von Arnim und die für Soziales zuständige Berliner Staatssekretärin Dr. Petra Leuschner übereinstimmend versprochen, den Prozess der Wiedereinführung endlich zu beschleunigen. Das neue Ticket werde noch in diesem Jahr kommen. In den Genuss sollen alle Mitglieder von Haushalten kommen, die von der Zahlung von Rundfunkgebühren befreit sind. Unklar bleibt weiterhin der Preis. Die Sozialsenatorin hatte zuletzt 39,50 Euro ins Gespräch gebracht. Das kann aber das letzte Wort nicht sein. Die neuen „Sozialtarife" würden die Fahrpreise für die Ärmsten der Armen immer noch fast verdoppeln.
Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kirchen und der Berliner Fahrgastverband IGEB fordern den Senat auf, Sozialtarife im Nahverkehr durch öffentliche Gelder zu unterstützen. Es könne nicht sein, dass das Land Berlin mit seiner Streichung von Zuschüssen für die Verkehrsbetriebe den 500.000 Berlinern, die an der Armutsgrenze leben, faktisch das Recht auf Mobilität nehme, so DGB-Chef Dieter Scholz und Diakonie-Direktorin Susanne Kahl-Passoth. Mobilität sei ein Grundrecht für alle Menschen und müsse staatlich garantiert werden. Das neue Ticket dürfe nicht mehr als 10 Euro kosten.
Inzwischen unterstützen mehr als 25 000 Berlinerinnen und Berliner die Forderung nach bezahlbaren Monatstickets für Arbeitslose und Menschen mit geringem Einkommen mit ihrer Unterschrift. Die Unterschriftensammlung wird fortgesetzt. Sammeln Sie mit! Unterschriftenliste:
www.berliner-arbeitslosenzentrum.de/download/bvg-ticket.pdf.
Das Berliner Arbeitslosenzentrums in den Evangelischen Kirchenkreisen Berlin Stadtmitte und Wedding e. V. - kurz: BALZ - ist die älteste Beratungsstelle für Arbeitslose in Berlin. Die kirchliche Einrichtung genießt wegen ihrer engagierten und kompetenten Arbeit einen hervorragenden Ruf. Das BALZ leistet praktische Hilfe zur Selbsthilfe - seit fast 25 Jahren. Im BALZ finden Arbeitslose kostenlos Rat und Unterstützung. Qualifizierte Mitarbeiter beraten zu allen sozialrechtlichen Fragen der Arbeitslosigkeit und helfen bei der Arbeitsuche.
Kontakt für Ratsuchende:
Berliner Arbeitslosenzentrum, Begegnungs- und
Beratungszentrum, Nazarethkirchstraße
50,13357 Berlin, Tel. 45 60 6015
Informationen zur Kampagne „Mobilität für alle - Berlin braucht Sozialtarife in Bahnen und Bussen": BALZ-Vorstand, Frank Steger, Tel. 8 01 40 61 oder im Internet: www.berliner-arbeitslosenzentrum.de
Spendenkonto: BALZe. V., Konto 3 133 903, Bankleitzahl 100205 00, Bank für Sozialwirtschaft.
Frank Steger
Berliner Arbeitslosenzentrum
aus SIGNAL 3/2004 (Juni/Juli 2004), Seite 10