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Combino wurde weltweit zum Desaster

Viele Betriebe mussten ihre neue Siemens-Straßenbahnen abstellen. Das Erfolgsfahrzeug von Siemens, der Combino, eine 100-Prozent -Niederflurstraßenbahn, wurde jetzt für den Hersteller zum Desaster.


1. Jul 2004

Mit viel Vorschusslorbeeren wurde von der Firma Siemens Verkehrstechnik im Jahre 1996 eine neue Tramgeneration vorgestellt: Der Combino. Als Vorzüge galten, 100prozentige Niederflurigkeit, geringere Anschaffungskosten im Gegensatz zu bisher angebotenen Straßenbahn-Wagen und schnelle Auslieferung nach Bestelleingang. Ermöglichen sollte dies eine Systembauweise des Wagens mit strikter Modularität. Trotz eingesparter Entwicklungskosten sollte ein nach Kundenwünschen gebautes Fahrzeug geliefert werden. Als Clou galt der geschraubte Aluminiumaufbau nach einem Patent der Schweizer Firma Alusuisse - in hochflurigen Nahverkehrsfahrzeugen durchaus bewährt.

Potsdam hatte sich als erste Stadt weltweit den Combino bestellt, 1998 in Dienst genommen, und löste damit eine weltweiten Boom nach Combino-Straßenbahnen aus. Diese fahren heute unter anderem in Augsburg, Düsseldorf, Erfurt, Freiburg, Nordhausen, Amsterdam, Basel, Bern, Hiroschima und Melbourne.

Bereits im Herbst 1998 ahnte der belgische Verkehrsingenieur Harry Hondius, dass trotz einer relativ großen Testphase des Prototyps von 1996 mit Rückschlägen zu rechnen sei. Erste Warnzeichen gab es. Wobei das Combino-typische Knacken der Karosserie noch das geringste Übel war.

Wasser drang ein!

Dass beim Combino ein Problem heranreifen konnte, zeigte Amsterdam: Wasser drang von außen in den Innenraum! Aber auch Freiburg, Basel und Bern berichteten über diverse Probleme. Nach ersten zeitweisen Außerbetriebnahmen von Siemens-Straßenbahnen in verschiedenen Städten Ende 2003 kam es im März ganz dicke - als ein Freiburger Wagen zur Begutachtung nach Prag geschickt wurde. Siemens empfahl daraufhin Mitte März weltweit, Combino-Bahnen mit einer Laufleistung von über 120 000 Kilometern aus dem Verkehr zu nehmen. Bei einer Kollision oder gar nur einer Notbremsung könnte die tonnenschwere Elektroausrüstung, Folge der Niederflurbauweise, auf die im Fahrzeuge befindlichen Fahrgäste stürzen!

Fehler Alutechnik?

Einst groß gefeiert, jetzt wegen offenkundiger Konstruktionsmänegl im Visier der Kritik. Im Bild das erste Combino-Fahrzeug für Potsdam bei einer Pressevorführung. Foto: Marc Heller

Bei Autos kommen Rückrufaktionen häufiger vor. Bei Straßenbahnen gab es ein ähnliches Desaster 1930 in Berlin. Es mussten wegen fehlerhafter Bremstechnik 300 neue Triebwagen für bis zu sechs Jahre vom Netz geholt werden. Nun sieht es nach jüngsten Meldungen aus, dass die weltweit 400 in Betrieb stehenden Combino-Wagen, weitere 200 sind bestellt, komplett vom Fahrwerk an, neu gebaut werden müssen. In herkömmlicher Schweißtechnik und Stahlbauweise. Diese Wagen kann aber Siemens nicht mehr in Deutschland herstellen, da das Werk in Krefeld (früher der DUEWAG gehörend) nur noch für die Alutechnik eingerichtet ist, Combinos kämen damit künftig aus Prag. Siemens kaufte inzwischen die alte Tatrafabrik. Und Siemens erhöhte schon jetzt seine Rückstellungen für außergewöhnliche Ausgaben. Experten meinen, dass der Weltfirma Folgekosten weit über zwei Milliarden Euro entstehen könnten. Soviel würden neue Fahrzeuge kosten. Noch nicht beziffert wurden bis jetzt eventuelle Regreßforderungen von den Verkehrsbetrieben.

Ingenieurfehler?

Pikant an dem ganzen Combino-Desaster könnte nun sein, dass der Wagenkasten von den Entwicklungsingenieuren falsch berechnet wurde. Es wurden offenbar bei der Konstruktion nur Parameter berechnet, die für herkömmliche Waggonaufbauten gelten, deren Technik sich aber unter dem Fahrzeugboden oder im Innenraum befindet. Dass der Alu-Wagenkörper des Combinos aber tonnenschwere Geräte auf dem Dach trägt, und deshalb ganz anderen Belastungen Stand halten wird, fiel weder den Ingenieuren von Siemens noch den Aufsichtsbehörden auf. Besonders hart trifft das Combino-Desaster Potsdam. Mit Mühe kann mit alten Tatrawagen aus DDR-Zeiten der Verkehr aufrecht erhalten werden. Drei nach Ungarn verkaufte Wagen wurden zurückgerufen.

Busse statt Bahnen?

Härter wird es vielleicht für Ulm. Der gesamte Fahrzeugpark für das nur 5,6 Kilometer große Netz besteht aus Combinos. Wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird, droht hier womöglich die Stillegung. Auch in anderen Städten könnte wegen des Combino-Ausfalls ein Streckensterben beginnen. In Potsdam gibt es immer wieder die Forderung, die Strecke zur Glienicker Brücke auf Busbetrieb umzurüsten. Auch in anderen Städten gibt es Straßenbahngegner, die lieber den Bus als die Tram sähen. Nur Düsseldorf und Erfurt haben genügend Reserven.

Bevor ein neuer Combino auf den Rädern steht, können durchaus zwei Jahre vergehen. In derselben Zeitspanne könnten neue Tramwagen auch bei Konkurrenzfirmen wie Bombardier (Cityrunner), Aistom (Citadis) oder Stadler Berlin (Vario) bestellt werden. Nach einem Misserfolg mit einer anderen 100-Prozent-Niederflur-Type von Siemens wandte sich Frankfurt/Main bei der neuesten Vergaben einem Fahrzeug mit nur noch 70 Prozent Niederflurteil zu. Manche Städte werden dem Beispiel sicherlich folgen. Solche Fahrzeuge baut Siemens gemeinsam mit Bombardier für Dresden, Antwerpen und Gent! (mkv)

aus SIGNAL 3/2004 (Juni/Juli 2004), Seite 30-31